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07/06/1999 00:00

Forschungen in der sibirischen Arktis - Schlüssel zum Verständnis globaler Klimaänderungen

Dipl.-Ing. Margarete Pauls Kommunikation und Medien
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung

    Bericht über drei Expeditionen zur Erforschung der Klimageschichte der sibirischen Arktis von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, die in intensiver russisch-deutscher Zusammenarbeit durchgeführt werden.Besonders die Eisbohrung in Severnaja Zemlja läßt hochinteressante Ergebnisse erwarten.

    Forschungen in der sibirischen Arktis - ein Schlüssel zum Verständnis globaler Klimaänderungen

    Globale Klimaveränderungen wirken sich in verschiedenen Regionen der Erde unterschiedlich aus. Die Rekonstruktion des Klimas der Vergangenheit, des Paleoklimas, trägt dazu bei, die grundlegenden Prozesse besser zu verstehen. Dabei sind Untersuchungen in den Polargebieten von Bedeutung, da diese eine wichtige Rolle im globalen Klimasystem spielen. Die Atmosphäre und die Meeresströmungen werden maßgeblich durch das Meereis und die großen Eismassen gesteuert, die wiederum empfindlich auf globale Klimaänderungen reagieren. Von besonderem Interesse sind die großen sibirischen Flachmeere und die angrenzenden, durch Permafrost geprägten Landgebiete, die durch gewaltige Ströme entwässert werden und in manchen Regionen bis zu einer Tiefe von 1.000 Metern gefroren sind.

    Die Untersuchung und Quantifizierung der in diesen Regionen ablaufenden Prozesse sowie die Rekonstruktion des Klimas dieser noch wenig erforschten Region der Arktis während der Veränderungen der Vergangenheit sind für die Modellrechnungen von natürlichen oder anthropogenen Klimaänderungen notwendig. Im Rahmen internationaler Projekte, vor allem in dem Programm QUEEN (Quaternary Evolution of the European North) und dem deutsch-russischen Programm "System Laptev See 2000", werden deshalb größere Expeditionen und wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt.

    1.) Eisbohrung in Severnaja Zemlja
    Während der letzten Eiszeit waren das nördliche Europa und Nordamerika eisbedeckt. Befunde aus Ost- und Zentralsibirien belegen jedoch, daß es dort keine nennenswerte eiszeitliche Vergletscherung gab, obwohl die Temperaturen niedriger waren als heute. Das nördliche Mittelsibirien (Gebiet der Taymyrhalbinsel und des Archipels Severnaja Zemlja) liegt zwischen den Gebieten, die vergletschert und denen, die nicht vergletschert waren, und ist deswegen eine besonders interessante Region. Die Erforschung der Klimageschichte (Paleoklimaforschung) wird dort von deutscher Seite seit mehreren Jahren durchgeführt. Die Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung ist federführend beteiligt. Die Projekte, die vom Bundesforschungsministerium (BMBF) und auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden, finden in intensiver Zusammenarbeit mit russischen Partnern statt.
    Besonders wertvoll für die Paleoklimaforschung sind die in Gletschern gespeicherten Klimadaten. Aus der Isotopenzusammensetzung der Wassermoleküle ist die Temperatur zum Zeitpunkt des Niederschlages ablesbar, und Gaseinschlüsse im Eis sind sozusagen 'Luftproben aus der Vergangenheit', die im Gletscher konserviert wurden. Bohrkerne aus Gletschern liefern Informationen, die für die Interpretation von Ergebnissen aus anderen 'Klimaarchiven' notwendig sind.
    Größere Gletscher sind in Nordsibirien nur auf den vorgelagerten Inseln im nördlichen Eismeer anzutreffen. Severnaja Zemlja (deutsch: Nordland) ist der östlichste dieser Archipele, die heute noch vergletschert sind. Auf der Insel Komsomolets liegt die mächtige und zugleich kälteste Gletscherkappe, die Kuppel "Akademie der Wissenschaften" (Akademii Nauk). Sie ist bis zu 800 Meter dick, und Eiskerne können Klimadaten liefern, die mindestens bis zum Ende der letzten Eiszeit zurückreichen (ca. 11 000 Jahre). Da hier bisher noch kein Eiskern gebohrt und mit modernen Meßmethoden untersucht wurde, strebte das AWI seit Jahren an dieser Stelle eine Eiskernbohrung an. Ziel ist der Vergleich mit Eiskernen aus anderen Gebieten, insbesondere mit denen aus Grönland, um Informationen über nacheiszeitliche Veränderungen im Zirkulationsmuster des Meeres und der Atmosphäre der Arktis zu erhalten.

    Expedition und Beginn der Bohrung
    Im April und Mai 1999 fand eine gemeinsame Expedition des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und des Arktischen- und Antarktischen Forschungsinstituts St. Petersburg (Rußland) nach Severnaja Zemlja statt, an der zwei deutsche (Dr. Diedrich Fritzsche, Forschungsstelle Potsdam des AWI und Urs Ruth, AWI) und zehn russische Gletscherforscher teilgenommen haben. Die Grundlage war das vom BMBF geförderte Vorhaben "Hochaufgelöste Klimasignale aus der Akademie der Wissenschaft-Eisbohrung".
    Aufgrund russischer Vorarbeiten und durch Eisdickeninformationen, die aus vorangegangenen Flugzeugmessungen stammten, wurde ein geeigneter Bohrpunkt auf der Kuppel "Akademie der Wissenschaften" bei etwa 80°31'Nord 94°49'Ost (Höhe ca. 750 Meter) gefunden. Die Eisdicke beträgt dort 720 Meter. In 21 Tagen entstand an der Bohrstelle ein aus Hütten und Zelten bestehendes Lager. Der russische Eiskernbohrer, im Auftrag des AWI vom Bergbauinstitut in St. Petersburg herge-stellt, wurde zusammengesetzt und erprobt. Er ist eine modifzierte Variante des in der Antarktisstation Wostok eingesetzten Eisbohrers, mit dem dort die weltweit tiefste Eiskernbohrung von 3623 Metern durchgeführt worden ist. Er lieferte Klimainformationen aus den letzten 420 000 Jahren (vgl. Nature Vol. 399, 3. June 1999, p. 429-436).
    Die Temperaturverhältnisse auf Severnaja Zemlja erlauben Eiskernbohrungen nur im Winter und Frühjahr. Im Sommer setzen auf den Gletschern Tauprozesse ein, die derartige Arbeiten unmöglich machen. Deshalb mussten die Bohrarbeiten Mitte Mai eingestellt werden. In zwei Nächten (am Tage war die Temperatur bereits zu hoch) konnte ein 54 Meter langer Eiskern gebohrt werden. Mit Unterstützung des Instituts in St. Petersburg und der Hilfe mehrerer russischer Firmen und Behörden gelang es, den Kern innerhalb von zwei Wochen per Flugzeug und Tiefkühltransporter ins AWI nach Bremerhaven zu befördern. Im Eislabor wird zur Zeit seine Struktur untersucht, ehe er für eine Vielzahl von Analysen in Proben zerschnitten wird. Die zur Rekonstruktion der Temperatur notwendigen Analysen der isotopischen Zusammensetzung des Eises sind in der Forschungsstelle Potsdam vorgesehen.
    Die Bohrung soll im Februar 2000 wieder aufgenommen und bis Mai 2000 zu Ende geführt werden. Aufgrund der Konstruktion des Bohrgerätes ist die Bohrung prinzipiell bis in die Grundmoräne des Gletschers möglich, wodurch einmalige geologische Proben gewonnen werden könnten.

    Ansprechpartner: Dr. Diedrich Fritzsche, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Forschungsstelle Potsdam, Telegrafenberg A43, 14473 Potsdam, Tel: (0331) 2882117 e-mail: dfritsch@awi-potsdam.de

    2.) Expedition 'PolarUral-99'

    Ziel des internationalen Projektes 'Eurasian Ice Sheets' (Ice sheets and climate in the Eurasian Arctic at the last glacial maximum) ist die Rekonstruktion der Klima- und Vergletscherungsgeschichte Nordosteuropas und benachbarter sibirischer Gebiete seit der letzten Eiszeit. Das Projekt läuft seit 1998 bis 2000 und wird von der Europäischen Gemeinschaft gefördert. Sechs Gruppen aus Skandinavien, Großbritannien und Deutschland führen in Kooperation mit russischen Partnern wissenschaftliche Expeditionen in die russische Arktis durch. Die Forschungsergebnisse bilden Grundlage für mathematische Modelle, die das Entstehen und Verschwinden von Gletschern in der Arktis und ihren Einfluß auf das Klima Eurasiens verständlich machen und Prognosen erlauben.
    Der Beitrag der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung zu diesem Projekt konzentriert sich auf die Untersuchung von Sedimentabfolgen aus Seen im Gebiet Polarural/Pechorabecken.
    Voruntersuchungen aus dem Jahre 1998 ließen erwarten, daß Ablagerungen im See Lyadhej-To (68°Nord, 66°Ost, 150 m ü.M.) sich für die vorgesehenen Untersuchungen besonders gut eignen.

    Expedition
    Zur Gewinnung von Sediment-Bohrkernen aus polaren Seen mit Tiefen bis zu 150 Meter nutzt das AWI seit mehreren Jahren eine modular aufgebaute Bohranlage, die von drei bis vier Personen in einem Bohrzelt auf dem Eis eines Sees installiert und betrieben werden kann.
    Die vier Tonnen schwere Expeditionsausrüstung gelangte auf dem Schienenweg bis in die Polarstadt Vorkuta. Die verbleibenden 150 Kilometer bis zur Bohrstelle durch die weglose winterliche Tundra wurden mit Unterstützung eines einheimischen geologischen Betriebes mit Kettenfahrzeugen und Lastschlitten zurückgelegt. Die komplizierten logistischen Gegebenheiten der Expedition wurden von den vier deutschen und drei russischen Expeditionsteilnehmern gemeinsam bewältigt.
    Nach geophysikalischer Sondierung der Sedimentschicht am Grunde des Sees wurde zwischen dem 19. April und dem 1. Mai 1999, bei Temperaturen unter -20°C und trotz zweier Schneestürme, an drei Bohrstellen insgesamt 45 Meter Sedimentkernmaterial erbohrt und damit ein komplettes Profil der Sedimente erfaßt, die sich seit der Entstehung des Sees vor vermutlich einigen zehntausend Jahren abgelagert haben.
    Die Sedimentkerne sind inzwischen zusammen mit der Expeditionsausrüstung wohlbehalten in Deutschland eingetroffen. In den nächsten Tagen beginnt die sedimentologische Bearbeitung des Materials in den Labors in Potsdam, an der auch die russischen Partner vom Arktischen und Antarktischen Forschungsinstitut St. Petersburg beteiligt sein werden. Weiterführende geochemische Untersuchungen und Altersbestimmungen sind in Zusammenarbeit mit norwegischen Partnern von der Universität Bergen vereinbart.

    Ansprechpartner: Dr. Wolf-Dieter Hermichen, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Forschungsstelle Potsdam, Telegrafenberg A43, 14473 Potsdam, Tel: (0331) 288 2117
    e-mail: whermich@awi-potsdam.de

    3.) Russisch-deutsche Expedition in die Laptewsee und zu den Neusibirischen Inseln (System Laptev-See 2000)

    Am 28. April 1999 startete im Rahmen des russisch-deutschen Forschungsprojektes 'System Laptev-See 2000' die zweite Expedition in die Küstenregionen der Laptewsee und zu den Neusibirischen Inseln. Bis Mitte Oktober werden sich verschiedene russisch-deutsche Arbeitsgruppen in Sibirien aufhalten. Insgesamt nehmen 16 deutsche Wissenschaftler von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Insti-tuts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und den Universitäten Hamburg, Kiel und Freiberg sowie 15 russische Forscher vom Arktischen und Antarktischen Forschungsinstitut St. Petersburg, von der Universität Moskau und vom Permafrost-Institut Jakutsk teil. Die wissenschaftlichen Ziele der Expedition konzentrieren sich auf die Rekonstruktion der Klima- und Umweltgeschichte dieser Region und auf die Erforschung durchgehend gefrorener Böden (Permafrostböden) und ihre Bedeutung im Hinblick auf zukünftige Klimaänderungen.
    Das Untersuchungsgebiet ist eine der Schlüsselregionen zum Verständnis des weltweiten Klimas. Einerseits reagiert die Region sehr empfindlich auf Klimaänderungen, andererseits haben die in diesem Gebiet ablaufenden Prozesse einen wesentlichen Einfluß auf das globale Klima. Die Laptewsee ist ein ausgedehntes sibirisches Flachmeer, im dem heutzutage ein Großteil des arktischen Meereises gebildet wird. Die Eisbildungsprozesse, die vom Eintrag der sibirischen Flüsse insbesondere der Lena beeinflußt werden, sind damit von wesentlicher Bedeutung für den gesamten arktischen Ozean. Das angrenzende Festland ist durch das Auftreten von Permafrost gekennzeichnet. Permafrostböden bedecken circa ein Viertel der Landoberfläche. In Sibirien reicht ihre Verbreitung von der arktischen Küste bis weit nach Süden zum Baikalsee.
    Die erste Expedition ins Lenadelta im Sommer 1998 umfaßte Studien zur Methan- und Kohlendioxidbilanz sowie zum Wasser- und Energiehaushalt von Permafrostböden. Ein wichtiger Aspekt bei diesen Arbeiten ist die mögliche Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre durch das Tauen von Permafrostböden infolge einer weltweiten Erwärmung. Die Untersuchungen zur Umwelt- und Klimageschichte der Region konzentrieren sich auf die Geschichte des Lenadeltas und werden ergänzt durch die Erfassung der heutigen Ablagerungs- und Abtragungsprozesse im Lenadelta. Weiterhin werden die eisreichen Permafrostabfolgen detailliert untersucht. Diese Abfolgen stellen ähnliche Klimaarchive dar wie Inlandeisgletscher.
    Während der diesjährigen Expedition werden diese Arbeiten fortgesetzt. Die Erfassung des oberflächlichen Auftauens im Frühjahr und des Rückfrierens im Herbst ist von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis der Prozesse durchgehend gefrorener Böden. Aus diesem Grund hat die Expedition bereits Anfang Mai begonnen und wird bis in den Oktober dauern.

    Ansprechpartner: Dr. Volker Rachold, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Forschungsstelle Potsdam, Telegrafenberg A43, 14473 Potsdam, Tel: (0331) 288 2144, e-mail: vrachold@awi-potsdam.de

    Potsdam, den 6. Juli 1999


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    Criteria of this press release:
    Geosciences
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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