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10/27/2005 12:12

Dick ist nicht gleich dick - Entscheidend ist der Bauch - Internationales Symposium im MDC

Barbara Bachtler Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch

    Dick ist nicht gleich dick. Galt noch bis in jüngster Zeit, dass alle Menschen, die übergewichtig oder stark übergewichtig (adipös) sind, ein großes Risiko haben, an Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck mit seinen Folgen Schlaganfall, Herzinfarkt, und Nierenschäden zu erkranken, sieht die Medizin das heute aufgrund neuester Erkenntnisse über die Adipositas differenzierter. Demnach ist nicht mehr so sehr der so genannte Body Mass Index (BMI) entscheidend, als vielmehr, an welchen Stellen der Körper das überschüssige Fett einlagert. Gefährlich sind vor allem die Fettdepots um Bauch und Taille, früher freundlich mit "Embonpoint" umschrieben und als Zeichen des Wohlstands angesehen. Mediziner sprechen von "abdominaler Adipositas". Menschen mit dieser Form des Übergewichts sind besonders gefährdet, frühzeitig an den Folgeerscheinungen der Adipositas zu erkranken. Das ist eine der neuesten Erkenntnisse, die auf dem 4. Internationalen Symposium "Adipositas und Bluthochdruck" im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch Ende Oktober 2005 in Berlin vorgestellt worden sind. Die Tagung vom 27. - 29. Oktober 2005, an der rund 200 Experten aus Europa, Lateinamerika, Asien und den USA teilnehmen, hatten Prof. Arya Sharma (McMaster University, Hamilton, Ontario, Kanada) und Prof. Friedrich Luft (Franz-Volhard-Klinik, Charité - Universitätsmedizin Berlin/Helios-Klinikum Berlin-Buch und MDC) veranstaltet.

    Vor Jahren schon hatten Forscher festgestellt, dass Fettzellen eine Vielzahl von Substanzen produzieren, die direkt das Herz-Kreislauf-System und die Nieren schädigen. Kürzlich entdeckten sie, dass vor allem die Fettzellen des Bauchgewebes besonders stoffwechselaktiv und deshalb besonders gefährlich sind. Sie produzieren Hormone und Botenstoffe (Adipokine), die in großem Maße zu der Entstehung von Bluthochdruck und Stoffwechselstörungen wie Diabetes Typ 2 und erhöhte Blutfettwerte beitragen. Diese Erkrankungen faßt die Medizin unter dem Sammelbegriff metabolisches Syndrom zusammen.

    Der Body Mass Index (BMI) hingegen, der sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm durch die Körpergröße in Metern zweimal dividiert errechnet, besagt nichts über die Fettverteilung. Als übergewichtig gilt, wer laut WHO einen BMI von mehr als 25 kg/m2, als adipös, wer einen BMI von 30 kg/m2 und darüber hat. Ein Mann von 1,80 m Größe und einem Gewicht von 81 kg hätte demnach einen BMI von 25 kg/m2, bei einem Gewicht von 97 kg betrüge sein BMI über 30 kg/m2.. "Der BMI gilt weiterhin als Richtschnur, um festzustellen, ob jemand wirklich zu dick ist. Ärzte sollten bei ihren Patienten jedoch zusätzlich auch auf die Fettverteilung achten", betonte Prof. Sharma in Berlin.

    WHO: Eine Milliarde Menschen übergewichtig - Europa holt gegenüber den USA auf
    Übergewicht und Adipositas sind in den vergangenen Jahren zu einem weltweiten Problem geworden, das nicht nur die Bevölkerung in den reichen Industrienationen betrifft, sondern inzwischen auch zu einem Problem in den so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern geworden ist. Dort existieren vielfach Überfluß und Hunger nebeneinander. Allein 2005 starben laut UN-Angaben 6,2 Millionen Menschen an Hunger und den damit verbundenen Folgekrankheiten. Dagegen stehen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, weltweit eine Milliarde übergewichtiger Menschen und mehr als 300 Millionen Adipöse. In Deutschland sind 16 Millionen Menschen zu dick, das entspricht 20 Prozent der Bevölkerung. Nach einer 2002 erhobenen Gesundheitsstudie sind dort unter den Männern im Alter von 25 Jahren gar 75 Prozent zu dick. Sie werden nur noch von den Griechen übertroffen, die mit 78 Prozent die europäische Tabelle anführen. Damit überholen diese beiden Länder zusammen mit Finnland, Malta, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Zypern was die Körperfülle anbetrifft, sogar die USA. Dort gelten 67 Prozent der männlichen Bevölkerung als zu dick. Die Europäische Union (EU) schätzt, dass zwischen zwei und acht Prozent der Gesundheitskosten in der EU auf das Konto der Behandlung von Übergewicht und Adipositas gehen. Die EU hat deshalb dem Übergewicht im Frühjahr den Kampf angesagt und eine Aktionsplattform ins Leben gerufen.

    Verkürzte Lebenserwartung
    Übergewicht und Fettleibigkeit drohen, die in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem dank ausreichender Ernährung dramatisch gestiegene Lebenserwartung zu verkürzen, befürchten Wissenschaftler und Ärzte. Der zunehmend städtische Lebensstil mit mangelnder Bewegung, zu reichlichem, zu fettem Essen und vorwiegend sitzender Tätigkeiten, hat dazu geführt, dass die Menschen ihre überschüssigen Pfunde nicht mehr abarbeiten. Laut WHO sterben jährlich allein in Europa rund 250 000 Menschen, und weltweit zwei bis fünf Millionen Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als direkte Folge des Übergewichts.

    Bluthochdruck und "Altersdiabetes" schon bei Kindern
    Mit Sorge beobachten Wissenschaftler und Ärzte, dass auch Kinder und Jugendliche zunehmend übergewichtig sind und schon in jungen Jahren Bluthochdruck und sogar Diabetes Typ 2 bekommen, eine Krankheit, die früher nur im Alter auftrat und deshalb als "Alterszucker" bezeichnet worden ist. Die WHO geht davon aus, dass weltweit 18 bis 22 Millionen Kinder unter fünf Jahren zu dick sind. In Europa gilt eines von fünf Kindern als zu dick und jedes Jahr kommen 400 000 übergewichtige Schulkinder hinzu. Am stärksten steigt die Kurve laut International Obesity Task Force bei Kindern in England und Polen an. Von den geschätzten 14 Millionen europäischen Kindern mit Übergewicht gelten drei Millionen als adipös.

    Es ist zu befürchten, dass diese Kinder nicht nur weniger gesund als ihre Eltern sind, sondern auch eine kürzere Lebenserwartung haben werden, hatte Prof. Jan Olshansky von der School for Public Health an der Universität von Illinois in Chicago (USA) vor kurzem in der medizinischen Fachzeitschrift New England Journal of Medicine gewarnt. Und in der Tat: Studien etwa aus dem Iran, Kroatien und Polen, die auf dem Symposium in Berlin vorgestellt wurden, zeigen, dass bereits Kinder und Jugendliche, die zu dick oder fettleibig sind, Bluthochdruck haben, und auch an Diabetes Typ 2 erkranken.

    Zu dicke Kinder haben nach einer Studie der Universität von Hamedan (Iran) ein 50 Prozent höheres Risiko an Bluthochdruck zu erkranken, als ihre normalgewichtigen Altersgenossen. Die Ärzte hatten über 1 000 Schulkinder im Alter von sechs bis elf Jahren untersucht. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen ihre Kollegen in Kroatien, die in Zagreb und Koprivnica fast 800 Kinder einem Gesundheitscheck unterzogen hatten, sowie in Polen. Sie fordern deshalb unter anderem eine bessere Gesundheitserziehung, die schon früh einsetzt und die Kinder von klein auf lehrt, gesund zu essen.

    Abnehmen - leichter gesagt als getan
    Runter mit dem Gewicht und vor allem runter mit den Bauchspeckrollen lautet deshalb die Forderung der Mediziner. Das ist der effektivste Weg, den Blutdruck und auch das Risiko für die Folgeerkrankungen zu senken. Doch den meisten Patienten gelingt es nicht, auf Dauer abzunehmen. Meist haben sie nach kurzer Zeit die mühsam abgearbeiteten Pfunde wieder drauf. "Allein die Patienten für diesen mangelnden Erfolg verantwortlich zu machen, wäre zu einfach", nimmt Prof. Sharma die Patienten in Schutz. "Genetische Faktoren spielen bei der Regulierung des Körpergewichts ebenso eine Rolle, wie die Fettzellen selbst. Auch erschwert die medikamentöse Behandlung des Bluthochdrucks und des Diabetes oft das Abnehmen."

    Die folgenden Seiten haben S p e r r f r i s t: Samstag, 29. Oktober 2005, 11:00 Uhr
    Neuartiger Appetitzügler - Hoffnung für Übergewichtigte?
    Möglicherweise einen Ausweg bietet eine völlig neue Stoffgruppe, die das Hungergefühl blockiert, zugleich die Blutfettspiegel verbessert und damit die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2 verringert und wenig Nebenwirkungen hat. Rimonabant heisst die Substanz. Sie greift genau dort ein, wo der Körper das Hungergefühl steuert, im so genannten Endocannabinoid-System, kurz ECS. Endocannabinoide sind körpereigene Cannabis (Haschisch)-ähnliche Substanzen, die bei Stress, Hunger und Schmerzempfinden ausgeschüttet werden, erläuterte Prof. Vincenzo di Marzo vom Institut für Biomolekulare Chemie des Italienischen Forschungsrats in Pozzuoli auf dem Symposium in Berlin. Sie spielen unter anderem auch eine Rolle bei der Feinsteuerung des Herz-Kreislauf-Systems.

    Bisher sind vor allem zwei Endocannabinoide bekannt, darunter das Anandamid. Der Name stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Seligkeit. Entdeckt wurde das System, wie die Marzo weiter sagte, bei der Erforschung der Wirkungsweise von Cannabis (Haschisch), was dem System den Namen gab. Bei Hunger schüttet der Organismus vermehrt Anandamid aus, erläuterte er. So weiss man auch, dass Haschisch-Raucher häufig regelrechte Hungerattacken haben.

    Endocannabinoide binden und aktivieren zwei Cannabinoid-Rezeptoren. Vor allem der so genannte Cannabinoid Rezeptor1 (CB1) ist für die Forschung und die Medizin von großem Interesse. CB1 kommt hauptsächlich im Gehirn, in verschiedenen Organen und auch im Fettgewebe vor. "Er ist offenbar vor allem für die Nahrungsaufnahme nach einer Hungerperiode verantwortlich und sorgt dafür, dass das Fett in den Fettzellen deponiert wird", erläuterte di Marzo. So schaffe sich der Körper Fettreserven, um Hungerperioden besser überstehen zu können.

    Je mehr sie fressen, desto stärker binden die Endocannabinoide an den CB1-Rezeptor, haben Versuche mit adipösen Laborratten gezeigt. Er ist bei diesen Tieren überaktiviert. Die Folge: Die Bindung von Endocannabinoiden an CB1 verstärkt den Appetit, wie Prof. George Kunos von dem National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA) der National Institutes of Health (NIH), Bethesda, USA, der kurzfristig in Berlin absagte, herausfand. Weiter konnte Prof. Kunos im Versuch mit Mäusen zeigen, dass die Blockade dieses Rezeptors mit der Substanz Rimonabant den Appetit bremst. Die Tiere werden schlank und bleiben es auch trotz überreichlichen Futterangebots. Und Rimonabant senkte bei den Tieren nicht nur das Gewicht, sondern auch den Blutdruck.

    RIO in Europa - Klinische Studien
    Seit über zwei Jahren wird Rimonabant in klinischen Studien an Patienten erprobt. Leiter der "RIO-Studie" (Rimonabant in Obesity) in Europa ist der Diabetologe und Stoffwechselexperte Prof. Luc van Gaal vom Universitätshospital Antwerpen (Belgien). Eingeschlossen in die Studie sind 1 507 Patienten aus 60 Kliniken in Belgien, Deutschland, Finnland, Schweden, den Niederlanden und den USA mit einem BMI von über 27 kg/m2 und über 30 kg/m2, die außerdem zu hohen Blutdruck und zu hohe Blutfettwerte haben. Die "RIO-Studie" ist Teil einer von insgesamt vier Phase III-Studien (sie prüft Wirksamkeit und Nebenwirkungen in einer größeren Zahl von Patienten) mit 6 600 Patienten. Die Patienten aßen Diät und mussten auch ein Bewegungsprogramm absolvieren. Sie wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe erhielt täglich 20 Milligramm (mg) Rimonabant, die zweite täglich 5 mg Rimonabant und die dritte Gruppe bekam täglich ein Scheinmedikament (Plazebo).

    Senkt Gewicht und verbessert Stoffwechselwerte
    Wie Prof. van Gaal in Berlin berichtete, zeigte sich nach einem Jahr, dass Patienten, die täglich 20 mg Rimonabant bekommen hatten, im Schnitt 6,6 Kilogramm abnahmen. Patienten, die täglich die geringere Dosis von 5 mg einnahmen, verloren im Schnitt 3,4 Kilo Körpergewicht, Patienten mit Plazebo nahmen im Schnitt nur 1,8 Kilogramm ab.

    Die Gruppe der Patienten mit einer täglichen Dosis von 20 mg Rimonabant nahmen von allen Studienteilnehmern nicht nur am meisten ab, sondern es gelang ihnen auch, vor allem an den kritischen Stellen Bauch und Taille abzuspecken. Bemerkenswert ist, so Prof. van Gaal, dass bei diesen Patienten auch die Risikofaktoren für das Stoffwechselsyndrom und Herz-Kreislauf-Krankheiten stärker gesenkt werden konnten, als durch die Gewichtsabnahme allein zu erwarten gewesen wäre. Er schätzt, dass 50 Prozent dieser Wirkung auf das Konto von Rimonabant zurückzuführen sind. Denn die Patienten, welche die 5 mg-Dosis Rimonabant bekommen hatten, nahmen zwar auch deutlich ab. Bei ihnen hatten sich aber die Blutfettwerte nicht so verbessert, wie bei den Patienten mit der höheren Dosis.

    Geringe Nebenwirkungen
    An Nebenwirkungen zeigten sich Übelkeit, Durchfall, Schwindelgefühle, die aber nach Aussage von Prof. Gaal mild und vorübergehend waren. "Nach den bisherigen Ergebnissen ist die Substanz Rimonabant vor allem für die Therapie von Patienten mit abdominaler Adipositas vielversprechend", sagte Prof. van Gaal in Berlin. Die zweijährige Studie ist jetzt abgeschlossen und ihre Ergebnisse werden voraussichtlich im kommenden Jahr publiziert.

    Pressestelle
    Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch
    Barbara Bachtler
    Robert-Rössle-Straße 10
    13125 Berlin
    Tel.: 0049/30/94 06 - 38 96
    Fax: 0049/30/94 06 - 38 33
    e-mail:presse@mdc-berlin.de
    http://www.mdc-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Chemistry, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
    German


     

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