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02/17/1999 00:00

Soziale Gerechtigkeit: Auf neuen Wegen zu alten Fragen

Dr. Werner Boder Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Volkswagen-Stiftung unterstützt Nachwuchsgruppe in Berlin

    Hannover (vws) Am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin beschäftigt sich seit kurzem eine interdisziplinäre Forschungsgruppe mit Problemen sozialer Gerechtigkeit. Sechs junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fächern Soziologie, Philosophie, Politikwissenschaft, Betriebswirtschaft und Psychologie unter der Leitung von Dr. Stefan Liebig werden über fünf Jahre hinweg der Frage nachgehen, was soziale Gerechtigkeit ist und wie sie sich begründen läßt. Finanziert wird das Vorhaben von der Volkswagen-Stiftung in Hannover, die dafür in ihrem Programm "Nachwuchsgruppen an Universitäten" 1,76 Millionen Mark zur Verfügung gestellt hat.

    In Umfragen antworten 60 Prozent der Deutschen, mit der sozialen Gerechtigkeit sei es hierzulande nicht gut bestellt. Aber was ist gemeint, wenn wir von sozialer Gerechtigkeit reden? Ist es die Gleichheit der Einkommen oder die Gleichheit der Chancen? Ist soziale Gerechtigkeit verwirklicht, wenn jeder das bekommt, was er unbedingt zum Leben braucht, oder sollte die Leistung einer Person darüber entscheiden, welche Wohnung, welches Einkommen oder welche medizinische Versorgung sie erhält? Was soll geschehen, falls die Verhältnisse für ungerecht gehalten werden: Nehmen es die Menschen einfach so hin oder richten sie wirklich ihr Handeln nach dem aus, was sie als gerecht ansehen? Welche von den genannten (oder weiteren) Wissenschaften ist eigentlich zuständig und maßgebend für Antworten in dieser Sache?

    Das Problem ist nicht, daß es keine Antworten gäbe, sondern daß es zu viele gibt. Der gravierende Mangel der sozialen Gerechtigkeitsforschung besteht darin, daß sie in einzelne Teildisziplinen und Fächer zersplittert ist, innerhalb deren wiederum ganz unterschiedliche Ansätze und Methoden angewendet werden. In kaum einem anderen Forschungsfeld sind die negativen Konsequenzen disziplinärer Zersplitterung so dramatisch spürbar wie in der Gerechtigkeitsforschung. Darum ist es ein guter Ansatz, daß junge Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen in einer Gruppe gemeinsam nach neuen Wegen suchen, alte Fragen zu beantworten.

    Dabei geht es um nicht weniger als um einen Brückenschlag zwischen zwei Forschungstraditionen, die bislang nahezu unvermittelt nebeneinander stehen. Philosophisch orientierte "normative" Gerechtigkeitstheorien wollen klären, was wir unter sozialer Gerechtigkeit verstehen und welche Regeln sich eine Gesellschaft auferlegen sollte, um gerecht zu sein. Demgegenüber will eine empirisch orientierte Gerechtigkeitsforschung nicht vorschreiben, was wir tun sollten, sondern vielmehr beschreiben, welche Gerechtigkeitsvorstellungen Menschen haben, warum sie bestimmte Gerechtigkeitsideale verfolgen und wie sie sich verhalten, wenn sie auf Ungerechtigkeiten stoßen.

    Diese beiden Sichtweisen will die Arbeitsgruppe konsequent aufeinander beziehen mit dem Ziel, daraus Konsequenzen für eine "Wissenschaft von der Gerechtigkeit" zu ziehen. Die Gruppe will nicht Rezepte für die Lösung politischer Probleme entwickeln, aber sie will der Öffentlichkeit Konzepte und Ergebnisse einer interdisziplinär vermittelten Gerechtigkeitsforschung anhand anwendungsbezogener Problemstellungen zugänglich machen. So beschäftigt sich ein Projekt mit Fragen sozialer Gerechtigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen Themen wie der Einwanderungs-, Steuer- oder Arbeitsmarktpolitik. Ein anderes wird Fragestellungen bearbeiten, die dem Bereich der Grundlagenforschung zuzurechnen sind. Dabei geht es im wesentlichen um die Analyse der Bedingungen und Folgen von Gerechtigkeitsurteilen und die Möglichkeiten der Begründung von allgemeinen Gerechtigkeitsgrundsätzen.

    Die Nachwuchsgruppe "Interdisziplinäre soziale Gerechtigkeitsforschung" wurde von den Professoren Dr. Hans-Peter Müller (Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie), Dr. Herfried Münkler (Lehrstuhl für Theorie der Politik), Dr. Bernd Wegener (Lehrstuhl für Empirische Sozialforschung), alle am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, sowie von Professor Dr. Leo Montada (Zentrum für Gerechtigkeitsforschung der Universität Potsdam und Institut für Psychologie der Universität Trier) initiiert, geleitet wird sie jetzt von Dr. Stefan Liebig (Jahrgang 1962).

    Die Interdisziplinarität der Gruppe wird nicht nur durch die personelle Zusammensetzung sichergestellt, sondern auch durch die institutionelle Einbindung in das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität, das als eines der wenigen Universitätsinstitute in Deutschland die Fächer Soziologie und Politikwissenschaft in einem Studiengang verbindet. Neue Forschungsergebnisse können so auch unmittelbar in den Lehrbetrieb einfließen. Enge Kontakte bestehen auch zum Zentrum für Gerechtigkeitsforschung in Potsdam, von dem immer wieder Initiativen für eine interdisziplinäre und anwendungsbezogene Gerechtigkeitsforschung ausgehen. Schließlich ist die Gruppe in einen internationalen Forschungsverbund integriert, der seit 1991 in dreizehn westlichen und nachsozialistischen Ländern repräsentative Umfragen über die Einstellung zur sozialen Gerechtigkeit durchführt.

    Die Volkswagen-Stiftung will mit ihrem Programm "Nachwuchsgruppen an Universitäten" jungen Wissenschaftlern eine besondere Chance bieten. Für die Leitung einer Gruppe kommen nur Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Frage, die hoch qualifiziert sind, nicht nur in ihrer wissenschaftlichen Arbeit, sondern auch, was Lehre und Führungsfähigkeit betrifft. Gleichzeitig will die Stiftung Universitäten Raum für inhaltliche, methodische und organisatorische Neuerung geben. Fachlich oder thematisch macht das Programm keine Vorgaben; es richtet sich gleichermaßen an die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, wie an Natur- und Ingenieurwissenschaften und die Medizin. In den letzten zwei Jahren hat die Stiftung nach sorgfältiger und strenger Prüfung für 23 solcher Vorhaben rund 43,2 Millionen Mark bewilligt.

    Kontakt: Dr. Stefan Liebig, Humboldt-Universität, Tel.: (030)2093-4298 oder -4439;
    Dr. Wolfgang Levermann, Volkswagen-Stiftung, Tel.: (0511)8381-212


    More information:

    http://www2.rz.hu-berlin.de/sowi


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    Criteria of this press release:
    Law, Philosophy / ethics, Politics, Religion
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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