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12/19/2005 15:59

Konflikt-Abbau im Zuckerstreit

Dr. Andreas Zehm Öffentlichkeitsarbeit
Koordinationssekretariat Sozial-ökologische Forschung (SÖF)

    Die geplante Reform des EU-Zuckermarktes wirft Konflikte zwischen den verschiedenen Interessengruppen auf / Gratwanderung der EU zwischen agrar-, industrie- und entwicklungspolitischen Zielen / Hamburger Wissenschaftler nutzen das Verfahren der "Partizipativen Modellierung", um das Konfliktpotenzial zu verringern und die zukünftige Entwicklung des Außenhandelsmarktes besser vorhersagbar zu machen.

    Kaum ein Agrarprodukt auf dem europäischen Markt ist so stark reguliert und subventioniert wie Zucker. Der Preis, der den Erzeugern (Zuckerrübenanbauern und verarbeitender Industrie) garantiert wird, liegt mehr als dreimal so hoch wie im Weltmarkt. Die Zeche zahlen die Konsumenten, die in der EU für Zucker und Süßwaren deutlich mehr berappen müssen als in anderen Regionen der Welt. Vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine radikale Reform des Zuckermarktes vorgelegt: Produktionsmengen und Preise sollen deutlich verringert werden; so wird der Preis für (verarbeiteten) Weißzucker innerhalb der kommenden zwei Jahre um 39 Prozent sinken. Allerdings wird die Kommission den betroffenen Landwirten für den Übergang einen finanziellen Ausgleich (bis zu 60 Prozent) gewähren.
    Die EU reagiert damit zum einen auf politischen Druck von Seiten der Welthandelsorganisation (WTO). Zum zweiten unterstützt diese Initiative die Bemühungen, im Rahmen des Gemeinsamen Agrarprogramms (GAP) Subventionen abzubauen. Vor allem spielen jedoch auch entwicklungspolitische Erwägungen im Rahmen der so genannten "Alles außer Waffen"-Initiative eine Rolle: Diese sieht vor, den Staaten der "am wenigsten entwickelten Länder der Erde" (Least Developed Countries, LDC) den Zugang zum europäischen Markt zu erleichtern.
    Die EU-Vorschläge treffen die Ansprüche unterschiedlichster Interessengruppen, vor allem der Landwirte, der Zucker- und der Süßwarenindustrie sowie von Verbraucherverbänden und Nord-Süd-Initiativen. Auch Regierungen der EU-Länder, vor allem die negativ betroffenen südeuropäischen Staaten, die WTO und andere internationale Organisationen sowie die LDC-Staaten sind betroffen.
    Ein Forschungsprojekt der Universität Hamburg will nun durch ein "computergestütztes Moderationsverfahren" dazu beitragen, in dieser unübersichtlichen Gemengelage von Interessen und Einschätzungen allen Beteiligten bessere Orientierungsmöglichkeiten zu verschaffen und einen Beitrag zur Konfliktbearbeitung zu leisten. Das Projekt ist Teil von "AgChange - Konflikte der Agrarwende", einem Forschungsprogramm, das im Rahmen des Schwerpunktes "Sozial-ökologische Forschung" seit 2000 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
    Derzeit ist es kaum möglich vorherzusagen, wie sich der europäische Zuckermarkt infolge der geplanten politischen Eingriffe in Zukunft entwickeln wird. Offene Fragen sind zum Beispiel: Wie stark und wie schnell wird der Import von Zucker aus den LDC-Ländern nach Europa zunehmen? Wie stark wird als Folge dieser Konkurrenz die europäische Zuckerproduktion sinken müssen? Wird möglicherweise infolge so genannter "Dreiecksgeschäfte" auch Zucker von Großproduzenten (zum Beispiel Brasilien) über den Umweg der LDC-Staaten nach Europa eingeführt? Verlässliche Antworten auf diese und andere "sensible" Fragen zu finden, wird derzeit durch die starken Interessensgegensätze der beteiligten Lobbygruppen behindert, die jeweils von unterschiedlichen Schätzungen, Annahmen und Vorausberechnung ausgehen.
    Das Hamburger Forschungsprojekt konzentriert sich auf die internationalen Aspekte des Zuckermarktes, das heißt auf die Außenhandelsperspektive der EU. Es hat dazu ein Moderations-Verfahren in Gang gesetzt, das den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Interessengruppen fördern, die jeweiligen Positionen klären und die bisher nur schwer überprüfbaren Schätzungen und Annahmen der jeweiligen Gruppen berechenbar machen soll ("System-dynamische partizipative Modellierung").
    In Kooperation mit der Nord-Süd-Initiative von Germanwatch hat das Projekt dazu Vertreter der verschiedenen Interessengruppen zu einem "Zuckerdialog" eingeladen, den die Hamburger Forscher von neutraler Warte begleiten und auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse gestalten. So müssen die Gesprächspartner ihre jeweiligen Einschätzungen, wie sich die Zuckermarkt-Novellierung auswirken wird, genau spezifizieren, das heißt in möglichst konkrete Zahlen fassen; die Wissenschaft spricht hier von "Formalisierung". Denn es ist erklärtes Ziel des Projektes, am Ende des Informationsaustausches zu übereinstimmenden Annahmen und Einschätzungen zu kommen, die möglichst von allen Beteiligten gemeinsam getragen werden. Diese Daten werden in ein Computermodell einfließen, das dabei hilft, zukünftige Entwicklungen verlässlicher als bisher zu prognostizieren. Die Forscher erwarten als Folge dieser Gesprächsrunde auch Lernprozesse bei allen Beteiligten.
    Ausgeklammert bleiben in dem Projekt zunächst die nationale und die europäische Perspektive der geplanten Umwälzungen im europäischen Zuckermarkt. "Die Interessenlagen in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union ist zur Zeit so heiß wie eine Feuerzangenbowle", begründet Projektleiter Manuel Gottschick diese Selbstbeschränkung.
    Ergebnisse dieses Forschungsprojektes werden auch auf dem Kongress "Impulse für Landwirtschaft und Ernährung - Ergebnisse der sozial-ökologischen Forschung" vorgestellt, der am 17. und 18. Januar 2006 im Harnack-Haus in Berlin stattfindet.

    Kontakt:
    Dr.-Ing. Manuel Gottschick, Universität Hamburg, Forschungszentrum für Biotechnologie, Gesellschaft und Umwelt, Ohnhorststraße 18, 22609 Hamburg; Tel. 040 42816-615; Email: gottschick@agchange.de


    More information:

    http://www.agchange.de - Projektinformationen
    http://www.sozial-oekologische-forschung.org - Informationen zu SÖF


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    Criteria of this press release:
    Biology, Economics / business administration, Environment / ecology, Law, Oceanology / climate, Politics, Social studies, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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