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09/28/1999 17:06

Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Dipl.Pol. Justin Westhoff UKBF-Pressestelle / MWM-Vermittlung
Universitätsklinikum Benjamin Franklin

    Oft gruselig, manchmal auch ein wenig amüsant
    Mediendienst Nr. 34/99 - Institutsportrait

    Wirklich "wie im Krimi" gestaltet sich oft die Arbeit der Gerichtsmediziner. Sie helfen der Polizei bei der Aufklärung von Mord und Totschlag. Sie sezieren Leichen, sie untersuchen die Erbsubstanz DNA aus Speichelproben oder suchen nach Giften, um Täter zu überführen und Tathintergründe aufzuklären. Nicht zuletzt haben sie auch mit lebenden Opfern zu tun, die auf Verletzungen untersucht werden.
    "Tatort" und Angelpunkt für die Gerichtsmedizin in Berlin und gelegentlich auch für Brandenburg ist die Freie Universität. Der mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnete Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) der FU, Prof. Dr.med. Dr.h.c. Volkmar Schneider, ist in Personalunion auch Chef des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin. Das der Gesundheitssenatorin unterstehende Landesinstitut übernimmt "Versorgungsaufgaben": in oft unglaublich rascher Zeit liefert es der Kriminalpolizei Anhaltspunkte und Beweise, wenn Verdacht auf ein Tötungsdelikt besteht. Das universitäre Institut hingegen widmet sich vornehmlich der Forschung, der Lehre und der Weiterentwicklung des Faches Rechtsmedizin. Für alle Medizinstudenten ist die Teilnahme an einem rechtsmedizinischen Kurs Pflicht, um als "fertige" Ärztinnen und Ärzte später korrekte "äußere Leichenschauen" vornehmen und Totenscheine ausstellen zu können.
    Seit nunmehr 16 Jahren hat sich diese Kombination so gut bewährt, daß man Berlin andernorts darum beneidet und Prof. Schneider auch außerhalb der Stadt als Gutachter gefragt ist. Von den jährlich 2.000 bis 2.500 Leichenöffnungen werden 50 Prozent im Landesinstitut und 25 Prozent im Institut für Rechtsmedizin der FU durchgeführt (das restliche Viertel an der Humboldt-Universität).
    Sind "Geschichten" aus der Gerichtsmedizin nun "gruselig", oder darf man sie mitunter auch als amüsant ansehen? Ein paar Beispiele:
    ° Kürzlich wurde ein 18 Jahre zurückliegender Mord aufgeklärt, nachdem der Täter aus anderen Gründen im Ausland festgenommen worden war. Ein Vergleich seiner DNA mit der, die sich an asservierten (eben 18 Jahre alten) Zigarettenkippen finden ließ, hatte ergeben, daß der Mann am Tag der Tat entgegen seiner Behauptung sehr wohl in der Wohnung des Opfers gewesen war.
    ° Zweieiige Zwillinge baten die FU-Rechtsmediziner um Hilfe. Ihre Frage: "Ist unser Vater wirklich unser Vater?" Die Eltern erklärten sich mit einem DNA-fingerprint einverstanden, einer hochmodernen, absolut zuverlässigen Methode unter anderem auch zum Vaterschaftsnachweis. Das Ergebnis: ein Kind stammte von dem Ehemann ab, das andere nicht. Medizinisch-sachlicher Nachsatz zur Erläuterung: Zweieiige Zwillinge müssen im Verlauf weniger Stunden gezeugt sein. Die Mutter war wohl anschließend in gewissen Erklärungsnöten.
    ° Die FU-Rechtsmediziner werden immer wieder um fachlichen Rat gefragt, so etwa von Drehbuchautoren für Fernsehkrimis. Eine Maskenbildnerin wollte genau erklärt haben, wie es aussieht, wenn eine Frau den erigierten Penis eines Mannes abbeißt. Nun ja, so etwas kommt in der Realität tatsächlich vor (wenigstens in den USA) - Schneider konnte helfen, nicht zuletzt mit Hilfe des von ihm herausgegebenen "Farbatlas Rechtsmedizin".
    Wie gesagt, die Einschätzung solcher Vorgänge mag Geschmacksache sein. Insgesamt jedoch lastet eine immense Verantwortung auf den Schultern der Ärztinnen und Ärzte für Rechtsmedizin am UKBF und im Landesinstitut. Sorgfalt steht im Mittelpunkt, denn von ihrer Arbeit hängt das Schicksal von Menschen ab. Und auch wenn Volkmar Schneider sagt, eine Obduktion sei "eigentlich nichts anderes als eine Operation unter nicht-sterilen Bedingungen", so sind doch manchmal die seelischen Belastungen groß, etwa bei zu Tode mißhandelten Kindern oder bei im Wortsinn zerstückelten Leichen.
    Die Rechtsmediziner um Prof. Schneider sind immer wieder in Groß-Prozesse eingebunden - als Beispiel seien nur das La-Belle- und das Mykonos-Verfahren genannt. In jüngster Zeit waren zudem unrühmlich-spektakuläre Fälle zu bearbeiten wie der Hubschrauber-Absturz mit vier toten Soldaten auf dem militärischen Teil des Flugplatzes Tegel oder die vier vor der israelischen Botschaft erschossenen Kurden.
    Die vielfältigen Aufgaben können in ihrer anerkannten Qualität nur bewältigt werden, wenn hochmotivierte und bestens ausgebildete Menschen, modernste Technik und eine ausgeklügelte Struktur dahinter stehen.
    ° Das FU-Institut für Rechtsmedizin leistet herausragende Forschung, zum Beispiel über die Weiterentwicklung von Methoden, über Drogensterblichkeit, über die Wirkungen des AIDS-Erregers HIV im Gehirn oder über die Wirkungen und die Verhütung von Zweirad-Unfällen. Dafür konnten immer wieder Drittmittel (etwa von der Deutschen Forschungsgemeinschaft) eingeworben werden.
    ° Schneider war bzw. ist Ausrichter aller wichtigen deutschen und vieler internationaler Tagungen zur Rechtsmedizin.
    ° Die letzte Begutachtung durch unabhängige Experten hat ergeben, daß das Hamburger und das Institut für Rechtsmedizin an der Freien Universität Berlin gemeinsam auf Platz 1 stehen.
    ° Habilitationen (Befähigung zum Professor) wurden in den letzten Jahren in Berlin ausschließlich vom FU-Institut vorgenommen. Mehrere ehemalige Mitarbeiter Schneiders sind mittlerweile andernorts auf Lehrstühle berufen worden.
    ° Die beiden Schneider unterstehenden Institute sind Kern eines Netzes der gerichtlichen und sozialen Medizin. Enge Verbindungen bestehen nicht nur mit dem Institut für Forensische Psychiatrie der FU, sondern u.a. auch mit dem Brandenburgischen Institut für Rechtsmedizin (Potsdam mit Außenstelle Frankfurt/Oder), der JVA Tegel oder der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.
    In jüngster Zeit wurden angesichts der Sparzwänge der öffentlichen Hand Überlegungen geäußert, eines der drei Berliner gerichtsmedizinischen Institute zu schließen. Diesen Notwendigkeiten will sich Professor Schneider keineswegs verschließen.
    Eine Vermengung von "polizeilichen" Aufgaben (die aus verständlichen Gründen zeitlich immer Vorrang haben müssen) und der Forschung und Lehre, so Professor Schneider, würde aber dazu führen, "daß mindestens einer der beiden Bereiche Schaden nehmen würde". Die Zweiteilung, bei der die Kosten vom "Verursacher" (Polizei bzw. Gesundheitsverwaltung zum einen, Universität zum anderen) getragen werden, gewährleistet auch in Zukunft die notwendige Transparenz. Eine Aufgabe der Personalunion andererseits würde den Verzicht auf Synergieeffekte bedeuten.
    Sicher ist, daß eine Konzentration der Kräfte in Berlin-Dahlem stattfinden müßte, wo die Rechtsmedizin über Neubauten bzw. sanierte Bauten verfügt. Eine Zusammenlegung würde hier also vergleichsweise sehr geringe Kosten verursachen, während eine Sanierung der Charité-Rechtsmedizin 27 Millionen Mark verschlingen würde.
    Schon jetzt wurde die Frage an die FU herangetragen, ob die Hörsaalkapazität für die Ausbildung der Studierenden an beiden Berliner medizinischen Universitäten ausreicht. Nach Auskunft von Prof. Schneider und des zuständigen Prodekans für Studium und Lehre am UKBF, Professor Manfred Gross, wäre eine Aufstockung kein Problem, wenn dies von politischer Seite gewünscht wird.
    Zudem könnte ein solcher Schritt - auch wenn er erst in einigen Jahren vollzogen würde - Berlin dem Ziel näher bringen, ein "Zentrum für Forensische Wissenschaften" zu schaffen, das national eine Führungsrolle übernehmen und international dem Wissenschaftsstandort weiteres Renommee verschaffen könnte.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Volkmar Schneider
    Institut für Rechtsmedizin der FU
    Hittorfstraße 18, 14195 Berlin
    Tel.: (030) 030/8445-1301; Fax: 030/8445-1353
    E-Mail: remed@zedat.fu-berlin.de
    Tel. im Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin Berlin:
    (030) 39701-291
    Pressekontakt:
    UKBF-Pressestelle / MWM-Vermittlung
    Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
    Tel.: (030) 803 96 86; Fax: 803 96 87
    e-mail: ukbf@mwm-vermittlung.de
    Abdruck bzw. Verwendung frei. Belegexemplar erbeten an MWM-Vermittlung


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    regional
    Research projects, Science policy
    German


     

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