Forschungsteam der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg und der Universität Ulm entwickeln Heim-Gehtrainer für gelähmte Patienten /
Innovationspreis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
Gelähmt - und dennoch wieder mobil auf eigenen Beinen? Ein Forschungsteam der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg entwickelt derzeit eines der ersten Therapiegeräte, mit dessen Hilfe Patienten ihre Gehfähigkeit zu Hause trainieren können. Gemeinsam mit Kooperationspartnern der Universität Ulm (Leitung von Professor Dr. Eberhard Hofer) wurden die Heidelberger Forscher im November 2005 mit dem Innovationspreis Medizintechnik 2005 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ausgezeichnet. Das Projekt wird mit rund 300.000 Euro vom BMBF gefördert.
"Von einem Gehtraining profitieren querschnittgelähmte Patienten, deren Rückenmark nur zum Teil zerstört ist, sowie Patienten, die wegen eines Schlaganfalls nicht mehr sicher laufen können", erklärt Professor Dr. Hans Jürgen Gerner, Ärztlicher Direktor der Abteilung Orthopädie II an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, dessen Abteilung eine der größten Zentren Deutschlands für die Versorgung Querschnittsgelähmter ist. Das neue Gerät soll Patienten die Chance eröffnen, das in der Klinik begonnene Gehtraining zu Hause fortzusetzen und so langfristig bessere Erfolge zu erzielen.
Klinische Studien: Gehroboter verbessert Gangfähigkeit
Eine internationale Forschungskooperation unter Beteiligung der Heidelberger Arbeitsgruppe hat den Nachweis erbracht, dass die Gehfunktion von inkomplett Querschnittgelähmten durch den Einsatz von Gehrobotern verbessert werden kann. Die Roboter stehen erst seit kurzem als aufwendige Großgeräte an einigen Universitätskliniken und Rehabilitationskliniken in Deutschland zur Verfügung. Die Patienten laufen in einem motorgetriebenen Gehapparat, der ihre Beinbewegungen auf einem Laufband unterstützt. Ein Gurthaltesystem entlastet sie zum Teil von ihrem Körpergewicht; der Gehrhythmus wird flexibel angepasst. Die Patienten trainieren - je nach Typ und Ausmaß der Lähmung - phasenweise bis zu viermal pro Woche und bis zu eine Stunde pro Tag.
Physiologische Grundlage des Gehtrainings ist die Tatsache, dass die Nerven im Rückenmark nicht nur Signale vom und zum Gehirn weiterleiten, sondern selbständig einfache Schreitmuster erzeugen können. Die Funktion dieses "spinalen Mustergenerators" kann schon bei Neugeborenen beobachtet werden: Lässt man sie auf einer festen Unterlage "laufen", werden unwillkürlich Gehbewegungen ausgelöst, obwohl sie das Gehen noch längst nicht erlernt haben. Dieser Mechanismus wird durch einige Schlüsselreize in Gang gesetzt, wozu u.a. die richtige Belastung der Fußsohlen gehört
Physiologisches Gehtraining trainiert Neurone im Rückenmark
"Die Neuronennetzwerke im Rückenmark der gelähmten Patienten werden beim Gehen auf dem Laufband stimuliert, und können durch die ständige Wiederholung der Bewegungen trainiert werden", erklärt Dipl.-Ing. Rüdiger Rupp, Leiter des Forschungsteams an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg. In klinischen Studien haben die Heidelberger Wissenschaftler festgestellt, dass ein regelmäßiges Gehtraining die Ausdauer, Stabilität und Schnelligkeit des Gangs verbessert.
Um die positiven Effekte der Bewegungstherapie bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt nach der Rückenmarkverletzung nutzen zu können, wurde von der Heidelberger Arbeitsgruppe in Kooperation mit dem Paraplegikerzentrum Balgrist in Zürich ein aktives Stehbrett entwickelt, das inzwischen von der Firma "hocoma" in Lizenz kommerziell vertrieben wird. In einer Studie an Hochquerschnittgelähmten konnte die stabilisierende Wirkung auf lähmungsbedingte Steuerungsdefekte des Herz-Kreislaufsystems nachgewiesen werden. Ein positiver Einfluss auf die Osteoporose als Folge der Lähmung wird vermutet, entsprechenden Studien haben bereits begonnen.
Heimtrainer soll in den nächsten drei Jahren entwickelt werden
In Deutschland erleiden jährlich 1.200 Menschen eine teilweise Querschnittlähmung; rund 300.000 Menschen tragen eine Lähmung als Folge eines Schlaganfalls davon - darunter zunehmend jüngere Patienten. Die Gehfähigkeit wieder zu erlangen, ist eines der wichtigsten Ziele der Rehabilitation, nicht nur für die Rückkehr in das frühere Berufsleben, sondern auch für die persönliche Lebensqualität. Mit den neu entwickelten Großgeräten stehen im klinischen Umfeld erstmals effektive Methoden zur Verbesserung der Gehfähigkeit bereit. Allerdings gibt es derzeit keine Möglichkeit, die intensive Mobilisationstherapie auch im häuslichen Bereich fortzuführen.
An diesem Punkt setzt das Projekt der Forschungsteams aus Heidelberg und Ulm an: Während der nächsten drei Jahre soll ein Heimtrainer entwickelt werden, der einfach zu bedienen und individuell an die Bedürfnisse des Patienten anpassbar ist. Anders als bei den Großgeräten wird der Patient halb liegend eingespannt. Seine Beine werden durch pneumatische Pumpen regelmäßig im Gangrhythmus bewegt. Auch für die Bewegungstherapie andere Patientengruppen könnte ein derartiges Gerät möglicherweise zum Einsatz kommen, zum Beispiel zur Mobilisierung älterer Menschen oder bei Patienten, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk erhalten haben.
Ansprechpartner:
Professor Dr. Hans Jürgen Gerner
Direktor Abteilung Orthopädie II
Telefon: +49 6221 96 6321
Fax: +49 6221 96 6345
Sekretariat Frau Höfer
E-Mail: erika.hoefer@ok.uni-heidelberg.de
Dipl.-Ing. Rüdiger Rupp
Tel.: +49 6221 / 96 9230
Fax: +49 6221 / 96 9234
E-Mail: Ruediger.Rupp@ok.uni-heidelberg.de
Literatur:
Wirz M, Zemin DH, Rupp R, Scheel A., Colombo G, Dietz V, Hornby TG
Effectiveness of automated locomotor training in patients with chronic incomplete spinal cord injury: a multicenter trial
Archives Phys Med Rehabil, 2005, Apr; 86(4):672-80.
http://www.orthopaedie.uni-hd.de/
http://www.hocoma.ch
http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/1107.php
Patient beim Gehtraining im Lokomat der Klinik
Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg
None
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research projects, Research results
German
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