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10/19/1999 16:37

Hoffnung auf bessere Schulsituation für Legastheniker

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Die Lese-Rechtschreibschwäche namens Legasthenie, von der fast fünf Prozent der deutschen Schulkinder betroffen sind, hat eindeutig genetische Ursachen. Im Gehirn eines Legasthenikers lassen sich neurobiologische Veränderungen finden, wobei die Zusammenarbeit von verschiedenen Hirnregionen gestört ist. Dies wurde bei einer Tagung berichtet, die vom 7. bis 10. Oktober 1999 an der Universität Würzburg stattfand.

    Der 13. Fachkongress des Bundesverbandes Legasthenie, dessen 25-jähriges Jubiläum es zu feiern galt, wurde in Kombination mit dem "International Symposium on Dyslexia" im Philosophiegebäude der Universität am Hubland abgehalten. Dabei kamen führende Wissenschaftler aus aller Welt und aus Fachrichtungen wie Pädagogik, Psychologie und Medizin zusammen, um über die aktuellen Forschungsergebnisse zur Früherkennung, Behandlung, Verlauf und Ursachen der Legasthenie zu informieren. Rund 1.400 Teilnehmer waren zu verzeichnen.

    Bezüglich der Ursachen der Legasthenie ging es unter anderem um die Lautbewusstheit. Darunter versteht man die Fähigkeit, einzelne Laute getrennt wahrzunehmen oder miteinander zu verbinden. Untersuchungsergebnisse aus England, Deutschland, Schweden, Dänemark und anderen Ländern zeigen, dass diese Fähigkeit eine Grundvoraussetzung für den Erwerb der Lese- und Rechtschreibfähigkeit ist. Unterstützt werden diese Befunde durch die Hirnforschung: Wenn sich Legastheniker mit Aufgaben zur Lautbewusstheit beschäftigen, dann ist ihre linke Gehirnhälfte im Bereich von sprachverarbeitenden Regionen geringer aktiviert.

    Dass bei legasthenen Jugendlichen bereits die Sprachwahrnehmung anders erfolgt und das Gehirn bei der Sprachverarbeitung weniger stark aktiviert ist, zeigt die Bedeutung der Sprachwahrnehmung für diese Lese-Rechtschreibschwäche auf. Versuche, die mögliche Basis der Störung der Lautbewusstheit anhand von akustischen Wahrnehmungstests zu diagnostizieren, wurden bei der Tagung aufgezeigt.

    Deutlich langsamer und qualitativ unterschiedlich verarbeitet das Gehirn der Legastheniker einzelne Wörter. Dem liegen möglicherweise visuelle Verarbeitungsstörungen zugrunde, die mit dem System der großzelligen Hirnareale in Verbindung gebracht werden. Wie Gerd Schulte-Körne aus Marburg erstmals zeigte, treten bei der visuellen Wahrnehmung Störungen der rechten Gehirnhälfte auf. Dass bereits die Korrektur von Fehlsichtigkeiten und Bewegungsstörungen des Auges der erste Schritt zu einer Verbesserung der visuellen Wahrnehmung sein kann, erörterte Schäfer aus Würzburg.

    Einen Überblick über die aktuellen genetischen Befunde gab der Würzburger Humangenetiker Tiemo Grimm. Zwei Genregionen, eine auf Chromosom 15 und eine auf Chromosom 6, scheinen eine große Bedeutung für die Lese-Rechtschreibstörung sowie für die Lautbewusstheit und das orthografische Wissen zu besitzen.

    Ein weiteres Thema war die Frühförderung von Legasthenikern. So stellte der Psychologe Wolfgang Schneider aus Würzburg dar, dass der Erwerb von Lese- und Rechtschreibfähigkeiten bereits in den ersten Grundschuljahren sehr positiv beeinflusst werden kann, und zwar durch Singspiele sowie durch eine Förderung der Lautunterscheidung und der Sprachrhythmik. Welche Bedeutung lautanalytische und orthografische Fähigkeiten für die Entwicklung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit haben, zeigt auch die so genannte Wiener Längsschnittstudie. Außerdem lässt sich in den ersten Grundschulklassen ein Einfluss der Lehrmethoden auf den Verlauf der Legasthenie feststellen.

    Hinsichtlich der Förderung von Legasthenikern wurden Übersichten über das Förderangebot und vor allem über die bewährten methodischen Ansätze gegeben. Empfohlen wurden sowohl der Einsatz von Lautgebärden als auch ein regelgeleitetes Eltern-Trainingsprogramm. Auch Computerprogramme zur Förderung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit wurden vorgestellt. Zudem fanden 20 Praxisseminare statt, bei denen es um Fördermöglichkeiten für zu Hause und in der Schule, um die Feststellung der Lese-Rechtschreibschwäche und um Fördereinrichtungen ging.

    Die vorgetragenen Forschungsergebnisse sollten dazu beitragen, die Legasthenie besser zu verstehen und ihre Diagnostik und Therapie zu verbessern. Dies erscheint umso nötiger, als sich den Veranstaltern zufolge die Situation der Legastheniker in den vergangenen Jahren kaum entscheidend verbessert habe: Nach wie vor würden bundesweit Kinder mit einer Legasthenie so behandelt, als ob sie dumm und faul wären.

    Der Bundesverband Legasthenie habe seit seiner Gründung vor 25 Jahren darum gekämpft, im staatlichen Bildungs- und Gesundheitswesen über die Probleme dieser Kinder und Erwachsenen aufzuklären und auf eine Verbesserung ihrer Situation hinzuwirken. Vor diesem Hintergrund dürfte eine in Würzburg geäußerte Ankündigung für Freude gesorgt haben: Wie die Veranstalter der Tagung mitteilen, wolle das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus - bei der Tagung war Ministerialrat Hartwig zu Gast - in den kommenden Wochen einen Erlass vorlegen, der die Legasthenie in allen Schulformen angemessen berücksichtige: Die Rede ist von einer Notenaussetzung bei den Rechtschreibleistungen, von vermehrten mündlichen Prüfungen, Zeitzuschlägen bei schriftlichen Leistungsabfragen sowie von der Aus- und Weiterbildung der Lehrer. All dies werde die Situation der Kinder mit Legasthenie deutlich verbessern.

    Weitere Informationen: Prof. Dr. Tiemo Grimm, T (0931) 888-4076, Fax (0931) 888-4069, E-Mail:
    tgrimm@biozentrum.uni-wuerzburg.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Psychology, Teaching / education
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Research results, Scientific conferences
    German


     

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