Jena. (02.11.99) Die Ergebnisse der humangenetischen Forschung werden das nächste Jahrhundert maßgeblich prägen, prophezeit Prof. Dr. Uwe Claussen. Der Direktor des Instituts für Humangenetik und Anthropologie an der Universität Jena hält zwar die "anthropotechnischen Visionen" des Philosophen Peter Sloterdijk, der einen "Menschenpark" idealer Klone voraussieht, für denkbar unrealistisch. Dennoch ließen sich mit Hilfe der vorgeburtlichen Diagnostik genetisch vorgeprägte Eigenschaften - wie Intelligenzquotient, bestimmte Körpermerkmale oder Krankheitsrisiken - bereits beim Ungeborenen feststellen, so dass praktisch eine "Eugenik von unten" durch Wunschkind-versessene Eltern betrieben werden könne.
Claussen sieht darin zwar keine biologischen Risiken, "denn am Genpool der Menschheit verändert das nichts." Jedoch könnte sich in der Folge eine neurotische Gesellschaft entwickeln, in der sichtbar Behinderte kaum noch vorkämen. Dabei werde gerade das weltweite Humangenom-Projekt beweisen, dass es den normalen Menschen gar nicht gebe, sagte Claussen dem Uni-Journal Jena in seiner neuesten Ausgabe. "Die Breite der Pathologie ist das Normale."
Ohne menschliche Solidarität gegenüber Schwächeren werde ein Zusammenleben in der Gemeinschaft künftig noch weniger möglich sein, meint der Mediziner. Das gelte z. B. auch für die Praxis privater Versicherungsträger, genetische Krankheitsrisiken abzufragen und in die Beitragsberechnungen einfließen zu lassen. "Gesellschaftlich wird jeder, dessen genetische Krankheitsprädisposition bekannt ist, automatisch stigmatisiert", warnt Claussen, "Die anderen sehen in ihm bereits den künftig Kranken, selbst wenn er in den nächsten 10, 20 Jahren mit Sicherheit keinerlei Symptome entwickeln wird." Auch für den Betroffenen bedeute dieses Wissen eine hohe psychische Belastung. Als Konsequenz fordert Claussen ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Nichtinformiertsein und Nichtwissen.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Uwe Claussen
Tel.: 03641/935501
E-Mail: ucla@mit-n.mit.uni-jena.de
Vollständiger Wortlaut des Interviews auf Anfrage oder im Internet unter http://www.uni-jena.de/journal
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
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