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04/13/2006 11:03

Spuren der Vielfalt - fast ausgestorben

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    1,85 Millionen Euro bewilligt: VolkswagenStiftung bringt sieben Vorhaben zur Dokumentation bedrohter Sprachen auf den Weg.

    Die VolkswagenStiftung unterstützt mit rund 1,85 Millionen Euro sieben weitere Projekte in ihrer Initiative zur "Dokumentation bedrohter Sprachen". Diese Förderinitiative hat zum einen das Ziel, sowohl die Wissenschaft als auch die Öffentlichkeit für die Problematik "aussterbender Sprachen" zu sensibilisieren. Vor allem aber geht es darum, die in ihrer Existenz bedrohten Sprachkulturen so weit aufzuzeichnen, dass spätere Generationen von Linguisten anhand des dokumentierten Materials noch die ganze Sprache beschreiben können. So soll zumindest verhindert werden, dass Sprachen verschwinden, ohne im kulturellen Gedächtnis der Welt eine Spur zu hinterlassen. Unter anderem wurden jetzt folgende Projekte - für jeweils drei Jahre - bewilligt:

    1.) 267.900 Euro für das Vorhaben "Documentation of Vurës and Vera'a, the two surviving endangered languages of Vanua Lava, Vanuatu" von Dr. Catriona Hyslop vom Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Kiel - in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Raymond Amman, Ethnologisches Seminar der Universität Basel, Sabine Claudia Hess vom Department of Anthropology der Australian National University, Katherine Holmes vom American Museum of Natural History in New York, Chanel Sam von der Forest Conservation Unit am Vanuatu Herbarium, Dr. Nicholas Thieberger vom Department of Linguistics and Applied Linguistics der University of Melbourne und Professorin Dr. Ulrike Mosel vom Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Kiel;

    2.) 289.200 Euro für das Vorhaben "Documenting Movima, an unclassified language of the Moxos region (Bolivia)" von Dr. Katharina Haude vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Köln;

    3.) 299.600 Euro für das Vorhaben "A multi-media documentation of verbal and non-verbal communication among the Tima (Sudan)" von Professor Dr. Gerrit Jan Dimmendaal vom Institut für Afrikanistik der Universität Köln.

    Es folgen zunächst Informationen zu diesen Vorhaben, im Anschluss daran ein Überblick der weiteren neu bewilligten Sprachdokumentationsprojekte.

    Zu 1.
    Das an der Universität Kiel angesiedelte, international aufgestellte Vorhaben ist ein exzellentes Beispiel für eine deutsch-amerikanisch-australische Forschungskooperation. Die Wissenschaftler bewegen sich dabei in einer idealen Region, liegen die zu analysierenden bedrohten Sprachen doch auf einer Insel - eine Lage, die gerade mit Blick auf bestimmte Forschungsfragen einer Sprachdokumentation von Vorteil ist. Gemeint ist die Insel Vanua Lava in der südpazifischen Inselrepublik Vanuatu mit ihren 2.000 Einwohnern. Vier Sprachen werden dort noch aktiv gesprochen, von denen zwei jedoch mit lediglich drei beziehungsweise zehn Sprechern so gut wie ausgestorben sind. Im Zentrum des Forscherinteresses stehen daher die beiden "größeren" Sprachen Vera'a und Vurës, erstere wird noch von zwei- bis dreihundert Personen benutzt, letztere von rund tausend. Vera'a ist folglich die gefährdetere Sprache - auch, weil sie nicht nur von Englisch und Französisch als den beiden Nationalsprachen Vanuatus bedroht wird, sondern zudem von der Kreol-Sprache Bislama und der indigenen Sprache Mota, darüber hinaus sogar von Vurës. Vera'a gilt als schwierig zu lernen und wird daher von Nicht-Muttersprachlern ausgespart. Einer fast ebenso ernsten Bedrohungssituation sieht sich das Vurës ausgesetzt. Beide Sprachen sind - wie die meisten anderen 106 Sprachen der Republik Vanuatu - so gut wie unbeschrieben und undokumentiert.

    Die Forscher wollen sich im Zuge ihrer Dokumentation schwerpunktmäßig fünf Themen widmen: Von Interesse sind zum einen - im Umfeld "Küste und Meer" - Namen der verschiedenen Tierarten sowie Fischereimethoden und die Bedeutung der Fischerei für das Leben der Menschen. Mit Blick auf das Untersuchungsgebiet "Wald" geht es um die Sammlung von Baumnamen, die Beschreibung traditioneller Heilpflanzen, von Baumaterial oder Zuchtpflanzen. Drittens wollen die Wissenschaftler Musik, Gesang und Tänze dokumentieren; dazu zählt unter anderem auch die Dokumentation des Webens von Grashemden und der Körperbemalung. Ferner von Interesse ist das Alltagsleben mit seinen Gesprächen und Sprachstilen, sind öffentliche Reden, tägliche kulturelle Aktivitäten, die Körpersprache - oder auch der Umgang mit Konflikten. Schließlich soll die spezielle "Zeremoniesprache" bei Hochzeiten, Trauerfeierlichkeiten oder Geburten dokumentiert werden. Im Zuge des Vorhaben streben die Forscher darüber hinaus an, ein web-basiertes Multimedia-Lexikon zum Bislama zu erstellen und eine Multimedia-Installation für das Vanuatu-Museum.
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    Kontakt
    Universität Kiel
    Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft
    Dr. Catriona Hyslop
    Telefon: 0431 880 2413
    E-Mail: c.hyslop@latrobe.edu.au
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    Zu 2.
    Die Nachwuchsforscherin Katharina Haude von der Universität Köln wird eine Sprache der Indio in Bolivien dokumentieren, das Movima. Von der rund 6.500 Personen umfassenden ethnischen Gruppe beherrscht nur noch knapp ein Viertel die Muttersprache, wobei alle Sprecher älter als 40 Jahre sind und auch das Spanische im Alltagsleben verwenden. Von Bedeutung ist, dass es eine eindeutige Beziehung gibt zwischen Erziehung, sozialer Situation und Sprachkompetenz: Die besten Sprecher des Movima sind in der Regel jene mit der geringsten Schulbildung. Doch gerade sie erhalten zu bestimmten Zeiten hohe Anerkennung für ihre Sprachkenntnisse - und zwar während der katholischen Feste. Denn dann wird das Movima von allen, die dieser Sprache mehr oder minder mächtig sind, ausschließlich gesprochen.

    Movima ist linguistisch interessant, da sich bislang keine Verwandtschaft zu irgendeiner Sprache oder Sprachfamilie finden ließ. Hinzu kommt eine Reihe sprachlicher Besonderheiten wie die Enkodierung der zeitlichen Information nicht über das Verb, sondern über pronominale Elemente. Auch besteht eine Vielzahl von Verdoppelungsprozessen, die unterschiedliche grammatikalische Funktionen markieren. Ziel der Forscherin ist es daher, eine systematisch gesammelte und annotierte Dokumentation des Movima zu erstellen - mit besonderem Blick auf die Beschreibung der Begriffe für Flora und Fauna sowie der katholischen Riten, in denen Movima bevorzugt gesprochen wird. Im Fokus stehen zugleich die linguistischen Besonderheiten der Sprache. Zu den verschiedenen zu sammelnden Texttypen gehören persönliche Erzählungen über den Alltag, Lebensgeschichten, "historische" Erzählungen, Beschreibungen des Lebensstils, Gespräche und small talk sowie persönliche Äußerungen zur Wertschätzung der eigenen Sprache. Eine begleitende ethnographische Dokumentation erschließt ergänzend den Aspekt von Sprache als Abgrenzungsmechanismus von anderen Sprechergemeinschaften und als Identitätskonzept.
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    Kontakt
    Universität Köln
    Institut für Sprachwissenschaft
    Dr. Katharina Haude
    Telefon: 0221 470 5639
    E-Mail: katharina.haude@uni-koeln.de
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    Zu 3.
    Ziel von Professor Dr. Gerrit Jan Dimmendaal von der Universität Köln ist die Dokumentation des Tima, das zu den Niger-Kongo-Sprachen gehört. Tima wird von einer kleinen Gemeinschaft in den sudanesischen Nuba-Gebirgen gesprochen. Dieses Gebiet von der Größe Belgiens beeindruckt mit seiner Fülle an 40 dort vorkommenden Sprachen, keine einzige jedoch ist wissenschaftlich bislang dokumentiert oder bearbeitet. Auch fehlen genaue Angaben darüber, wie viele Menschen die einzelnen Sprachen derzeit beherrschen. Wissenschaftler schätzen nach ersten Arbeitsaufenthalten vor Ort, dass rund 4000 Personen in vier Dörfern in den Nuba-Gebirgen und rund tausend Sprecher rund um Khartum Tima gebrauchen. Sie alle sind jedoch multilingual und können sich zum Teil in vier bis fünf Sprachen verständigen. Linguistisch ist das Tima besonders interessant, da es ein komplexes System von Vokalharmonie, eine sich nach dem Informationsgehalt richtende Satzstellung sowie eine Ergativ-Markierung zur Bezeichnung des Handlungsträgers bei transitiven Verben besitzt.

    Im Zuge des Projekts will Dimmendaal mit seinem deutsch-sudanesischem Team unterschiedliche Texttypen mit Video und Audio aufnehmen, diese transkribieren und annotieren. Dazu gehören Erzählungen ebenso wie Riten, Dialoge oder Liedtexte. Die Erstbeschreibung der Sprache soll durch Consultants aus der Sprechergemeinschaft erfolgen, die ihrerseits auf diesem Weg linguistisches Basiswissen erhalten. Des Weiteren plant der Forscher etwas Besonderes: Er will, als Beispiel für nicht-verbale Kommunikation, bei den Tima Tänze dokumentieren. Denn in der Kultur der Tima ist es möglich, durch das Tanzen zu sprechen. Die Tanzdokumentation wird durch Informationen über den soziokulturellen Kontext ergänzt. Darüber hinaus soll ein Tima-Arabisch-Englisch-Lexikon entstehen, das mit Tonaufnahmen und Bildern von kulturellen Materialien verlinkt ist. Abgerundet wird die geplante Dokumentation durch eine phonologische, morphosyntaktische und pragmatische Skizze sowie einen soziolinguistischen Survey.
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    Kontakt
    Universität Köln
    Institut für Afrikanistik
    Prof. Dr.Gerrit Jan Dimmendaal
    Telefon: 0221 470 2708
    E-Mail: gerrit.dimmendaal@uni-koeln.de
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    Des Weiteren wurden in der Förderinitiative "Dokumentation bedrohter Sprachen" folgende vier Bewilligungen ausgesprochen:

    4.) 312.200 Euro für das Vorhaben "The documentation of Yuracaré" von Dr. Erik van Gijn vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen - in Zusammenarbeit mit Dr. Vincent Hirtzel vom Collège de France in Paris und Professor Dr. Stephen C. Levinson vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen;

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    Kontakt
    Max-Planck-Institut für Psycholinguistik
    Dr. Erik van Gijn
    Telefon: 0031 24 3521911
    E-Mail: r.vangijn@let.ru.nl
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    5.) 303.100 Euro für das Vorhaben "Documentation of hunter-gatherer languages in contact: Semoq Beri and Batek of Peninsular Malaysia" von Dr. Nicole Kruspe vom Department of Linguistics and Applied Linguistics der University of Melbourne - in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Bernard Comrie vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig;
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    Kontakt
    University of Melbourne
    Department of Linguistics and
    Applied Linguistics
    Dr. Nicole Kruspe
    Telefon: 0061 3 83445488
    E-Mail: nkruspe@unimelb.edu.au
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    6.) 96.500 Euro für das Vorhaben "Towards a multimedia dictionary of the Marquesan and Tuamotuan languages of French Polynesia" von Dr. Gabriele H. Cablitz vom Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Kiel - in Zusammenarbeit mit Professorin Dr. Ulrike Mosel, ebenda, und Peter Wittenburg vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen;
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    Kontakt
    Universität Kiel
    Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft
    Dr. Gabriele H. Cablitz
    Telefon: 0431 880 2413
    E-Mail: gabycablitz@hotmail.com
    Prof. Dr. Ulrike Mosel
    Telefon: 0431 8802414
    E-Mail: umosel@linguistik.uni-kiel.de
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    7.) 281.800 Euro für die Fortsetzung des Vorhabens "Documentation of two Endangered Languages of Nepal: Chintang and Puma" von Professor Dr. Balthasar Bickel vom Institut für Linguistik der Universität Leipzig.
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    Kontakt
    Universität Leipzig
    Institut für Linguistik
    Prof. Dr. Balthasar Bickel
    Telefon: 0341 973 7604
    E-Mail: bickel@rz.uni-leipzig.de
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    Kontakt

    VolkswagenStiftung
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 05 11 8381 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Förderinitiative Dokumentation bedrohter Sprachen
    Dr. Vera Szöllösi-Brenig
    Telefon: 05 11 8381 218
    E-Mail: szoelloesi@volkswagenstiftung.de
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    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter http://www.volkswagenstiftung.de/service/presse.html?datum=20060413


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Media and communication sciences, Philosophy / ethics, Religion, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Science policy
    German


     

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