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11/15/1999 09:22

Neue Pilzarten aus den Bohrgängen von Borkenkäfern

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Biologie

    Borkenkäfer richten in manchen Wäldern großen Schaden an. Obwohl über die Käfer schon einiges bekannt ist, wissen die Forscher bisher wenig über die Pilze, mit denen die Fraßschädlinge häufig vergesellschaftet sind. Der Biologe Dr. Roland Kirschner von der Universität Tübingen hat Käfer und Pilze genauer unters Mikroskop genommen und das Ökosystem in den Bohrgängen der Borkenkäfer erforscht.


    Einblick in den Fraßgang

    Neue Pilzarten aus den Bohrgängen von Borkenkäfern

    Eine bis anderthalb Millionen Arten Pilze soll es nach Schätzungen von Wissenschaftlern weltweit geben. Nur etwa jede zehnte Art wurde bisher genauer beschrieben. Viele der noch unentdeckten Pilze werden in tropischen Regenwäldern vermutet. Doch so weit mußte der Tübinger Biologe Dr. Roland Kirschner nicht reisen, um gleich mehrere neue Pilzarten aufzuspüren. Er hat in den Bohrgängen von Borkenkäfern in heimischen Bäumen das Zusammenleben der Fraßschädlinge mit Pilzen untersucht.

    Schon seit 1844 war bekannt, daß Borkenkäfer in ihren Fraßgängen häufig mit Pilzen vergesellschaftet leben. Von den etwa hundert Borkenkäferarten in Deutschland lebt eine Gruppe im Holz der Bäume, das sie aber nicht verdauen können. Diese Käfer grasen die Pilzrasen ab, die in ihren Gängen wachsen. Dafür tragen die Borkenkäfer, die mit ihrem großen Appetit im Holz erhebliche wirtschaftliche Schäden anrichten, zur Verbreitung der Pilze bei. Doch auch eine zweite Gruppe von Borkenkäfern ist häufig mit Pilzen vergesellschaftet, ohne auf sie angewiesen zu sein. Diese Käfer leben im Bast der Baumborke, wo sie nährstoffreiches Pflanzengewebe zur Verfügung haben. Bekanntes Beispiel einer solchen Borkenkäfer-Pilz-Gemeinschaft ist ein ulmenspezifischer Käfer, der zusammen mit den Pilzarten Ophiostoma ulmi und Ophiostoma novo-ulmi das verheerende Ulmensterben in Mitteleuropa verursacht hat.

    Über die meisten Pilzarten in Borkenkäfergängen ist jedoch bisher nicht viel bekannt. Kirschner hat daher in seiner Doktorarbeit zunächst festgestellt, welche Arten in den versteckten Biotopen der rindenbrütenden Borkenkäfer überhaupt vorkommen. Bei der Untersuchung von rund 4500 Borkenkäfern, die er nach den großen Stürmen 1990 im Südwesten Deutschlands auf befallenen Sturmwurfflächen gesammelt hat, fand der Biologe etwa 200 verschiedene Pilzarten. Einige davon entdeckte er neu. Eine dieser Arten, nun Atractocolax pulvinatus (Heterobasidiomyceten) genannt, ähnelte den bisherigen Arten so wenig, daß im System der Pilze eine neue Gattung daraus wurde. Das Bestimmen der Pilze aus den Bohrgängen ist mühsam, denn sie haben nicht die Größe von Fliegenpilz oder Champignon, sondern sind mikroskopisch klein und ähneln sich teilweise untereinander stark.

    Kirschner wollte sich nicht darauf beschränken, die sichtbaren Pilze in den Borkenstücken zu bestimmen. Er hat eigens ein naturnahes Medium entwickelt, auf dem auch die Pilze auswuchsen, die nur als winzige Sporen an den Käfern hafteten: In kleinen Schalen legte er Buchenspäne oder Fichtenbast auf wäßrigem Medium aus und setzte jeweils einen Borkenkäfer darauf. In den folgenden Wochen zeigten sich auch die Pilzarten, die der Käfer in seinen Gängen unfreiwillig aufgesammelt hatte. Die meisten der Arten gehörten zu den Schlauchpilzen (Ascomyceten) oder den "Fungi imperfecti", die sich noch nicht sicher in das Verwandtschaftssystem der Pilze einordnen lassen. Doch der Biologe hat auch einiges über die ökologische Funktion der verschiedenen Pilze herausgefunden: Einige leben in den Fraßgängen wie überall auf Holz und Streu, manche leben parasitisch auf Insekten oder den Wirtsbäumen der Borkenkäfer. Andere tun sich an den Nematoden, kleinen Würmern, gütlich, die ebenfalls im Ökosystem Borkenkäfergang vorkommen. Nutzen aus der weiteren Forschung an Borkenkäfer-Pilz-Gesellschaften könnten nach Einschätzung von Kirschner sowohl die Forstwirtschaft als auch die pharmazeutische Industrie ziehen. (3442 Zeichen)

    Fressen und gefressen werden

    Tübinger Biologe untersucht das Zusammenleben von Borkenkäfern und Pilzen

    Wenn nach einem starken Sturm zahlreiche Bäume im Wald abgeknickt sind, hat die Stunde der Borkenkäfer geschlagen. Die Käfer mit den schönen Namen "Buchdrucker" oder "Kupferstecher" fressen sich in die Borke der toten, aber noch nährstoffhaltigen Stämme ein, manche Arten befallen auch geschädigte oder gesunde lebende Bäume. Sie richten damit großen wirtschaftlichen Schaden an. Doch sind die Borkenkäfer häufig nicht allein, zahlreiche Pilze sind mit ihnen vergesellschaftet. Einen tiefen Einblick in die Bohrgänge der Borkenkäfer hat der Tübinger Biologe Dr. Roland Kirschner in seiner Doktorarbeit gewonnen.

    In Deutschland gibt es etwa hundert verschiedene Arten von Borkenkäfern. Den größten Teil ihres Lebens verbringen sie in der Borke der Bäume, wo sie auch ihre Brut aufziehen und als Larven leben. Die Konkurrenz der Käfer ist so groß, daß sich viele Arten auf Laub- oder Nadelbäume spezialisiert haben oder sogar nur bestimmte Baumteile besiedeln wie die Wurzeln, dünne oder dicke Äste. Eine große Gruppe der verschiedenen Borkenkäferarten brütet im nährstoffreichen Bast, wo die Käfer an den Versorgungsleitungen des Baumes gut leben können. Eine zweite Gruppe, die im Holz der Baumstämme lebt, ist immer mit Pilzen vergesellschaftet. Da die Käfer das Holz nicht verdauen können, leben sie von den Pilzrasen, die in den Bohrgängen wachsen. Diese Pilze werden auch Ambrosiapilze genannt. "Um die Pilze zu neuen Wirtsbäumen zu transportieren, haben die Käfer an ihrem Außenskelett, in der harten Kutikula, Einstülpungen für die Pilzsporen, sogenannte Mycetangien oder Mycangien", erläutert Kirschner das enge Zusammenleben. Daß Pilze in den Fraßgängen der Käfer wachsen, wurde bereits 1844 zum ersten Mal von einem Forscher beschrieben. Auch die rindenbrütenden Borkenkäfer, bei denen die Versorgungslage mit Nahrung an sich nicht so schlecht aussieht, leben häufig mit Pilzen vergesellschaftet.

    "Ein besonders bekanntes Beispiel des Zusammenlebens von Borkenkäfer und Pilz ist ein ulmenspezifischer Käfer, der mit den Pilzen Ophiostoma ulmi und novo-ulmi zusammen auftritt", sagt Kirschner. Dieses gefährliche Trio verursacht das Ulmensterben. Käfer und Pilze unterstützen sich dabei gegenseitig, die Abwehr des Wirtsbaumes zu überwinden. "Die Symbiose ist sehr effektiv, durch sie sind Ulmen in Mitteleuropa selten geworden", macht der Forscher das Ausmaß der Schäden deutlich. Bei vielen Pilzarten werden die Verbreitungsformen, die Sporen, aktiv weggeschleudert. Nicht so bei den Ophiostoma-Pilzen, bei denen die Sporen sich in schleimigen Paketen sammeln, die an den Käfern kleben bleiben und dadurch verbreitet werden. Die Pilze sind in diesem Fall für die Verbreitung von den Borkenkäfern stark abhängig. Manche Ophiostoma-Arten richten direkt wirtschaftlichen Schaden, weil sie die sogenannte Blaufäule verursachen und das Holz beim Besiedeln braun oder blau verfärben, was den Wert des Holzes mindert.

    Kirschner hat sich in seiner Doktorarbeit auf die mit rindenbrütenden Borkenkäfern assoziierten Pilze konzentriert, die teilweise in die gleiche Gruppe gehören wie Ophiostoma ulmi. Er wollte zunächst erforschen, welche Pilzarten überhaupt mit den Borkenkäfern zusammen vorkommen und hat daher nach den großen Stürmen im Südwesten Deutschlands 1990 Proben von befallenen Bäumen auf verschiedenen Sturmwurfflächen im Schönbuch genommen, außerdem bei Bad Waldsee und Ulm-Langenau. Arbeit macht vor allem das Bestimmen: Sowohl die Käfer als auch die Pilze mußten genau identifiziert werden. Da es aber nicht um die bekannten großen Pilze mit Stiel und Hut ging wie Pfifferling oder Champignon, war das Bestimmen eine mühsame Angelegenheit. Mikroskopisch klein sind die Pilze aus den Borkenkäfergängen und die Arten sind in manchen Stadien kaum voneinander zu unterscheiden. "Darunter waren auch einige neue, bisher unbeschriebene Arten", sagt Kirschner, der insgesamt 200 verschiedene Pilze in den Proben gefunden hat. Die meisten dieser Arten gehören zu den Schlauchpilzen (Ascomyceten) oder den sogenannten Fungi imperfecti, die sich noch nicht endgültig in das Verwandtschaftssystem der Pilze einordnen lassen. Eine neue Art ähnelte den bisher bekannten Pilzen so wenig, daß sie in eine neue Gattung gestellt wurde - von dem Biologen Atractocolax (Heterobasidiomyceten) getauft. Atractocolax besitzt besondere, reißnagelartige Strukturen, die Colacosomen, die für eine parasitische Lebensweise des Pilzes typisch sind.

    Nach Schätzungen von Wissenschaftlern gibt es weltweit eine oder anderthalb Millionen Arten Pilze. Höchstens zehn Prozent der Arten kennt man bereits. Zwar werden die meisten neuen Arten in den weitgehend unerforschten tropischen Regenwäldern vermutet, doch zeigen die Forschungen von Kirschner, daß auch vor unserer Haustür noch zahlreiche Entdeckungen zu machen sind. Obwohl Pilze traditionell häufig zu den Pflanzen gestellt wurden, bilden sie eigentlich eine eigene Gruppe. Sie haben keine Blätter oder Blüten und können nicht wie Pflanzen das Sonnenlicht zur Energiegewinnung nutzen. Sie leben stattdessen häufig auf nährstoffhaltigem Material, das schon halb zersetzt ist oder parasitieren an Pflanzen, Tieren, dem Menschen oder wiederum anderen Pilzen. Unter dem Mikroskop ist zu erkennen, daß Pilze aus sogenannten Hyphen bestehen, langen Ausläufern, die Geflechte bilden, die Mycelien.

    "Wenn man nur die Baumteile mit den Bohrgängen der Käfer herauslöst und die Pilze bestimmt, erhält man nicht das gesamte Spektrum der vorkommenden Arten", erklärt Kirschner. Das liegt daran, daß die Pilze zunächst in ihrer Transportform als winzige Sporen in die Gänge gelangen und manche Arten andere schnell überwachsen. Sollen bestimmte Pilze kultiviert werden, bieten die Pilzforscher ihnen ein optimales Nährmedium, das an die speziellen Wuchsbedingungen angepaßt ist. Kirschner hat jedoch Medien entwickelt, mit denen er praktisch alle Pilzsporen zum Auswachsen bringen kann, die an den Borkenkäfern hafteten: Er hat in kleinen Schalen sterile Buchenspäne und Fichtenbast auf wäßrigem Medium ausgelegt und die Borkenkäfer aus den gesammelten Proben einzeln hineingesetzt. "Solche Substrate sind naturnah und haben den Vorteil, daß die Pilze nicht nur wachsen, sondern auch die für die Bestimmung wichtigen Fortpflanzungsorgane bildeten", erklärt Kirschner. Außerdem konnte er bei der großen Zahl von etwa 4500 gesammelten Borkenkäfern auch abschätzen, wie häufig die Pilzarten jeweils vorkamen.

    Die rund 200 Pilzarten hat der Biologe jedoch nicht nur systematisch nach ihrer Verwandtschaft bestimmt, sondern auch ihre ökologische Rolle untersucht. Die neu entdeckten Pilzarten und die Kenntnis ihrer Eigenschaften und Lebensweise könnten in der Forstwirtschaft bei der Bekämpfung von Borkenkäferplagen eingesetzt werden. Auf jeden Fall bleibt im Borkenkäfergang noch vieles zu erforschen. Denn neben Borkenkäfern und Pilzen leben in den Wirtsbäumen noch andere Insekten, Bakterien und Nematoden, kleine Würmer. Kirschner hat Pilzarten gefunden, die als Parasiten auf Insekten oder Pflanzen leben, generell Holz oder Streu besiedeln, aber auch Pilze, die lebende Nematoden befallen. Die Nematoden leben häufig auf den Borkenkäfern, beide können wiederum Pilze fressen oder aussaugen. Dieses Zusammenleben scheint ein eigenes kleines Ökosystem im Bohrgang zu bilden. (7314 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Dr. Roland Kirschner
    Botanisches Institut -Spezielle Botanik/Mykologie
    Auf der Morgenstelle 1
    72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 32 88
    Fax 0 70 71/29 53 44

    Vom 20. bis 28. November 99 ist Herr Dr. Kirschner nicht zu erreichen.

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html

    Unter dieser Adresse sind auch Abbildungen einsehbar, die auf Wunsch per e-mail verschickt werden können.


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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