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12/20/1999 16:40

Interimperiale Genmanipulation

Peter Pietschmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    Interimperiale Genmanipulation
    Von der schwarzen Eva und anderen genetischen Konstanzen

    Die Festellung, »Dass sich tatsächlich der heutige Mensch, was den genetischen Code betrifft, von der 'schwarzen Eva', die vor zirka zweihunderttausend Jahren lebte, nicht unterscheidet« (Robert Spaemann unlängst in der FAZ), kann uns nicht mehr sonderlich beeindrucken. Denn wir wissen ja mittlerweile, daß wir nicht nur mit der schwarzen Eva vollkommen genidentisch, sondern auch mit Schimpansen zum Beispiel immerhin hochgradig genidentisch sind. Eher schon finden wir erstaunlich, daß Übereinstimmungen in genetischen Codes auch vor jener Barriere nicht haltmachen, die zwischen den Imperien des Lebendigen liegt, zwischen dem Reich der Tiere und dem der Pflanzen. Diese interimperiale genetische Ähnlichkeit und bisweilen sogar Identität zeigt nicht nur evolutionäre Zusammenhänge zwischen Fauna und Flora an, sondern auch die unglaubliche Konstanz und Unverwüstlichkeit genetischer Codes, die sich an einer frühen entwicklungsgeschichtlichen Station herausgebildet und dann für pflanzliche und tierische Lebensvorgänge gleichermaßen als sehr geeignet und offenbar nicht mehr verbesserungsfähig erwiesen haben.

    Einem solchen hochkonservierten Gen und dem von ihm kodierten Protein ist Prof. Dr. Joachim Kirsch, Leiter der Abteilung Anatomie und zelluläre Neurobiologie der Universität Ulm, begegnet. Kirsch untersucht die proteingetragenen Strukturen und Funktionen des Zytoskeletts. Für dessen Aufbau sowohl als auch für die zellulären Mechanismen der Signalübertragung und der davon abhängenden Lebensfunktionen bedarf es einer Vielzahl unterschiedlicher Proteine. Kürzlich nun konnte der Ulmer Anatom ein von ihm »Gephyrin« getauftes Eiweiß identifizieren. Es ist mit den Mikrotubuli, wichtigen Bestandteilen des Zytoskeletts, vergesellschaftet und für die Akkumulation von Neurotransmitterrezeptoren in der postsynaptischen Membran verantwortlich, der für die Erregungsübertragung spezialisierten Kontaktstelle von Nervenzellen. Weitere Untersuchungen erwiesen eine überraschende interspezielle Ähnlichkeit dieses Eiweißes, nicht nur über Stammes-, sondern auch Reichsgrenzen hinweg, so - außer für den Menschen und andere Säuger - für Escherichia coli, das bekannte Darmbakterium, die nicht weniger bekannte Taufliege Drosophila melanogaster, das »Haustier« der Genetiker, und die Pflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand). Mehr noch: das für Gephyrin kodierende Gen ließ sich in dieser enormen taxonomischen und phylogenetischen Entfernung zwischenartlich austauschen. Die genetische Bauanleitung führte bei allen genannten Arten zur Synthese des funktionsfähigen Eiweißes.

    Das Polypeptid Gephyrin bindet an die Mikrotubuli, die für die Neurotransmitter als Übermittler nervaler Impulse große Bedeutung haben. Mikrotubuli sind maßgeblich an der Abwicklung des innerzellulären Transports beteiligt. Gephyrin gewährleistet die Akkumulation der Neurotransmitterrezeptoren an der postsynaptischen Membran. Sowohl bei Säugetieren als auch Pflanzen ist das Eiweiß an der Synthese des Molybdän-Cofaktors, eines Bestandteils wichtiger Stoffwechselenzyme, beteiligt. Beim Menschen führt das Fehlen des Molybdän-Cofaktors zu schweren neurologischen Symptomen. Die Betroffenen leiden unter Muskelsteifheit (Rigor), Opisthotonus, einem Krampf der Rückenmuskulatur mit Rückwärtsbeugung des Rumpfes, und schwersten epileptischen, medikamentös nur schwer beherrschbaren Anfällen. Bei den Pflanzen äußert sich das Fehlen des Cofaktors in verlangsamter Entwicklung und kümmerlichen, zerknitterten und vergilbten Blättern. Prof. Kirsch konnte nun in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ralf Mendel vom Botanischen Institut der Technischen Universität Braunschweig zeigen, daß eine solcherart geschädigte Pflanze gentechnologisch dazu gebracht werden kann, das Polypeptid Gephyrin der Ratte zu synthetisieren, das für die Erzeugung des Cofaktors erforderlich ist. Nach der Gentherapie genas die Pflanze und wurde wieder grün und saftig.

    Das mutet wie ein Stück aus dem Laboratorium des Herrn Famulus Wagner an. Auch wenn hier kein Homunculus erzeugt wurde, ist doch die Vorstellung phantastisch genug, eine Pflanze mit Rattengenen zu kurieren. Der daran anknüpfende Gedanke, pflanzliche Gene für gentherapeutische Zwecke am Menschen einzusetzen, ist es nicht weniger. Eine konkrete Rede kann von solchen Therapien in der Gegenwart allerdings noch nicht sein. Die Forschungsergebnisse, die Prof. Kirsch vorgelegt hat, werfen zunächst einmal ein sehr eindrucksvolles Schlaglicht auf die entwicklungsgeschichtliche Verwandtschaft von Pflanzen und Säugetieren. Doch ist die Fähigkeit von Teilen des - in diesem Fall tierischen, der Ratte gehörenden - Genoms, interartlich, mit einem Riesenspagat zwischen Pflanzen- und Tierreich zu funktionieren, darüber hinaus außerordentlich suggestiv. Sie ist suggestiv genug, den medizinischen Horizont, der hierbei, wenn auch noch entfernt, ins Blickfeld kommt, nicht mehr aus dem Auge zu verlieren.


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results
    German


     

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