Hartmut Rosa ist neuer Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität Jena
Jena (13.07.06) Kennen Sie das auch? Es geht schon am frühen Morgen los: der Wecker klingelt, es bleibt kaum Zeit zum Frühstücken, denn der Radiomoderator drängt zur Eile. Man hastet durch den Berufsverkehr, kaum an der Arbeitsstelle angelangt, folgt ein Termin auf den nächsten. "Stress und Hektik sind heute Alltagsphänomene. Es gibt kaum jemanden, der sich diesen nicht ausgeliefert fühlt", konstatiert Hartmut Rosa. Der neu berufene Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena analysiert die soziale Beschleunigung unserer Zeit und ist damit einem Paradoxon auf der Spur. "Obwohl wir mit immer besseren technischen Mitteln immer mehr Zeit 'gewinnen', haben wir doch das Gefühl immer weniger Zeit zu 'haben'", so Rosa.
Diesem Phänomen der "Zeitnot" widmete sich der 40-Jährige auch in seiner 2004 abgeschlossenen Habilitationsschrift, die vor wenigen Monaten unter dem Titel "Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" im Suhrkampverlag erschienen ist. Doch während sich viele Menschen bereits an den Grenzen ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit sehen, werden andere aus der Dynamisierungsspirale förmlich heraus katapultiert. "Wer arbeitslos wird, hat plötzlich ein Übermaß an freier Zeit", kritisiert der Jenaer Sozialphilosoph, der in dieser Diskrepanz eine gesellschaftliche Fehlentwicklung sieht.
Hartmut Rosa studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der Universität in Freiburg i. Br. und an der London School of Economics and Political Science in London. An der Humboldt-Universität Berlin promovierte er 1997 zum Dr. rer. soc. Anschließend kam Rosa als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum ersten Mal an das Institut für Soziologie der Universität Jena. Ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung führte ihn 2001 für ein Jahr als Gastprofessor an die New School University nach New York. Seither nimmt er alle zwei Jahre eine Gastprofessur mit Lehr- und Forschungstätigkeit dort wahr. 2004 vertrat Prof. Rosa den Lehrstuhl für Politikwissenschaft und Politische Theorie an der Universität Duisburg/Essen, anschließend hatte er für zwei Semester die Lehrstuhlvertretung für Politische Wissenschaft an der Universität Augsburg inne. In Jena arbeitet Hartmut Rosa derzeit u. a. in einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs "Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung". Darin untersucht er, was Menschen dazu bewegt, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Doch nicht nur als Wissenschaftler an der Universität Jena ist Hartmut Rosa ein kritischer Beobachter sozialer Entwicklungen. So bringt er regelmäßig pointierte An- und Einsichten in einer Kolumne in der deutschen Ausgabe der "Le Monde diplomatique" zu Papier. Einer seiner letzten Artikel handelte von den Schwierigkeiten heutiger Arbeitsnomaden, sich auf eine Stadt und ihre Menschen einzulassen. "Jemand, der den siebten Ortswechsel innerhalb weniger Jahre hinter sich hat und vielleicht einen Arbeitsvertrag, der nur noch ein halbes Jahr läuft, den interessiert, wo es einen Bäcker gibt und wo einen Supermarkt - mehr nicht", weiß Rosa aus eigener Erfahrung. Vielleicht auch deshalb will er selbst nicht schon wieder umziehen und hat gerade u. a. einen Ruf als Professor an die Universität St. Gallen abgelehnt. "Ich habe hier in Jena gute Arbeitsbedingungen gefunden, deshalb bleibe ich", begründet er seine Entscheidung.
Kontakt:
Prof. Dr. Hartmut Rosa
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945511
Fax: 03641 / 945512
E-Mail: hartmut.rosa[at]uni-jena.de
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