Unklare Konzepte für Auslandseinsätze der Bundeswehr
Gütersloh, 31. Juli 2006. Angesichts der wachsenden Zahl von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und einer diffusen Erwartungshaltung an die Rolle der Bundeswehr fordert die Bertelsmann Stiftung die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts habe sich die klar bestimmbare Sicherheitslage Deutschlands in eine unübersichtliche Situation mit einer Vielzahl diffuser sicherheitspolitischer Bedrohungen gewandelt. Die Bandbreite reiche dabei von internationalem Terrorismus, über die Proliferation von Atomwaffen und Staatszerfall bis zur Sicherung von Energieimporten. Die vermehrte Übernahme deutscher Verantwortung im internationalen Kontext werde sowohl in Deutschland als auch im Ausland von einer ständig wachsenden Erwartungshaltung nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr begleitet. Dr. Klaus Brummer, Sicherheitsexperte der Bertelsmann Stiftung: "Spätestens nach der Diskussion um den Kongo-Einsatz ist jetzt eine Klärung unausweichlich geworden. Wegen der Vielzahl der gegebenen Begründungen ist bis heute umstritten, weshalb sich genau Deutschland und seine europäischen Partner im Kongo oder anderenorts engagieren. Und spätestens seit der neuen Diskussion über einen denkbaren Einsatz deutscher Soldaten in einer Friedenssicherungsmission im Nahen Osten offenbart sich ein grundlegendes Problem deutscher Sicherheitspolitik: Es fehlt eine nationale Sicherheitsstrategie."
Unter dem Stichwort "Transformation" versuche die Bundeswehr derzeit ihre Fähigkeiten dem gewandelten Anforderungsprofil anzupassen. Bei leeren Kassen, spannungsgeladenen Reformprozessen sowie mehrjährigen Entwicklungszyklen beim Material sei dies kein leichtes Unterfangen. Klaus Brummer: "Die größte Kluft existiert jedoch zwischen den Erwartungen und den eigenen Fähigkeiten auf der einen und der konzeptionell-strategischen Grundlage für das eigene Handeln auf der anderen Seite. Diese Lücke kann nur eine Sicherheitsstrategie schließen. Deren Aufgabe bestünde darin, die "W-Fragen" des außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Handelns Deutschlands zu klären. Antworten müssten gefunden werden auf die Fragen: Wann wird man aktiv? Wo, sprich an welchen Orten? Wie, d.h. mit welchen konkreten Mitteln? Schließlich warum, also für welche Ziele setzt man sich ein, und mit wem?"
Das angekündigte Weißbuch des Bundesverteidigungsministers sei keine adäquate Antwort auf dieses Erfordernis. Es könne den Anforderungen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs und der Handlungsmaxime des vernetzten Handelns, bei der die gesamte Palette der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen bzw. zivilen, zivil-militärischen und militärischen Instrumente eines Landes politikfeldübergreifend in einen kohärenten Gesamtansatz gebündelt werden, nicht gerecht werden. Auch die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) könne keine zufrieden stellende Antworten auf die W-Fragen geben. Denn zu vage sei darin die Verbindung zwischen Bedrohungsanalyse und den abzuleitenden Instrumenten bzw. Maßnahmen.
Klaus Brummer: "Diese Gründe machen eine nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland notwendig. Neben der Analyse der Herausforderungen und Bedrohungen muss eine Sicherheitsstrategie die vitalen Interessen Deutschlands definieren. Sie muss Mittel, Instrumente und Partner benennen, die zur Umsetzung der Interessen notwendig sind, sowie klären, in welchen Fällen ein Eingreifen erforderlich ist. Wie wichtig ein solches Dokument ist, zeigt die weithin unstrukturierte Diskussion um den Einsatz deutscher Soldaten im Kongo, die neue Unsicherheit ob der Rolle der Bundeswehr in Afghanistan und auch die Diskussionen über die Bedingungen eines Einsatzes im Rahmen einer Friedenstruppe für den Nahen Osten."
Rückfragen an: Dr. Klaus Brummer, Verteidigungs- und Sicherheitsexperte der Bertelsmann Stiftung, Telefon: 0 52 41 / 81-81 313; E-Mail: klaus.brummer@bertelsmann.de
http://www.bertelsmann-stiftung.de
Criteria of this press release:
Law, Politics
transregional, national
Research projects, Research results
German
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