Jenaer Physiekr und Mediziner haben den Prototypen eines Geraets entwickelt, das im klinischen Einsatz die magnetokardiographischen Signale des Herzens messen kann. Nach weiteren technischen Verbesserungen, der Produktion einer Kleinserie und einer umfassenden klinischen Multicenterstudie soll das Geraet im klinischen Alltag die Herzinfarkt-Diagnostik wesentlich verbessern koennen.
Jena (01.02.00) Der Herzinfarkt ist ein Chamäleon. Viele Patienten klagen nur über Schmerzen im Arm, in der Schulter oder im Oberbauch, und auch die Standarddiagnose mit dem EKG liefert nur bei rund 60 % einen eindeutigen Befund. Einerseits braucht ein akuter Infarktpatient sofortige intensivmedizinische Hilfe, andererseits können die Ärzte nicht auf bloßen Verdacht hin eine Lysetherapie einleiten, weil die Gefahr von Nebenwirkungen zu groß ist. Ein neues Verfahren, das berührungsfrei die biomagnetischen Signale des Herzens misst, könnte diese Diagnoselücke künftig schließen. Festkörperphysiker um Prof. Dr. Paul Seidel haben gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe der Klinik für Innere Medizin III um Dr. Uwe Leder das weltweit erste mobile Gerät entwickelt, um auf Intensivstation magnetokardiographische Signale zu registrieren.
Für den nächsten Schritt vom Prototypen zur Kleinserie, damit diese Methode kardiologisch-diagnostisch in mehreren Krankenhäusern intensiv getestet werden kann, fehlen allerdings derzeit rund eine Million Mark Fördermittel. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass uns der Bund oder der Freistaat Thüringen bei diesem aussichtsreichen Projekt unterstützt", hofft Seidel. Allerdings sei dann eher ein industrieller Ansatz für diese angewandte Forschung gefragt, ergänzt er mit Blick auf die Ilmenauer medis Medizintechnik GmbH, die seit 1995 an den bislang vom Bundesforschungsministerium geförderten Arbeiten beteiligt ist.
Das Verfahren der Magnetokardiografie (MKG) ist seit fast 30 Jahren bekannt, ist aber bislang nur in elektrisch und magnetisch streng abgeschirmten Räumen einzusetzen. Dabei werden jene Magnetfelder aufgespürt, die im Herz durch die bioelektrische Aktivierung der Muskulatur in schöner Regelmäßigkeit entstehen. Nur wenige Billionstel Tesla beträgt die Flussdichte dieser Magnetfelder, schon die kleinste Störung durch eine banale Steckdose in der Nähe macht die Messung unmöglich. Und gerade auf einer mit Hightech-Apparaten vollgestopften klinischen Intensivstation sind die elektromagnetischen Verhältnisse für diese Methode geradezu katastrophal. Selbst gegen das permanente Magnetfeld der Erde, das im Millionstel-Tesla-Bereich liegt, benötigt die Magnetokardiografie einen Schutz.
Paul Seidel indes ficht das nicht an. Schon in den siebziger Jahren unternahmen Jenaer Physiker erste Experimente mit unabgeschirmten MKG-Geräten, weil sie sich zu DDR-Zeiten die Ausstattung eines teuren Spezialraums nicht leisten konnten. Inzwischen gibt es zwar längst das Biomagnetische Zentrum am Jenaer Uniklinikum, aber die früheren Forschungen bildeten jetzt die ideale Erfahrungsgrundlage für die Entwicklung eines mobilen MKG.
"Schließlich kann man nicht jeden Infarktpatienten umständlich in eine der wenigen Biomagnetischen Diagnoseeinrichtungen bringen", erläutert Dr. Gero Schwarz, der unmittelbare klinische Projektpartner Seidels. "Was wir brauchen, ist ein preiswertes mobiles Gerät, das an das Patientenbett gebracht werden kann." Genau dieses Einsatzfeld peilt Seidels Team an. Für die akute Infarktdiagnose ist nämlich ein so differenziertes Signal, wie es im abgeschirmten Hightech-Areal gemessen werden kann, gar nicht erforderlich. "Unser Gerät macht nur zwei relativ grobe Messungen in etwa einstündigem Zeitabstand", erläutert Seidel, "wenn sich dabei stark veränderte Kurven ergeben, betrachten wir dies als mögliches Infarkt-Anzeichen."
Der Messaufwand mit dem staubsaugergroßen Gerät, das wie ein Arm über das Patientenbett geschoben wird, ist nur gering, der interne Prozess bei der Messung und Signalverarbeitung allerdings überaus komplex. Zwei kleine Antennen in vier Millimeter Abstand, ein so genanntes Gradiometer, nehmen die Magnetfeld-Signale über dem Patientenherz auf und leiten sie an den eigentlichen Sensor weiter. Es wird gar nicht das absolute Magnetfeld gemessen, sondern nur die räumlichen Unterschiede, quasi aus zwei Perspektiven.
Außerdem befasst sich eine aufwendige Software damit, Störsignale herauszufiltern. "Diese TriggerProzesse sind alles andere als trivial", meint Paul Seidel. "Es haben viele gezweifelt, ob das überhaupt funktioniert." Als "Herzstück" der Anlage dienen hochempfindliche SQUIDS, also Spezialchips zur Magnetfeldmessung, die unter Supraleitung bei minus 169 °C arbeiten. Die dafür nötige Flüssigstickstoff-Kühlung besorgen medizintechnische Kryostaten, die bereits in Dresden serienmäßig produziert werden.
"Gemessen an den ungeheuren objektiven Schwierigkeiten, die Herzsignale zu erfassen, funktioniert bereits die Prototypen-Anlage sehr gut", fasst Dr. Gero Schwarz den augenblicklichen Stand zusammen. "Aber bevor sie eine Zulassung als Krankenhaus-Standard-Equipment erhält, bedarf es der weiteren Optimierung und vor allem umfangreicheren klinischen Studien". Und dies wird sicher noch einige Jahre dauern...
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Paul Seidel
Tel.: 03641/947410
Fax: 947412
E-Mail: seidel@ifk.uni-jena.de
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Criteria of this press release:
Mathematics, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Physics / astronomy
transregional, national
Research results
German
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