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03/02/2000 18:42

Heidelberger Langzeitstudie zeigt, dass Frauen oft Jahrzehnte unter Magersucht leiden

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Studie im Lancet Research Letter vorgestellt: "Der Langzeitverlauf der Anorexia nervosa: Ergebnisse einer Untersuchung 21 Jahre nach Erstbehandlung" - Autoren: Stephan Zipfel, Bernd Löwe, Christine Buchholz, Deborah L. Reas, Hans-Christian Deter, Wolfgang Herzog

    In den vergangenen Jahren wurde eine beachtliche Anzahl von Studien zum Langzeitverlauf von Anorexia nervosa publiziert. Diese Studien zeigen, dass eine Besserung der Symptomatik oder eine Heilung viel Zeit brauchen und oft erst Jahre nach Behandlungsbeginn erreicht werden. Angesichts dieser Erkenntnis fällt auf, dass die Studien zumeist nur einen kurzen Beobachtungszeitraum einschließen und wenig Informationen über somatische Variablen enthalten. Aus diesem Grunde untersuchten Wissenschaftler der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg in einem multidimensionalen Design Patientinnen mit Anorexia nervosa 21 Jahre nach der Erstbehandlung. Die Ergebnisse wurden nun im Lancet Research Letter veröffentlicht.

    Eine durch vorherige Längsschnitt-Untersuchungen gut dokumentierte Stichprobe von 84 Patientinnen mit Anorexia nervosa, die nach den Kriterien von Feighner (1972) diagnostiziert war, wurden nach einer mittleren Periode von 21,3 Jahren erneut untersucht. Zum Einsatz kamen ein psychiatrisches Interview, Fragen zur medizinischen Anamnese, standardisierte psychologische Fragebögen, eine Blutentnahme, eine Knochendichtemessung sowie bei einem Teil der Patientinnen eine Magnetresonanzspektroskopie des Schädels.

    Von der Ausgangsstichprobe waren zum Zeitpunkt der Untersuchung 16,7% der Patientinnen (=14) verstorben. Von den noch lebenden Patientinnen konnten 90% (=63) für die Nachuntersuchung gewonnen werden. Die Patientinnen waren im Mittel 41,9 Jahre alt. Eine komplette Untersuchung wurde bei 65,1% (=41) der Patientinnen durchgeführt. Die restlichen Patientinnen wurden mit Fragebögen oder Telefoninterviews untersucht.

    Ergebnisse
    14,3% der Patientinnen (=12) mit einer Anorexia nervosa verstarben an den direkten Folgen der Erkrankung. Dies entspricht einer fast zehnfach erhöhten standardisierten Mortalitätsrate. Zwei ehemalige Patientinnen waren aus anderen Gründen verstorben (metastasiertes Rektumkarcinom, Asthmaanfall). Die häufigsten Todesursachen waren Infektionen, Dehydratation und Suizid. Zum Todeszeitpunkt lag bei den meisten Patientinnen das Vollbild einer Anorexia nervosa vor. Somit stellt die Anorexia nervosa in diesem Altersspektrum die psychosomatische/ psychiatrische Erkrankung mit der schlechtesten Prognose dar.

    Bei den überlebenden Patientinnen waren in den meisten Fällen nicht mehr alle diagnostischen Kriterien für eine Anorexia nervosa vorhanden. Drei Patientinnen wurden als "Eating disorder not otherwise specified (EDNOS)" klassifiziert. Bei sieben Patientinnen lag eine Anorexia nervosa, purging type, vor. Nur bei einer Patientin wurde eine Anorexia nervosa, restricting type, diagnostiziert. Gleichzeitig fand sich eine große Gruppe von Patientinnen (20.8%, n=16) mit mittlerem Verlaufsergebnis, bei denen zwar nicht die Volldiagnose einer Anorexia nervosa vorlag, die aber dennoch an einigen Symptomen einer Anorexia nervosa litten. Bei 50.6% der überlebenden Patientinnen (=39) kann von einem guten Verlaufsergebnis ausgegangen werden.

    Hinsichtlich der psychosozialen Situation der ehemaligen Patientinnen fanden sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen mit gutem, mittlerem und schlechtem Verlaufsergebnis. Die Teilgruppe mit einem schlechten Verlauf hatte im Durchschnitt 99 Fehltage/Jahr im Vergleich zur Gruppe mit partieller Heilung, bei der noch im Schnitt 40 Fehltage/Jahr zu verzeichnen waren und der gesundeten Gruppe mit durchschnittlich 4 Fehltagen. Auch in den Bereichen Arbeitsfähigkeit, Familienstand und psychosoziales Funktionsniveau wurde eine hohe psychosoziale Desintegration bei den Patientinnen mit persistierender Anorexia nervosa deutlich.

    Als signifikante Prädiktoren für den Verlauf der Ess-Störung konnte die Dauer bis zur Aufnahme in eine spezialisierte Einrichtung, die Schwere der psychologischen und sozialen Einschränkung als auch der Subtypus der Anorexia identifiziert werden. Gewichtsspezifische Parameter wie Ausgangsgewicht und die Gewichtsentwicklung während des initialen stationären Aufenthaltes waren weitere signifikante Prädiktoren für den Verlauf der Ess-Störung.

    Schlussfolgerungen

    In dieser Studie wurde der Langzeitverlauf der Anorexia nervosa bei ursprünglich 84 Patientinnen dargestellt. Die Teilnahmequote lag bei 90%. Es zeigte sich eine hohe, mit Anorexia nervosa assoziierte Mortalität (15.6%). Bei 10.4% der überlebenden Patientinnen muss auch noch nach 21 Jahren die Volldiagnose von Anorexia nervosa gestellt werden, 20.8% der Patientinnen zeigten ein mittleres Verlaufsergebnis, während bei 50.6% der Überlebenden von einer vollständigen Heilung ausgegangen werden kann. Zwischen den drei Verlaufsgruppen fanden sich signifikante Unterschiede hinsichtlich Arbeitsfähigkeit, Familienstand und psychosozialem Funktionsniveau im Sinne der Erwartungen.

    Insgesamt belegen die Ergebnisse die Schwere und Chronizität der Anorexia nervosa. Die Ergebnisse verweisen auf die große Bedeutung frühzeitiger Identifikation und effektiver Behandlungsstrategien dieser Störung.

    Rückfragen bitte an:
    Dr. med. Stephan Zipfel (Oberarzt der Abteilung)
    Dr. med. Dipl.-Psych. Bernd Löwe
    Medizinische Universitätsklinik Heidelberg, Abteilung Allgemeine Klinische und Psychosomatische Medizin (Ärztl. Direktor: Prof. Dr. W. Herzog)
    Tel. 06221 568669 oder 562764, Fax 06221 565988
    E-mail: stefan_zipfel@ukl.uni-heidelberg.de

    oder:
    Dr. Michael Schwarz, Pressesprecher der Universität Heidelberg, Tel. 06221 542310, Fax 06221 542317, michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results
    German


     

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