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09/23/1997 00:00

Politbüro förderte DDR-Medaillienschmiede

Jürgen Abel M. A. Pressestelle
Universität Bayreuth

    23. Spetmber 1997 Potsdamer Sporthistoriker beim 13. Sportwissenschaftlichen Hochschulkongress in Bayreuth:

    Medaillenschmiede der DDR wurde vom Politbuero gefoerdert

    Professor Teichler: Politbueromitglieder wussten auch von Doping-Praktiken

    Bayreuth (UBT). Das Politbuero der ehemaligen DDR war in ungeahntem und bislang unbekanntem Ausmass mit sportlichen Themen, insbesondere mit dem Leistungssport beschaeftigt. Insofern waren die Praktiken des DDR-Leistungssports keineswegs von unwissenden und lediglich medaillengeblendeten Sportfunktionaeren forciert, sondern von oberster Stelle abgesegnet. Dies sind Ergebnisse sporthistorischer Forschungen, die der Potsdamer Professor Dr. Hans-Joachim Teichler heute beim 13. Kongress der Deutschen Vereinigung fuer Sportwissenschaft (dvs) in Bayreuth vorstellte.

    In einer Analyse der Leistungssportbeschluesse des Politbueros der SED kommt Teichler zu dem Ergebnis, dass der Leistungssport der DDR seinen Welterfolg dem fruehzeitig einsetzenden und kontinuierlich gesteigerten Personal- und Mitteleinsatz des Staates verdankte. 35.000 Hauptamtliche waren im Dienst der Medaillenbilanz taetig, der Mitteleinsatz fuer den Leistungssport kann nach Teichlers Worten auf rund 500 Millionen Mark pro Jahr beziffert und muss vermutlich sogar nach oben korrigiert werden.

    Waehrend die Investitionen im Bereich Elektrotechnik/Elektronik auf 86,4 % heruntergefahren wurden, habe sich im Sport zur gleichen Zeit die jaehrliche Trainerzuwachsrate von 100 auf 250 erhoehte. Der sonst auf keinem Feld in diesem Masse erreichte internationale Erfolg habe die Einwaende des Finanzministeriums und Planungskommission verstummen lassen, sagte Teichler weiter.

    Darueber hinaus habe der Leistungssport der DDR seinen Erfolg der Organisierung eines permanenten Vorlaufs zu verdanken gehabt, den der Westen mit seinen Mitteln nur unzureichend und jeweils verspaetet habe erreichen koennen. Auch habe die DDR gegenueber westlichen Sportmaechten in der Organisierung des Leistungssports permanent die Nase vorn gehabt. Fuer diesen Vorsprung der DDR nannte der Potsdamer Wissenschaftler mehrere Gruende. Einerseits haetten in der DDR durch Freistellung von der Arbeit (seit 1952) professionelle Trainingsbedingungen geherrscht und die Sportwissenschaft weitgehend leistungssport- und anwendungsorientiert aufgebaut worden. Die dadurch ermoeglichten Trainingsumfaenge und Trainingsgestaltungen seien rigoros auch im Kinder- und Jugendbereich durchgesetzt worden. Schliesslich sei im Nachwuchsleistungssport immer wieder das Auslese- und Foerderprogramm verbessert und verfeinert worden.

    Zu diesen sportinternen Massnahmen seien gesellschaftstypische Gratifikations- und Aktionssysteme einer ,durchherrschten Gesellschaft" gekommen. Teichler: ,In den Leistungssport kam man freiwillig, ohne offizielle Entbindung vom Leistungsauftrag in der Regel aber nur mit finanziellen und beruflichen Einbussen wieder heraus". Die humanen und sozialen Kosten des Leistungssportsystems der DDR entziehen sich nach seiner Meinung betriebswirtschaftlichen bzw. volkswirtschaftlichen Berechnungen.

    Hinsichtlich der Doping-Problematik verwies Teichler auf einen Bericht des Ministeriums fuer Staatssicherheit (MfS) von 1989, in dem die Vermutung geaeussert wird, das Politbuero habe ueber das Ausmass der Doping-Praktiken in der DDR nichts gewusst. Dieses moege fuer die Mehrheit der Politbueromitglieder zutreffen, meinte Teichler, die mit den Begriffen ,unterstuetzende Mittel" oder ,Staatsplanthema" nichts anzufangen wussten. ,Die fuer den Sport zustaendigen Mitglieder und natuerlich der Chef des im MfS wussten, worum es dabei ging", sagte Professor Teichler.

    Der erfolgreiche Versuch, auf einem begrenzten, aber dafuer um so medienwirksameren Teilbereich der Gesellschaft den Westen zu ueberfluegeln, habe zudem einer hermetischen Geheimhaltung unterlegen, sagte Teichler weiter. Die wissenschaftliche Begleitforschung zum Spitzensport sei Geheimforschung mit einer Zeitschrift (,Theorie und Praxis des Leistungssports") gewesen, die als vertrauliche Verschlusssache eingestuft war. Die finanzielle Honorierung der Staatsamateure durch das geheime ,Buero zur Foerderung des Sports" sei so geheim gewesen, dass sie durch den Geheimdienst abgeschirmt, kontrolliert und zum Teil selbst durchgefuehrt wurde. Kaum eine andere Forschungseinrichtung der DDR duerfte, so vermutete Professor Teichler, eine derartig hohe Quote Informeller Mitarbeiter (IM) aufzuweisen gehabt, wie das Leipziger Forschungsinstitut fuer Koerperkultur und Sport. ,Der Spitzensport mit seinen zahlreichen regelmaessigen Auslandskontakten gehoerte zu den am intensivsten kontrollierten und abgeschirmten gesellschaftlichen Sektoren der DDR-Gesellschaft", berichtete der Wissenschaftler.


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    Social studies
    transregional, national
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