Nr. 27 / 21. März 2000 / rauhe-mea
Chemisches Armageddon in der Unterwelt:
Giftiges Abwasser frisst sich durch die Kanalisation
Karlsruher Forschergruppe untersucht die Ursachen für
die schleichende Verschlechterung der Grundwasserqualität
Abwasserkanäle sind täglich massiven Angriffen aus der Unterwelt ausgesetzt. Lacke, Öle, Fette, Wasch- und Reinigungsmittel zusammen mit Myriaden von agressiven Mikroorganismen verursachen undichte Stellen in der Kanalisation. Aus solchen Leckagen können giftige Abwässer ins Grundwasser fließen. Eine gesundheitsgefährdende Verunreinigung der wichtigsten Trinkwasserquelle ist damit oft vorprogrammiert. Ohne fremde Hilfe kann das Grundwasser den ungleichen Kampf mit dem bio-chemischen Cocktail der Unterwelt nicht bestehen.
Unterstützung kommt von der Universität Karlsruhe: Seit Anfang dieses Jahres befasst sich eine Forschergruppe mit der schleichenden Verschlechterung der Grundwasserqualität. Das Großprojekt "Gefährdungspotenzial von Abwasser aus undichten Kanälen für Boden und Grundwasser" wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für zunächst zwei Jahre finanziell gefördert. Sechs naturwissenschaftliche Institute arbeiten in dem Forschungsprogramm interdisziplinär zusammen.
Wie wichtig das Vorhaben ist, wird an einer aktuellen Hochrechnung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) deutlich. Danach sollen in Deutschland jährlich zwischen 31 und 445 Millionen Kubikmeter Abwasser ins Grundwasser versickern. Professor Dr. Josef Winter, Leiter des Instituts für Ingenieurbiologie und Biotechnologie des Abwassers sowie Sprecher und Koordinator des Forschungsprojekts, stellt fest: "Bis heute sind in der Regel keine Aussagen darüber möglich, wann Schutzgüter wie Boden und Grundwasser durch auslaufende Abwässer akut gefährdet sind." Der Abwasserexperte ist fest davon überzeugt: "Unser Wissenschaftsteam kann am Ende des Projektes sicherer als bisher vorhersagen, wann defekte Kanäle das Grundwasser gesundheitsgefährdend zu verunreinigen drohen. Diese Rohre müssen dann zuerst saniert werden."
Wesentliche Forschungsziele der Karlsruher Untersuchung sind bisher ungeklärt oder wurden in anderen Studien nicht berücksichtigt. So erforscht das Universitätsteam die biologischen und physikalisch-chemischen Prozesse, die sich im Kanal in der Bodenzone im unmittelbaren Umfeld des Rohres und im Fernbereich der Kanalleckage in der grundwasserführenden Schicht abspielen.
Dr. Stephan Fuchs vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft nennt eines der Hauptziele des Projektes "Wir wollen in erster Linie die Variation der einzelnen Prozesse in Abhängigkeit von den naturräumlichen Gegebenheiten studieren."
Vor allem die folgenden Fragen interessieren die Wissenschaftler: Welche Flächennutzung dominiert im fraglichen Gebiet? Wie schnell werden die Abwasserinhaltsstoffe von Mikroorganismen im Boden abgebaut oder umgesetzt? Vor allem aber: Mit welcher Geschwindigkeit versickern die Giftstoffe durch Kies- oder Tonböden ins Grundwasser? "Das ist reine Grundlagenforschung," stellt Fuchs klar.
Die Forschergruppe hat sich desweiteren die Aufgabe gestellt, eine Bilanz der aus undichten Kanälen austretenden Abwassermenge zu erstellen. Dabei wird gemessen, wie hoch die Konzentration der chemischen Verbindungen im Abwasser ist , die pro Zeiteinheit aus dem Kanal ins Grundwasser läuft. Zu diesem Zweck bauen die Wissenschaftler derzeit in der Kläranlage im Karlsruher Stadtteil Neureut ein 1:1 Simulationsmodell eines Kanals mit verschieden großen Leckagen auf. In diesem Versuchsstand werden verschiedene Kontrollgrößen simuliert, die Einfluss auf die Qualität des Grundwassers haben, wie Bodenbeschaffenheit, Grundwasserstand und einzelne "Güteklassen" häuslicher und industriell-gewerblicher Abwässer. Auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse können später auch Aussagen über Prozesse in großräumigen Gebieten mit anderen Rahmenbedingungen getroffen werden.
Obgleich das "Schmuddelkind" Kanal in der Öffentlichkeit kaum thematisiert wird, ist es eine Tatsache, dass erhebliche Teile des Bruttosozialproduktes in der Erde verbuddelt sind. Experten schätzen allein die Sanierungskosten für die undichte Kanalisation in Deutschland auf 200 Milliarden Mark. Die Karlsruher Forschergruppe erhofft sich von ihrem Projekt nicht nur neue Erkenntnisse über das Gefährdungspotenzial von Abwasser für Boden und Grundwasser, "unsere Forschungsarbeit wird auch einen effektiveren und damit kostengünstigeren Mitteleinsatz für die Kanalsanierung erbringen," verspricht Fuchs.
Trotz der vielversprechenden Ansätze zur Lösung der Grundwasserprobleme bleibt noch sehr viel zu tun: Die Karlsruher Projektgruppe kann sich bei ihren Aussagen nur auf die öffentliche Kanalisation beschränken, weil es derzeit keine gesetzliche Regelung gibt, die Inspektionen privater Kanalsysteme erlaubt. Wohlwollenden Schätzungen zufolge sollen die privaten Kanalanschlüsse 715.000 Kilometer umfassen, damit wären sie doppelt so lang wie die öffentlichen. Niemand weiß, wie es um den baulichen Zustand der privaten Abwasseranlagen bestellt ist. Ob Kommune oder Universität, die Fachleute sind sich darin einig: Das private Kanalsystem stellt ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die Qualität des Grundwassers dar.
Nähere Informationen:
Professor Dr. Josef Winter
Lehrstuhl für Ingenieurbiologie und Biotechnologie des Abwassers
Tel. (0721) 608 2297, Fax (0721) 69 48 26
Dr. Stephan Fuchs
Institut für Siedlungswasserwirtschaft
Tel.: (0721) 608 2297, Fax: (0721) 607151
stephan.fuchs@bau-verm.uni-karlsruhe.de
Diese Presseinformation ist im Internet unter folgender Adresse abrufbar:
http://www.uni-karlsruhe.de/~presse/Pressestelle/pi027.html
http://www.uni-karlsruhe.de/~presse/Pressestelle/pi027.html
Criteria of this press release:
Biology, Environment / ecology, Information technology, Oceanology / climate
transregional, national
Research projects
German
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