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03/23/2000 17:29

Offener Brief : Neuregelung Osteodensitometrie

Heike Jordan Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin e.V.

    Offener Brief : Neuregelung Osteodensitometrie
    an den
    Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
    Herbert-Lewin-Strasse 3, 50931 Köln

    Gemäß § 137e Gesundheitsreformgesetz 2000 soll ein Koordinierungsausschuß "auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien die Kriterien für eine im Hinblick auf das diagnostische und therapeutische Ziel ausgerichtete zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung für mindestens zehn Krankheiten je Jahr beschließen, bei denen Hinweise auf eine unzureichende, fehlerhafte oder übermäßige Versorgung besteht und deren Beseitigung die Morbidität und Mortalität der Bevölkerung nachhaltig beeinflussen kann...". Die Überprüfung diagnostischer Verfahren nach diesen Ansätzen ist problematisch, da ihre Effektivität über die technische Genauigkeit, die diagnostische Genauigkeit, den Einfluss auf den weiteren diagnostischen und/oder therapeutischen Algorithmus, den Gewinn an Lebenserwartung und Lebensqualität oder über den Nutzen für die Gesellschaft definiert werden kann. Entsprechende ("evidence based") Publikationen beruhen auf Entscheidungsmodellen und Statistiken, die als Konsequenz eine Population, aber nicht den individuellen Patienten abbilden.

    Der Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen hat in einem Beschluss, der vom Bewertungsausschuss mit Wirkung vom 1. April 2000 durch die Änderung der Leistungslegende zu EBM Nr. 5300 umgesetzt wurde, festgelegt, daß "Osteodensitometrische Untersuchung(en) (Photonenabsorptions-Technik) an einem oder mehreren Teilen des peripheren Skeletts und/oder des Achsenskeletts bei Patienten, die eine Fraktur ohne nachweisbares adaequates Trauma erlitten haben und bei denen gleichzeitig aufgrund anderer anamnestischer und klinischer Befunde ein begründeter Verdacht auf eine Osteoporose besteht..." als kassenärztliche Leistung abgerechnet werden darf.

    Bei dem klinischen, eventuell radiologisch untermauerten Verdacht auf das Vorliegen einer Osteoporose ist also vor dem Eintreten einer Fraktur die Knochendichteanalyse als Kassenleistung nicht mehr zulässig.
    Diese Entscheidung des Bundesausschusses Ärzte-Krankenkassen basiert in der Hauptsache auf einem HTA-Gutachten, dem für den technischen Teil eine Monographie aus dem Jahr 1993/94 ("Die Osteodensitometrie - Metaanalyse über den diagnostischen Wert der Osteoporose") als Grundlage dient. Diese Monographie stützte sich überwiegend auf inzwischen veraltete Meßverfahren, die heute für die Osteodensitometrie nicht mehr zugelassen sind. Für das HTA-Gutachten sind aktuelle Untersuchungen, insbesondere die publizierten Ergebnisse der European Prospective Osteoporosis Study (EPOS) nicht berücksichtigt worden, obwohl diese die Evidenz aufzeigen, daß die Ergebnisse osteodensitometrischer Untersuchungen das Risiko zukünftiger osteoporotischer Frakturen mit hinreichender Sicherheit vorhersagen können. Unbeachtet blieb auch, dass es bereits aus dem Jahr 1998 Ergebnisse einer grossen Frakturstudie der Evidenzklasse I a gibt (Cummings SR et al. JAMA; 280: 2077-2082), nach der Patienten ohne Fraktur von einer (Bisphosphonat-) Therapie nur dann profitieren, wenn sie eine niedrige Knochendichte haben. Dies bedeutet, dass eine Osteodensitometrie genau die unter Frakturrisiko stehenden Patienten identifiziert, bei denen die Therapie hilft, Frakturen zu verhindern. Diese Publikation fand keinen Eingang in das Ende 1999 erstellte HTA-Gutachten. Durch sie wird aber die vom Bundesausschuss akzeptierte Argumentation, wonach nur bei tertiärer Prävention im Gegensatz zur sekundären mit Hilfe der Osteodensitometrie eine sinnvolle, weil therapieentscheidungsrelevante Diagnostik möglich sei, widerlegt.

    Weiterhin müssen folgende Anmerkungen gemacht werden:
    1. Die Bedürfnisse der Patienten mit drohenden sekundären Osteoporosen (Steroidosteoporose u.a.) blieben unberücksichtigt, obwohl ein Teil dieser Patienten (z.B. nach Organtransplantation) mit etwa 30%iger Wahrscheinlichkeit Frakturen während der ersten 12 dem Therapiebeginn folgenden Monaten erleidet.
    2. Wenn als Folge einer Osteoporose Knochenbrüche eintreten, handelt es sich immer um ein fortgeschrittenes Krankheitsbild mit erweitertem Behandlungsbedarf. Die in diesem Zusammenhang entstehenden Folgekosten bleiben bei der gesundheitsökonomischen Bewertung der Diagnostik und Therapie der Osteoporose unberücksichtigt. Hier erscheint es durchaus legitim, vorliegende Daten anderer Länder zu adaptieren.
    3. Die bewußte Hinnahme einer ersten Fraktur auf dem Boden einer Osteoporose vor Beginn gezielter diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen mutet dem individuellen Betroffenen ein Krankheitsereignis zu, das mit einem mehrfach erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden ist.
    4. Es ist ein altes, bewährtes medizinisches Gesetz, daß vor der Therapie eine Diagnose gestellt werden muß. Durch den Beschluss des Bundesausschusses Ärzte-Krankenkassen ist eine frühzeitige Therapie der Osteoporose, mit der Frakturen verhindert werden könnten, wie inzwischen in zahlreichen neuen Studien bewiesen worden ist, nicht mehr möglich.
    5. Ob der behandelnde (oder zu spät behandelnde) Arzt bei eingetretener Fraktur wegen unterlassener therapeutischer Maßnahmen strafrechtlich verfolgt werden kann, bleibt einer juristischen Klärung vorbehalten.
    6. Da für den Bundesausschuß entgegen der Auffassung der Weltgesundheitsorganisation, daß die Osteoporose zu den zehn wichtigsten Erkrankungen weltweit gehört und durch eine Verminderung des Knochenmineralgehaltes charakterisiert ist, eine Osteoporose erst nach/durch eine(r) Fraktur zu definieren ist, fällt für den Therapeuten jegliche Möglichkeit einer Prävention und Frühtherapie fort.

    Wir fordern den Bundesausschuß Ärzte-Krankenkassen auf, den Beschluss über die Osteodensitometrie wegen eindeutiger Verfahrensfehler, aber auch um einen für die Patienten nicht abschätzbaren Schaden zu verhindern, unverzüglich aufzuheben, und erneut in die Diskussion einzutreten. Hierbei sollten dann auch Selbsthilfegruppen mit eingebunden werden, wie es in dem Gesundheitsreformgesetz 2000 zur Wahrung der Patientenrechte und -belange festgeschrieben ist.

    Priv.-Doz. Dr. D. Felsenberg, Univ.-Klinikum Benjamin Franklin, Berlin
    Prof. Dr. M. Fischer, Klinikum Kassel, Kassel
    Prof. Dr. C.-C. Glüer, Klinikum der Christian-Albrechts-Universität, Kiel
    Prof. Dr. H. Minne, Klinik Fürstenhof, Bad Pyrmont

    Die Neuregelung zur Kostenübernahme für die Osteodensitometrie wird Thema der Pressekonferenz (30. März, 12.30 Uhr, TU München, Arcisstraße 21, Hauptgebäude, Senatssaal, 1. Stock) auf der Internationalen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin vom 29. März bis 1. April 2000 in der TU München, Arcisstraße 21 sein. Prof. Dr. Manfred Fischer, Kassel (Mitunterzeichner des Offenen Briefes), wird über die Problematik referieren. Weitere Informationen und Akkreditierung unter http://www.nuklearmedizin.de, Rubrik: "Nuklearmedizin 2000" oder bei Heike Jordan, Pressereferentin, Tel. 0551/376447, info@nuklearmedizin.de.


    More information:

    http://www.nuklearmedizin.de


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Science policy
    German


     

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