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03/29/2000 11:28

Erinnerungen an traumatische Erlebnisse im Nationalsozialismus nehmen im Alter deutlich zu

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Heidelberger Gerontologen Andreas Kruse und Eric Schmitt legen neues Buch vor: "Wir haben uns als Deutsche gefühlt" - Es berichtet über Ergebnisse einer Untersuchung, an der 248 Überlebende des Holocaust teilgenommen haben

    Die Heidelberger Gerontologen Prof. Dr. Andreas Kruse und Dr. Eric Schmitt haben soeben ein neues Buch vorgelegt: "Wir haben uns als Deutsche gefühlt. Lebensrückblick und Lebenssituation jüdischer Emigranten und Lagerhäftlinge". Es berichtet über Ergebnisse einer Untersuchung, an der 248 Überlebende des Holocaust teilgenommen haben. 180 dieser 248 Überlebenden waren Emigranten, von denen jeweils 60 in die Zielländer Argentinien, Israel und USA emigriert waren und von denen jeweils die Hälfte im Alter wieder nach Deutschland zurückkehrte. 68 dieser 248 Überlebenden waren in Vernichtungslagern interniert. 48 sind nach der Befreiung nach Israel ausgewandert, 20 sind in Deutschland geblieben.

    In dem Buch wird zunächst ein historischer Abriss der jüdischen Emigration gegeben, darüber hinaus finden sich Aussagen zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager.
    In einem weiteren Kapitel stellt das Buch fünf Biographien von jüdischen Emigranten ausführlich dar, zum größten Teil in Form wörtlicher Zitate. In diesen Biographien werden nicht nur die mit der Emigration verbundenen Anforderungen und Belastungen sowie langfristige Auswirkungen der Verfolgung im Nationalsozialismus deutlich, sondern auch die Art und Weise, wie Menschen versucht haben, diese Anforderungen und Belastungen zu verarbeiten und sich im Emigrationsland neu zu orientieren.

    Wie wirkten die traumatischen Erlebnisse im Alter nach?

    Die Autoren stellen weiterhin die Frage, inwieweit die Erinnerungen an traumatische Erlebnisse im Nationalsozialismus auch im Alter nachwirken. Dabei zeigten die Analysen, dass bei Emigranten, vor allem aber bei ehemaligen Lagerhäftlingen, die Erinnerungen an erfahrene Traumatisierungen im Alter deutlich zunehmen. Die ehemaligen Vernichtungslager-Häftlinge berichteten übereinstimmend, dass diese Erinnerungen im Alter genauso stark seien wie in der Zeit unmittelbar nach der Befreiung aus dem Vernichtungslager. Bei der Analyse der Themen, um die sich die Erinnerungen zentrieren, wurde deutlich, dass diese ein breites Spektrum spezifischer Erlebnisse im Nationalsozialismus umfassen. Zudem wurde vielfach von plötzlich auftretenden Angstzuständen berichtet. Dabei zeigte sich, dass Erinnerungen in den meisten Fällen spontan auftreten, das heißt, sie sind in ihrem Auftreten nicht vorhersehbar und in ihrem Verlauf nicht beeinflussbar. Allerdings wurden Erinnerungen und Ängste in jenen Fällen erheblich verstärkt, in denen die Emigranten und ehemaligen Lagerhäftlinge Zeuge von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wurden.

    Die dargestellten Befunde zeigen, dass die Art und Weise, wie in der jeweiligen Gesellschaft über die Zeit im "Dritten Reich" und das Schicksal der Juden gesprochen wird, große Auswirkungen auf die gegenwärtige seelische Situation der Emigranten und ehemaligen Lagerhäftlinge hat. Die befragten Emigranten und Häftlinge hoben hervor, dass sie weniger die "Hilfe" von anderen Menschen bei der Verarbeitung der wiederkehrenden Erinnerungen erwarten, sondern es als bedeutsam erachten, dass das Schicksal der Juden im "Dritten Reich" nicht vergessen oder in einem falschen Licht dargestellt wird, dass mit Taktgefühl über dieses Schicksal gesprochen wird und dass man mit Taktgefühl jenen Menschen begegnet, die dieses Schicksal erlebt haben.

    In dem Buch wird auch die Frage gestellt, wie diese Menschen versuchen, sich seelisch mit den immer wiederkehrenden Erinnerungen auseinanderzusetzen. Es fanden sich verschiedene Formen der Auseinandersetzung, zu denen unter anderem die "Erlebte Mitverantwortung und das Engagement für andere Menschen, vor allem für Angehörige junger Generationen" gehört. Diese Form der Auseinandersetzung ließ sich vor allem dadurch charakterisieren, dass der Kontakt zu jüngeren Menschen - zum Beispiel im Schulunterricht - gesucht und in diesem Kontakt auf die persönliche Verantwortung des Menschen für die Aufrechterhaltung von Demokratie und die Vermeidung von Diskriminierung und Antisemitismus hingewiesen wird. Das Interesse vieler jüngerer Menschen an dem Schicksal der Juden im "Dritten Reich" wurde in den Interviews positiv hervorgehoben.

    Bei allen Befragten ging die persönliche Identifikation mit Deutschland aufgrund der Erlebnisse im "Dritten Reich" zurück

    In einem zentralen Kapitel beschäftigt sich das Buch mit der persönlichen Beziehung zu Deutschland, seiner Geschichte und Kultur. Die Ergebnisse machen deutlich, dass diese Beziehung von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfällt. Einige betonten ausdrücklich die Kontinuität antisemitischer Tendenzen und mieden aus diesem Grunde den Kontakt nach Deutschland und zu Deutschen, andere waren hingegen der Auffassung, das heutige Deutschland könne mit dem "Dritten Reich" nicht verglichen werden. Dennoch lässt sich feststellen, dass bei allen Befragten die persönliche Identifikation mit Deutschland aufgrund der Erlebnisse im "Dritten Reich" zurückgegangen ist, während die Identifikation mit dem Judentum spürbar zugenommen hat. Trotzdem war keinem der Befragten Deutschland - auch seine Kultur, Sprache und Natur - gleichgültig. Auch in jenen Fällen, in denen eine kritische Einstellung zu Deutschland vorherrschte, war den meisten Menschen dieses Land mit seiner kulturellen Geschichte sehr nah.

    Andreas Kruse & Eric Schmitt (2000). Wir haben uns als Deutsche gefühlt. Lebensrückblick und Lebenssituation jüdischer Emigranten und Lagerhäftlinge. Darmstadt: Steinkopff. 286 S. ISBN 3-7985-1035-0. DM 49.--

    Rückfragen bitte an:
    Prof. Dr. Andreas Kruse und Dr. Eric Schmitt
    Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 548181, Fax 545961
    gero@urz.uni-heidelberg.de

    oder: Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Psychology, Social studies
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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