Bochum, 05.10.1995 Nr. 156
Keine Experimentierkunst
Musikleben an Theatern in der Weimarer Republik
Ausstellung ueber Bochumer und Hannoveraner Entwicklung
Wenn's dem Staat schlecht geht, spart er zunaechst an der Kunst. Das gilt heute ebenso wie vor ueber 70 Jahren. So musste z.B. waehrend der grossen Inflation der Weimarer Republik nach Wegen gesucht werden, Staetten der Kunst sei es durch Theater-Zusammenschluesse oder durch ihre Umwandlung in Staedtische Buehnen zu erhalten. Von zwei besonders exemplarischen Faellen kuendet die Ausstellung "Keine Experimentierkunst. Musikleben an Staedtischen Theatern in der Weimarer Republik", die vom 8. Oktober bis zum 26. November 1995 im Museum Bochum - Haus Kemnade - zu sehen ist: Die Projektgruppe unter der Leitung von Dr. Doerte Schmidt (Musikwissenschaftliches Institut der Ruhr-Universitaet Bochum) und Dr. Brigitta Weber (Theatermuseum und -archiv der Niedersaechsischen Staatstheater, Hannover) belegt in ihrer Ausstellung am Beispiel der Theatergemeinschaft Bochum-Duisburg und des ehemaligen Hoftheaters Hannover nicht nur die komplexe politische und kulturelle Situation der Weimarer Republik, sondern auch, dass selbst strengste Sparbemuehungen finanziell nicht fruchten muessen. Die Ausstellung rekonstruiert die Portraits dieser beiden Theater mit zahlreichen Inszenierungsphotos, Dokumenten und einigen Tonaufnahmen. Auf den ersten Blick wuerde man vermuten, dass ein traditionsreiches Haus, wie das ehemalige Hoftheater Hannover dem Geist der Zeit ein gewisses Beharrungsvermoegen entgegensetzen und dagegen gerade eine Neugruendung wie Bochum besonders innovativ wirken wuerde. Aber so einfach liegen die Dinge nicht: Weder die Gruendung des Staedtischen Theaters, noch die des Staedtischen Orchesters in Bochum im Jahr 1919 laesst sich jedoch als Gruendung 'aus dem Geiste der Weimarer Republik' beschreiben. Eher erscheinen beide als Etappenziele einer Entwicklung, die den im Ende des 19. Jahrhunderts immer staerker werdenden Beduerfnis nach Repraesentation wilhelminisch-buergerlicher Bildungskultur in Bochum wurzelt. Diesen Tenor spiegelt auch der Kommentar der Niederrheinischen Nachrichten zur Gruendung der Theatergemeinschaft zwischen Bochum und Duisburg 1921: ,Die kuenstlerische Vereinigung Duisburg-Bochums bedeutet, dass das Herz Deutschlands: das rheinisch-westfaelische Industriegebiet, eine Staette hat, von der ein Strom reinen Kunstlebens ausgeht. Eine Kunst soll geboten werden, die erhebt und staerkt, eine Kunst, die das alte und das neue umschliesst.
Keine Experimentierkunst.
Staat und Stadt haben gemeinsam zu handeln, denn das Ziel ist die Wiedergeburt Deutschlands, die nicht allein im Parlamente und anderen Versammlungen zu geschehen hat." Diese durchaus kulturkonservative Linie verfolgte der Intendant der Theatergemeinschaft Saladin Schmitt von Anfang an. Dennoch konnte sich in Bochum gerade in der Anfangszeit auf dem Gebiet des Orchesters unter Rudolf Schulz-Dornburg ein bemerkenswertes kuenstlerisches Konzept entfalten, das weit ueber regionale Grenzen hinaus beachtet worden ist. ,Seit Beendigung des Weltkrieges hat es im Ruhrgebiet in musikalischen Dingen eine Aufwaertsbewegung gegeben, die in der Geschichte der Konzertentwicklung einzig dastehen duerfte", konstatiert der Musikkritiker Max Voigt 1927 in der Wiener Musikzeitung Musikblaetter des Anbruchs und sieht als entscheidenden Motor fuer diese Entwicklung die Gruendung des Staedtischen Orchesters Bochum und die ausserordentlich innovative Arbeit des ersten Generalmusikdirektors Rudolf Schulz-Dornburg an. Mit den ambitionierten kuenstlerischen Zielen des Theaterleiters Saladin Schmitt vertrug sich diese Arbeit jedoch denkbar schlecht: Er setzte auf den ,klassischen Kanon" der Werke, veranstaltete Shakespeare-, Wagner-, Mozart-Festwochen und war sich des repraesentativen Charakters seines Theaters durchaus bewusst. So verliess Schulz- Dornburg Bochum und wurde 1926 von dem Wiener Dirigenten Leopold Reichwein abgeloest, der weniger durch seine kuenstlerische Arbeit als durch lokale Querelen um seine Person von sich reden machte, so dass fortan Saladin Schmitt als die zentrale Figur der kuenstlerischen Arbeit am Staedtischen Theater Bochum zurueckblieb. Vor allem die Situation der zahlreichen neugegruendeten Theater zwischen Rhein und Ruhr, die zur Rechtfertigung ihrer Existenz nicht auf eine Tradition rekurrieren konnten, war fast von Beginn an von einem harten UEberlebenskampf und bedingungsloser Konkurrenz gepraegt. 1931 protestierte Robert Hernried in der Zeitschrift fuer Musik gegen die Plaene der Preussischen Regierung, mit Hilfe einer Notverordnung die Theater und Orchester im Ruhrgebiet durch Schliessungen und Fusionen drastisch zu reduzieren: ,Der Stolz auf 'unser Theater', 'unser Orchester' war seit Bestehen einer staedti- schen Musikpflege immer ein Hauptmoment fuer die Anziehungskraft von theatralischen und konzertanten Auffuehrungen. Was wuerde an die Stelle dieses begruessenswerten Lokalpatriotismus treten, wenn das schoene Gemeinsamkeitsgefuehl zwischen Kuenstlern und Bevoelkerung zerstoert wuerde?"
Die Parellelen zur Gegenwart sind augenfaellig
Der Essener Generalmusikdirektor und Opernintendant Wolf-Dieter Hauschild und 22 seiner Kollegen aus Nordrhein-Westfalen wandten sich 1994 aus Anlass der Fusionierungs- und Schliessungsplaene, von denen zahlreiche Orchester bedroht waren (und z.T. noch sind), gerade mit diesem Argument warnend an den Ministerpraesidenten des Landes: ,Das Ruhrgebiet ist in besonderem Masse von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, sozialen Konflikten und damit Identitaetsverlust betroffen. Um so mehr brauchen die Staedte dieser Region Kultur als Ausdruck ihrer Unverwechselbarkeit."
Eines ist deutlich: Die Beschaeftigung mit diesem speziellen Kapitel der Kulturgeschichte der Weimarer Republik hat heute wieder eine besondere Aktualitaet. Die ,Theaterkrise" erlebt heute ein unruehmliches comeback: Wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist, wird die Kunst zum Luxusgut erklaert. Und als haette man nicht die Erfahrungen der Weimarer Zeit als Pruefstein, werden die schon damals bekaempften und gescheiterten Loesungsversuche nahezu identisch wieder vorgeschlagen und zum Teil auch durchgefuehrt.
Die Ausstellung ist vom 8.10. bis 26.11.1995 im Haus Kemnade zu sehen. (OEffungszeiten: Die. bis Fr. 11.00-17.00 Uhr, Sa. und So. 10.00-17.00 Uhr, Mo. geschlossen).
Das Katalogbuch ist unter dem Titel ,Keine Experimentierkunst. Musikleben an Staedtischen Theatern in der Weimarer Republik" im Metzler-Verlag, Stuttgart, erschienen und kostet 58 DM.
Am 12.10.95 um 20.00 Uhr findet im Zusammenhang mit dieser Ausstellung im Audimax der RUB ein Konzert der Bochumer Symphoniker statt, in dem ein Programm des Staedtischen Orchesters Bochum aus dem Jahr 1921 mit Werken von Schoenberg, Webern, Mahler u.a. wiederaufgefuehrt wird. (Karten nicht in Pressestelle erhaeltlich!)
Criteria of this press release:
History / archaeology
transregional, national
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German
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