Medien-Wirklichkeit am Ende des 18. Jahrhunderts
Ausgezeichnete Dissertation ueber den Beginn der Bildpublizistik
Seit Erfindung der Massenmedien bestimmen Bilder die Vorstellung von der Zeitgeschichte. Viele Menschen setzen Fotos in Zeitungen oder bewegte Bilder im Fernsehen mit der "Wirklichkeit" gleich oder bilden sich zumindest so ihre Meinungen und Vorstellungen. Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts gestalteten druckgraphische Ereignisbilder (u.a. in Almanachen, Kalendern, auf Flugblaettern) voruebergehend die oeffentliche Meinung (politisch, gesellschaftlich, nationale Images, Feindbilder) entscheidend mit. Hervorgerufen wurde der damalige Trend vor allem durch die Franzoesische Revolution. In seiner Dissertation "Ereignisse und Bilder. Bildpublizistik und politische Kultur in Deutschland zur Zeit der franzoesischen Revolution" fragt Dr. Christoph Danelzik-Brueggemann nach der Wahrnehmung von Zeitgeschichte im deutschen Buergertum zur Revolutionszeit. Im Vordergrund stehen die Fragen: Ist es moeglich zu rekonstruieren, wie ein politisches Bild seinerzeit aufgenommen wurde? Kann die Differenz zwischen jener Wahrnehmung und unserer gegenwaertigen beschrieben werden? Die von Prof. Dr. Werner Busch (Kunstgeschichte, frueher: Ruhr-Universitaet Bochum, jetzt: FU Berlin/) und Prof. Dr. Beat Wyss (Kunstgeschichte, Fakultaet fuer Geschichtswissenschaft der RUB) betreute Dissertation von Dr. Danelzik wurde als beste Arbeit aus der Fakultaet fuer Geschichtswissenschaft mit dem Universitaetspreis 1994 ausgezeichnet.
Zur Beantwortung untersuchte der Autor insgesamt 600 Bilder, vornehmlich aus den damals weitverbreiteten Almanachen (kleine Taschenkalender mit unterhaltsamen Texten und Illustrationen). Dabei wurden die Bilder nicht einfach nebeneinander gelegt, um eine Vorstellung vom damaligen Wahrnehmen der Franzoesischen Revolution zu gewinnen. Zur Bewertung der Bilder war es stattdessen notwendig, die Moeglichkeiten zu beschreiben, die dem Buergertum in Deutschland zur Verfuegung standen, um politische Realitaet zu sehen und zu beurteilen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte die Emanzipation des Buergertums gerade erst ein, und das Geschichtsbewusstsein stellte eine der ersten Stuetzen dar. Dieses (Zeit- )Geschichtsbewusstsein steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Illustrationskunst, welche ein charakteristisches Licht auf die Entwicklung der buergerlichen Kultur und Gesellschaft wirft. Durch die Auseinandersetzung mit der Franzoesischen Revolution als zentralem Ereignis und UEberleitung zur Neuzeit erhoehte sich die Nachfrage nach zeitgeschichtlichen Texten und Bildern kolossal - die Revolution war das Thema, ob man nur dafuer oder dagegen war. Die Geschehnisse in Frankreich beeinflussten das gesellschaftliche Leben und die Kunst, die sich fortan verstaerkt mit der Darstellung von Gegenwartsthemen befasste. So entstanden auf dem beschraenkten Raum einer Almanachseite (ca. 10 x 7,5 cm) kleine detaillierte Wirklichkeitsausschnitte, in denen nicht nur Hauptpersonen, sondern auch beinahe "zufaellig ins Bild geratene" Figuren koerpersprachlichen Ausdruck erhielten. Eine Menschenmenge bestand somit aus Individuen.
Gleichzeitig brachte die Revolution das in Deutschland herrschende Bild - Vorurteil - "des Franzosen" gehoerig durcheinander. Zum einen wurden in Flugblaettern alte und neue Feindbilder verbreitet: neben den bekannten "stutzerhafte Franzosen" trat der die Welt verschlingende "Sanscoulotte" (als Anspielung auf die schlecht gekleidete und ausgeruestete, aber ueberaus erfolgreich kaempfende Revolutionsarmee). In den Almanachen dagegen zeichneten die Illustrationen ein vielschichtiges und haeufig positives Bild des Nachbarn. Die Frage der verschiedenen Images beruehrte allerdings auch das nationale Selbstbild im damals zersplitterten und aus zahlreichen Staaten bestehenden Deutschland. Nationalbewusstsein und Weltbuergertum bildeten um 1800 noch keinen Widerspruch. Erst nach der Zerschlagung des Reichs und der Unterwerfung Preussens durch die franzoesische Armee bekam der Chauvinismus Auftrieb. Dieses sog. praenationalistische Modell kann als Vorbote des separatistischen Nationalismus im 19. Jahrhundert verstanden werden.
Anhand seiner Analysen kommt Dr. Danelzik- Brueggemann zu dem Schluss, "dass in der politischen Kultur und Bildpublizistik im spaeten 18. Jahrhundert Wahrnehmungsweisen der politischen Realitaet vorhanden waren, die so differenziert und eigensinnig waren, dass das Buergertum die Unmuendigkeit feudalistischer Untertanen aufgeben konnte". Allerdings ging diese "geistige Unabhaengigkeit in den Medien" zunaechst wieder durch die napoleonischen Kriege und der daran anschliessenden Restauration verloren und wurde erst in der Publizistik des Vormaerz und mit der Entwicklung der Dokumentarfotographie im spaeten 19. Jahrhundert wiederentdeckt.
Criteria of this press release:
History / archaeology
transregional, national
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German
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