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05/02/2000 09:05

Wenn sich die Schule entwickeln will

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Erziehungswissenschaft

    In der sich wandelnden Gesellschaft werden auch an die Schulen immer neue Anforderungen gestellt. Schulleiter wie Lehrkräfte müssen notwendige Veränderungen im laufenden, oft auch so schon schwierigen Schulbetrieb bewältigen. Tübinger Schulpädagogen unter der Leitung von Prof. Hans-Ulrich Grunder haben ein neues Konzept zur Schulentwicklung erarbeitet und unterschiedliche Schulen in einer Veränderungsphase wissenschaftlich begleitet.

    Wenn sich die Schule entwickeln will
    Tübinger Pädagogen begleiten den Wandel wissenschaftlich

    Die Diskussion um mehr oder bessere Bildung ist längst ein Dauerbrenner geworden. Dabei stehen häufig die Schulen im Mittelpunkt der Kritik. Um neuen Anforderungen an die Bildung, aber auch das veränderte Lebensumfeld der Schüler gerecht zu werden, müssen und wollen sich viele Schulen weiter entwickeln. Unter der Leitung des Schulpädagogen Prof. Hans-Ulrich Grunder haben Wissenschaftler vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen daher ein neues Konzept zur Schulentwicklung erarbeitet und sechs Schulen über zwei Jahre hinweg bei anstehenden Veränderungen wissenschaftlich begleitet.

    In den sechs verschieden Schulen, einer Grund-, Förder-, Haupt- und Realschule sowie einer freien Schule und einem Gymnasium, waren fünf Schulentwicklungsbegleiter seit 1998 für jeweils anderthalb Tage pro Woche als 'teilnehmende Beobachter' anwesend. Die konkreten Wünsche nach Veränderung wie die Einführung eines Praxistages, mehr freier Arbeit für die Schüler oder die Neuorganisation der innerschulischen Hierarchie wurden von jeder Schule selbst bestimmt. Nach dem Konzept der 'hermeneutischen Schulentwicklung', das der Pädagoge Gerd Schubert als Leiter des Projektes in seiner Doktorarbeit erarbeitet hat, mischten sich die wissenschaftlichen Begleiter bei Entscheidungen nicht direkt ein, doch spielte der Dialog auf verschiedenen Ebenen, die Kooperation und Vernetzung verschiedener Gruppen eine wichtige Rolle. "Der hermeneutische Dialog funktioniert so, dass der Begleiter seine Eindrücke an die Gruppe zurückgibt. Die Bilder, die jeder aus seiner Sicht der Situation hatte, werden verglichen. Die Forscher arbeiten sich sozusagen spiralförmig an die Probleme heran", beschreibt Grunder.

    Zum Erfahrungsaustausch und der Vernetzung der Schulen untereinander haben die Tübinger Pädagogen außerdem mehrere Tagungen organisiert. Nach ihrer Erkenntnis lassen sich die Schulentwicklungsprozesse schlagwortartig unter den drei Aspekten 'Beziehungen', 'Transparenz und Öffentlichkeit' sowie 'Ressourcen' zusammenfassen. Transparenz und Öffentlichkeit im Hinblick auf die Veränderungen an der Schule schaffen ein positives Entwicklungsklima. Dazu tragen auch gute Beziehungen der an der Entwicklung beteiligten Gruppen wie Lehrern, Eltern und Gremien bei. Mit 'Ressourcen' bezeichnen die Wissenschaftler nicht nur Geld, sondern auch Personen, die Initiativen ergreifen, Phantasie und Flexibilität bei Neuerungen mitbringen oder außerschulische Sponsoren.

    Insgesamt haben die teilnehmenden Schulen das Projekt Schulentwicklung positiv beurteilt und würden es als eine Art "Supervision" ihrer Arbeit gern weiterführen. Im Stuttgarter Ministerium für Kultus, Jugend und Sport wird zur Zeit geprüft, wie die Forschungsergebnisse in einem allgemeinen Entwicklungskonzept auch auf andere Schulen übertragen werden könnten.
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    Veränderungen im Dialog bewirken

    Tübinger Pädagogen erarbeiten neues Konzept zur Schulentwicklung
    In der Schule sollen Kinder und Jugendliche lernen und ihre Persönlichkeit entwickeln. Neben der Vermittlung von Bildung fallen den Schulen dabei immer mehr Aufgaben zu: Sie sollen Kindern, die in nicht intakten Familien aufwachsen, ein Zuhause bieten, die Erziehung leisten, die früher häufig von den Eltern übernommen wurde, und die Heranwachsenden - natürlich unter Einsatz neuer Medien - auf die vielfältigen Ansprüche einer modernen Arbeitswelt vorbereiten. Solche Anforderungen kann eine Schule nur meistern, wenn sie sich auch selbst weiter entwickelt. Viele Lehrerkollegien nehmen die Aufgaben engagiert in Angriff. Schulpädagogen vom Institut für Erziehungswissenschaft der Tübinger Universität haben einige Schulen in einem wissenschaftlichen Projekt unter der Leitung von Prof. Hans-Ulrich Grunder dabei zwei Jahre lang unterstützt. Herausgekommen ist ein allgemeines Konzept zur Schulentwicklung, das auch in anderen Schulen den Wandel erleichtern soll.

    Wissenschaftliche Untersuchungen zur Schulentwicklung gab es bereits in den 70er Jahren. Das damalige Konzept sieht Grunder jedoch als überholt an: "Nach dem Helikopter-Prinzip flogen die Pädagogen kurz in die Schulen rein, verteilten Fragebögen, flogen wieder hinaus. Dabei wurde viel Staub aufgewirbelt, geändert hat sich jedoch nichts." Engagierte Lehrerkollegien zeigten kaum Interesse daran, neue Ideen und Konzepte nur für die Schublade zu erarbeiten. "Drei Schulen haben von sich aus um wissenschaftliche Begleitung bei anstehenden Veränderungen gebeten, für sie wurde ein neues Forschungsdesign entworfen", erklärt der Schulpädagoge. Die Tübinger Forscher nahmen noch drei weitere Schulen hinzu, so dass sechs verschiedene Schultypen, jeweils eine Grund-, Förder-, Haupt- und Realschule sowie eine freie Schule und ein Gymnasium vertreten waren. Die Teilnahme dieser Schulen, die teilweise ganz unterschiedliche Probleme lösen wollten, zeigten, dass hier an einem allgemeinen Entwicklungskonzept gefeilt wird.

    "Eine Schule wollte den Stundenplan umgestalten, die andere mehr Freiarbeit oder ein Kommunikationstraining für die Schüler einführen. Teilweise galt es, die Differenzen im Lehrerkollegium zwischen 'Bewahrern' und 'Erneuerern' zu überwinden", sagt Grunder. Die Förderschule wollte beispielsweise einen praktischen Tag für die Schüler als neues Element in den Unterricht einbringen und außerdem die Position des Schulleiters in der Hierarchie neu festlegen. "Ein Problem, mit dem eigentlich alle Schulen zu tun haben, ist die nachlassende Konzentrationsfähigkeit der Schüler", erklärt der Pädagoge. Zum Beispiel sei Projektarbeit für Schüler mit Konzentrationsschwierigkeiten gut geeignet, doch fänden noch 97 Prozent der Stunden als klassischer Frontalunterricht statt. Dabei wird von den Schülern hohe Aufmerksamkeit, aber wenig eigene Aktivität gefordert. Erstaunlicherweise war Gewalt an der Schule kein Thema, Änderungswünsche in dieser Richtung gab es nicht. "Die Gewalt unter und von Schülern wird von den Medien stark aufgebauscht, die Schulen haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen", meint Grunder.

    Die Änderungswünsche wurden mit Hilfe der Schulentwicklungsbegleiter als 'Brennpunkte' formuliert. Mit ihrem Forschungsdesign einer 'weichen Schulentwicklung' gehen die Tübinger Wissenschaftler solche 'Brennpunkte' an den Schulen langfristig an. Fünf Schulentwicklungsbegleiter betreuten die sechs Schulen seit 1998 über zwei Jahre hinweg und waren für jeweils anderthalb Tage pro Woche auch in den Schulen präsent. In der 'Hermeneutischen Schulentwicklung', die der Pädagoge Gerd Schubert in seiner Doktorarbeit als Leiter des Schulentwicklungsprojektes konzipiert hat, spielt der Dialog eine wichtige Rolle. Wenn innerhalb der Schule eine Art 'Öffentlichkeit' hergestellt wird, an der möglichst viele Personen, Gremien und Gruppen beteiligt sind, fühlen sich die Teilnehmer des Dialogs stärker an die Ergebnisse und gemeinschaftlichen Beschlüsse gebunden. Ganz bewusst mischten sich die Wissenschaftler jedoch nicht ein, sondern waren als teilnehmende Beobachter in Sitzungen und Unterrichtssituationen dabei, um die Diskussionen in den Schulen zusammenfassen zu können. "Der hermeneutische Dialog funktioniert so, dass der Begleiter seine Eindrücke an die Gruppe zurückgibt. Die Bilder, die jeder aus seiner Sicht der Situation hatte, werden verglichen. Die Forscher arbeiten sich sozusagen spiralförmig an die Probleme heran", beschreibt Grunder.

    Dabei geben die Begleiter Hinweise auf Problemlösungen, nehmen den Schulen aber keine Entscheidungen ab. "Einige Schulen zeigten sich anfangs irritiert und ungeduldig, weil sie von dem wissenschaftlichen Begleiter eine definitive Antwort auf ihre Fragen erwarteten", sagt Grunder. Dabei sei es jedoch wichtig gewesen, dass die Schulen nicht zu Objekten der Forschung gemacht wurden. Auch Kooperation und Vernetzung der verschiedenen, in der jeweiligen Schule aktiven Gruppen wie Lehrern, Eltern, Arbeitskreisen und Gremien hätten eine wichtige Rolle gespielt. Zur Vernetzung der Schulen untereinander haben die Schulentwicklungsbegleiter außerdem mehrere Tagungen organisiert.

    Schlagwortartig lassen sich die gemeinsamen Themen, die aus den Schulen selbst stammten, mit den drei Aspekten 'Beziehungen', 'Transparenz und Öffentlichkeit' sowie 'Ressourcen' umschreiben. Die wichtige Rolle der Beziehungen betrifft alle Ebenen, die persönliche wie auch die zwischen verschiedenen Schulen. "So konnten auch mal die Lehrer vom Gymnasium bei jenen der Hauptschule anfragen, wie sie mit bestimmten Problemen umgehen", sagt der Schulpädagoge. Transparenz und Öffentlichkeit sind an Schulen nicht immer selbstverständlich, mit zurückgehaltenen Informationen kann auch Politik betrieben werden. "Zunächst war es günstig, 'Öffentlichkeit' an den Schulen herzustellen in Bezug auf das, was an der Schule geschieht", erklärt der Pädagoge.

    Unter dem Stichwort 'Ressourcen' denkt man automatisch ans Geld. Da will der Schulpädagoge die Schulen jedoch in Schutz nehmen: "Es geht nicht immer nur um die Forderung nach mehr Geld, auch wenn das natürlich helfen kann, bestimmte Projekte zu realisieren. Ressourcen sind zum Beispiel auch Personen, die Initiativen ergreifen, Phantasie und Flexibilität bei Neuerungen mitbringen. Das können auch außerschulische Sponsoren sein", sagt Grunder. Was sollte also eine Schule mitbringen, damit sie sich weiter entwickeln kann? "Es ist einfacher zu formulieren, warum eine Schulentwicklung nicht funktioniert", sagt Grunder, "zu wenig Ressourcen, zu wenig Öffentlichkeit und schlechte Beziehungen." Die von sich aus entwicklungswilligen Schulen, hat Grunder beobachtet, waren eher "flach" organisiert, eine Hierarchie nur schwach ausgebildet. Der Schulleiter zog sich von seiner bestimmenden Position zurück und war eher Moderator.

    Die teilnehmenden Schulen würden das wissenschaftliche Projekt gern weiter führen, als eine Art "Supervision" ihrer Entwicklung aufrechterhalten. "Zum Teil würde den Schulen auch schon eine symbolische Unterstützung, eine positive Kenntnisnahme ihrer Veränderungen reichen", zieht Grunder Bilanz. Im Stuttgarter Ministerium für Kultus, Jugend und Sport wird zur Zeit geprüft, wie die Forschungsergebnisse und positiven Erfahrungen aus dem Projekt in einem allgemeineren Rahmen noch mehr Schulen zugute kommen könnten. (7340 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Prof. Hans-Ulrich Grunder ist zur Zeit dienstlich im Ausland und nicht in Tübingen zu erreichen. Nähere Informationen bei:
    Gerd Schubert
    Leiter des Schulentwicklungsprojektes
    Institut für Erziehungswissenschaft
    Abteilung für Schulpädagogik
    Münzgasse 11
    72070 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 83 14
    Fax 0 70 71/29 58 71
    e-mail der Projektleitung: gerd.schubert@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html


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    Criteria of this press release:
    Social studies, Teaching / education
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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