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01/30/1998 00:00

Birkenrinde restauriert

Dr. Albrecht Sauer Kommunikation
Deutsches Schiffahrtsmuseum

    Info Nr. 02/98 vom 30.01.1998

    Vier Feldpostkarten aus Birkenrinde nach 82 Jahren wieder wie neu und gut lesbar

    Experiment im Deutschen Schiffahrtsmuseum vollauf gelungen: Nassholzexperte Dr. Hoffmann machte aus steinharten Roellchen wieder flache Karten

    Daß ein deutscher Landser im Sommer 1915 seiner Schwester vier Feldpostkarten mit dem fast gleichlautenden Text "Gruß aus dem Schützengraben Lamorville Nord" schrieb, ist an sich nicht ungewöhnlich. Soldat Fritz Kaimer, der im weiteren Verlauf des Ersten Weltkrieges sein Leben verlor, wählte für die Post jedoch ein Material, das acht Jahrzehnte später die Wissenschaft beschäftigen sollte: frische Birkenrinde. Es kam, was kommen mußte: Die "Karten" verwandelten sich, je mehr die Feuchtigkeit aus der Rinde entwich, in vier steife und steinharte Röllchen, niemand konnte sie mehr lesen.

    82 Jahre später gelang dem Naßholzexperten Dr. Per Hoffmann, Konservator am Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven, das Kunststück, die Birkenrinde wieder geschmeidig werden zu lassen und auszurollen, ohne daß dabei die Tinte zerfloß. Seither verwahrt der Sohn der Empfängerin, einer damals jungen Frau, drei Karten als kostbaren Besitz. Eine durfe Dr. Hoffmann als "Belegexemplar" behalten.

    Als die alte, mit Pfauen, Kamelen und Elefanten bedruckte Teedose vor ihm auf dem Schreibtisch stand, wußte Per Hoffmann sofort: Er saß vor einem Problem, aber auch vor einer reizvollen Aufgabe. Ihm war selbstverständlich bekannt: Birkenrinde läßt sich wie Holz mit Wasserdampf und höheren Temperaturen weichmachen und im heißen Zustand biegen und formen. Diese simpelste Methode kam jedoch nicht in Betracht, nicht allein deswegen, weil die Tinte bei der Verwendung von Wasser oder gar Wasserdampf sofort verlaufen würde, sondern auch, weil die Rinde augenblicklich wieder steif und spröde wird, sobald sie abkühlt, und weil es schwierig ist, das heiße Röllchen mit der gebotenen Vorsicht zu handhaben. Dr. Hoffmann: "Nimmt man ein Rindenröllchen aus dem Dampftopf, hat man vielleicht zehn bis zwanzig Sekunden Zeit für eine Manipulation, länger kann in einem so dünnen Objekt die erforderliche Temperatur von gut 100 Grad Celsius nicht gehalten werden."

    Eine wesentlich elegantere Möglichkeit, mit den Röllchen umzugehen, erkannte der Naßholzexperte in der besonderen chemischen Komposition der Birkenrinde. Die äußere Rinde der Birke besteht aus vielen Lagen von Korkzellen, deren Wände anders aufgebaut sind als die Wände von Holzzellen: Auf einer mit den Nachbarzellen gemeinsamen Mittellamelle aus Cellulose und Lignin (Holzstoffen) lagert eine dicke Schicht, die überwiegend aus Suberin besteht.

    In diesem Suberin fand Dr. Hoffmann den Ansatz für die Lösung der kniffeligen Aufgabe. Bei Suberin handelt es sich um ein unlösliches Polymer, das ist eine aus größeren Molekülen bestehende Substanz; chemisch: um ein Polyester aus ungesättigten und gesättigten Fettsäuren. Suberin kommt in unterschiedlichen Mengen und Kompositionen in der Rinde aller verholzten Pflanzen vor, in besonders hoher Konzentration jedoch in der Rinde der Korkeichen und eben der Birken, bei denen der Anteil von Suberin an der Zellwandsubstanz bis zu 85 Prozent beträgt. Frisch vom Stamm geschälte Birkenrinde läßt sich solange leicht zurechtbiegen, wie noch das Suberin darin weich und elastisch ist. Nach dem Abschälen gibt die Rinde Wachstumsspannungen nach und rollt sich, wenn sie nicht gepreßt wird, mit der Außenseite, der "Papierseite", nach innen auf.

    Suberin läßt sich aber, wie andere Polymere auch, mit einem geeigneten Weichmacher wieder plastifizieren. Der Weichmacher dringt in die starre Substanz ein und macht das Molekülgerüst beweglich, geschmeidig, formbar. Bei Birkenrinde besonders wirksam sind Methanol und Ethanol, zwei Lösungsmittel mittlerer Polarität. Per Hoffmann entschied sich für Ethanol, weil dieser Alkohol weniger gesundheitsgefährdend ist als Methanol und weil er keine Verfärbung der Papierseite von Birkenrinde verursacht. Um kein Risiko für die Beschriftung einzugehen, betupfte er ein Bruchstück der Rinde zuvor mit einem alkoholgetränkten Filterpapier. Ergebnis: Die Tinte löste sich nicht und verlief auch später nicht während drei Wochen im Ethanoldampf.

    Das Experiment konnte beginnen. Die vier Röllchen kamen in einem Glastopf auf ein Gitter über Schälchen mit etwas Ethanol. Nach einem Tag im Alkoholdampf ließen sie sich bereits ein wenig biegen und auf zylindrische Formkörper mit etwas größeren Durchmessern schieben. Weitere vier Tage später fixierte Dr. Hoffmann sie mit Reagenzgläsern, Stäbchen und Gummibändern auf Brettchen und entrollte sie vorsichtig, soweit es ihre noch vorhandene Elastizität zuließ. Nach insgesamt 22 Tagen im Ethanoldampf hatten die Rindenstücke ihre Spannung fast ganz verloren und ließen sich völlig strecken. Dr. Hoffmann spannte die Karten zwischen Brettchen ein. Sechs Wochen lang verdampfte das Ethanol langsam aus dem Gewebe, und als Hoffmann die Rindenstücke aus ihrer Fixierung befreite, zeigten sie keinerlei Neigung, sich wieder zu rollen.

    In den vergangenen zwei Monaten hat, wie der Naßholzexperte feststellte, die Elastizität der Karten zugenommen; sie sind härter und steifer geworden. Obwohl sie nunmehr in schweren Klarsichthüllen aufbewahrt werden, zeigen sie wieder eine leichte Tendenz, sich aufzuwölben. In zwei der vier Karten sind Brüche in den Papierseiten aufgetreten, meistens im Zusammenhang mit vorhandenen sehr harten Astsiegeln. Dr. Hoffmann hält es für möglich, daß diese Anbrüche bereits im Sommer 1915 beim Abschälen der Rinde vom Baum und bei der Herrichtung der Karten entstanden sind.

    Auf keiner Karte ist Tinte verlaufen. Im Gegenteil: Die Schrift wirkt auf den Papierseiten eher aufgefrischt. Die Karten aus Birkenrinde sind nicht nur wieder lesbar, sie weisen nicht die geringsten Verfärbungen oder Veränderungen durch die langdauernde Behandlung mit dem Lösungsmittel auf. Ihr Besitzer braucht die wertvollen Familiendokumente fortan nicht mehr in der alten Teedose aufzubewahren. Ein Album bietet sich schon eher für diesen Zweck an.

    Abbildungen siehe http://www.deutsches-schiffahrtsmuseum.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Chemistry, History / archaeology, Information technology, Mechanical engineering, Social studies
    transregional, national
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