Beitrag zur Enträtselung eines Riesen-Gliederfüßers aus der Steinkohlen-Zeit
von CARSTEN BRAUCKMANN und ELKE GRÖNING
Arthropleura ist ein jungpaläozoischer, äußerlich tausendfüßerähnlicher Riesen-Gliederfüßer. Reste sind mittlerweile bekannt aus Ablagerungen vom höheren Silur bis zum Unter-Perm, wobei beträchtliche Überlieferungslücken zwischen den silurischen, devonischen und oberkarbonischen Nachweisen bestehen.
Die Typusart Arthropleura armata JORDAN 1854 aus dem Ober-Karbon wurde etwa 1 m lang, wie ein ein im Jahre 1935 in der Grube Maybach im Saarland unter Tage entdeckter, aus 26-27 zusammenhängenden Segmenten bestehender Fund zeigt. Bestimmte Panzerplatten von der Bauchseite einer anderen Art, Arthropleura mammata (SALTER 1863), sind etwa zweieinhalb mal so groß wie die entsprechenden Platten von Arthropleura armata (siehe HAHN, HAHN & BRAUCKMANN 1986). Unter der Annahme etwa gleicher Proportionen und ähnlicher Segmentzahl läßt sich für sie sogar auf eine Körperlänge von weit mehr als 2 m schließen. Damit wäre Arthropleura mammata der größte bislang bekannte Gliederfüßer überhaupt, der sogar noch die Länge der größten, bis 1.80 m langen Eurypteriden (,Seeskorpione") aus dem Devon-Zeitalter übertrifft. Ein diesen riesigen Dimensionen entsprechendes, eindrucksvolles Modell stellte der Aachener Präparator W. Kraus für das Naturkundemuseum Augsburg - z. T. in enger wissenschaftlicher Kooperation mit einem der Autoren (C. B.) - her (vgl. KRAUS 1993).
Doch trotz dieser und manch weiterer Kenntnisse zur Größe und Morphologie von Arthropleura blieb diese Gattung rätselhaft; denn seit den schon vor mehr als 140 Jahren beschriebenen Erstfunden von Arthropleura armata aus dem mittleren Ober-Karbon des Saarlandes wurden von dieser und verwandten Arten bisher ausschließlich Teile des Rumpfpanzers geborgen. Obgleich mittlerweile eine große Anzahl von Arthropleura-Funden aus Europa und Nordamerika vorliegt, blieben die - u. a. für die systematische Stellung wichtige - Kopf- und Schwanzregion weitgehend unbekannt. Selbst der bereits genannte zusammenhängende Rest aus der Grube Maybach gibt keinen Aufschluß über diese Körperbereiche. Auch einige wenige winzig kleine, nur wenige cm lange, aber recht vollständige Fundstücke - z. B. aus dem oberen Ober-Karbon von Montceau-les-Mines in Zentral-Frankreich - zeigen Kopf- und Schwanzregion nur unzureichend; zudem ist unseres Erachtens die Zugehörigkeit dieser Funde zur Arthropleura-Verwandtschaft nach einigen stark abweichenden Merkmalen durchaus nicht gesichert.
Die Versuche einer Rekonstruktion von Kopf und Endsegment blieben somit bis in die jüngste Zeit rein spekulativ und waren stets stark von der Verwandtschafts-Auffassung des jeweiligen Autors geprägt. Die Bandbreite reichte von einem kleinen, mehr tausendfüßerartig gestalteten Kopfbereich bis zu einem viel urtümlicher gehaltenen, quer dreigegliederten trilobitenartigen Kopfschild. Immerhin sind fast alle Rekonstruktionen mit einem Paar hypothetischer Antennen ausgestattet, die ebenfalls bislang nicht belegt waren.
Die bisher klaffende Kenntnislücke konnte nun nach neu entdeckten Funden von Arthropleura armata durch Herrn Michael Thiele-Bourcier (Blieskastel-Bierbach) - abermals aus dem mittleren Ober-Karbon im Saarland - weitgehend geschlossen werden. Die Ergebnisse wurden inzwischen von den Verfassern gemeinsam mit dem Finder publiziert. Danach läßt sich folgendes sagen:
Der Kopfpanzer ist in der Aufsicht gerundet-trapezförmig und überragt seitlich die Mittelachse des Rumpfes, erreicht aber nicht die volle Rumpfbreite. Komplexaugen und Antennen sind an dem neuen Material zwar auch nicht überliefert, aber am Kopf befinden sich seitlich je eine Einbuchtung und eine Aufwölbung des Panzers, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit und leicht den Ansatzstellen der Augen bzw. der Antennen zuordnen lassen. Danach liegen die Komplexaugen weit seitlich am Kopf; das Antennen-Paar tritt unmittelbar davor unter dem Panzer hervor. Auf der Kopfoberfläche ist median eine im Umriß trapezförmige Aufwölbung abgetrennt - ähnlich der Glabella bei den Trilobiten. Die aus unregelmäßig angeordneten Knötchen bestehende Skulptur des Kopfpanzers gleicht der des Rumpfes. Der Schwanzschild ist im Verhältnis zu den Rumpfsegmenten sehr klein, trapezförmig im Umriß; er wird seitlich von dem davor liegenden letzten Rumpfsegment eingefaßt. Ein weiterer, noch nicht publizierter Fund zeigt darüber hinaus klar, daß den Segmenten jeweils nur ein einziges Bein-Paar zugeordnet ist. Somit läßt sich auch der von manchen Autoren postulierte Besitz von zwei Bein-Paaren pro Segment (Diplopodie) widerlegen. Dies wird auch nachdrücklich durch die Untersuchung eines Arthropleura-Restes aus dem Unter-Perm des Döhlener Beckens in Sachsen durch SCHNEIDER & BARTHEL (1997) bestätigt. Da komplette Panzer fehlen, bleibt die Gesamtzahl der Rumpfsegmente nach wie vor unklar; unter Berücksichtigung aller Daten - einschließlich der Verjüngung des Rumpfes gegen das Endsegment - ist eine Zahl um 30 sehr wahrscheinlich. Die Gesamtheit der Ergebnisse ist Grundlage der Rekonstruktionszeichnung, die im Rahmen des von den beiden Autoren begonnenen gemeinsamen Projektes ,Rekonstruktionen ausgewählter paläozoischer Gliederfüßer" erstellt wurde.
Mit dem Lebensraum von Arthropleura haben sich in jüngster Zeit SCHNEIDER & BARTHEL (1997) beschäftigt. Danach lebten die Tiere vornehmlich in der lockeren Vegetation auf Schwemmfächern, in Überflutungsebenen sowie entlang von Flüssen und Flußdeltas, nicht jedoch in der dichten Karbonwald-Vegetation. Dies erklärt auch die Tatsache, daß Arthropleura-Reste relativ selten in den bevorzugt auf Fossilien untersuchten, pflanzenreichen Tongesteinen aus dem unmittelbaren Bereich der Kohleflöze gefunden werden.
Noch nicht aussagefähig ist das neue Material zur Klärung der systematischen Stellung von Arthropleura. Unklar bleibt auch weiterhin der Bau der Kopfunterseite und der Mundwerkzeuge. Gegen eine unmittelbare Zuordnung zu den Tausendfüßern - die sich ohnehin in jüngster Zeit als nicht einheitliche Gliederfüßergruppe herausgestellt haben - spricht unseres Erachtens der unterschiedliche Bau der Bauchseite. Wir halten es daher für wahrscheinlicher, daß die Arthropleura-Verwandtschaft in einem Schwestergruppen-Verhältnis zu den Tausendfüßern oder einer ihrer Teilgruppen steht.
Das Rätsel Arthropleura ist somit zwar noch nicht völlig gelöst; die neuen Untersuchungen haben aber sicherlich einen wichtigen Teilschritt zur Klärung offener Fragen beigetragen.
Literatur
BRAUCKMANN, C., GRÖNING, E., & THIELE-BOURCIER, M. (1997): Kopf- und Schwanz-Region von Arthropleura armata JORDAN, 1854 (Arthropoda; Ober-Karbon). - Geologica et Palaeonologica, 31: xxx-xxx, Abb. 1-3, Taf. 1-3; Marburg.
HAHN, G., HAHN, R., & BRAUCKMANN, C. (1986): Zur Kenntnis von Arthropleura (Myriapoda; Ober-Karbon). - Geologica et Palaeontologica, 20: 125-137, Abb. 1-3, Taf. 2; Marburg.
KRAUS, W. (1993): Eine 2 m lange semiflexible Rekonstruktion von Arthropleura, dem größten bekannten Myriapoden aus dem Oberkarbon Mitteleuropas. - Der Präparator, 39: 141-158, Abb. 1-12; Bochum.
SCHNEIDER, J., & BARTHEL, M. (1997): Eine Taphocoenose mit Arthropleura (Arthropoda) aus dem Rotliegend (?Unterperm) des Döhlen-Beckens (Elbe-Zone, Sachsen). - Freiberger Forschungshefte, C 466: xxx-xxx, Abb. 1-8, Taf. 1-9; Leipzig.
Criteria of this press release:
Geosciences
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German
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