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05/30/2000 12:06

Vom Tod und Selbstmord der Hefe

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Biochemie

    In vielzelligen Lebewesen wie dem Menschen können geschädigte, infizierte oder überflüssige Zellen den programmierten Tod sterben, um sie gefahrlos im Körper zu beseitigen. Lange nahm man an, dass dieser Mechanismus bei Einzellern sinnlos wäre. Doch haben Tübinger Biochemiker entdeckt, dass auch die einzellige Hefe dem programmierten Zelltod erliegen kann. Sie erforschen nun die ursprüngliche Funktion des "Selbstmords" der Zellen.

    Vom Tod und Selbstmord der Hefe

    Warum das Sterben manchmal streng geregelt wird

    Hefe ist vom Brot- und Kuchenbacken bekannt. Natürlicherweise lebt sie zum Beispiel auf Weintrauben. Die Tübinger Biochemiker Dr. Frank Madeo und Dr. Kai-Uwe Fröhlich vom Lehrstuhl Prof. Dieter Mecke am Physiologisch-chemischen Institut haben beobachtet, dass die Einzeller unter Mangelbedingungen, wenn etwa Stickstoffverbindungen in der Traube zur Nei-ge gehen, dem programmierten Zelltod erliegen können. Der "Selbstmord" der Zellen geht streng geregelt vor sich. Die Zellinhalte werden in kleine Säckchen verpackt und recycelt. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich dabei viele Zellen für wenige opfern, die mit den freiwer-denden Nährstoffen überleben können. Darin könnte eine Funktion des programmierten Zell-tods liegen, den Madeo vor einigen Jahren bei der Hefe entdeckt hat.

    Viele Wissenschaftler hatten es nicht für möglich gehalten, dass es den programmierten Zelltod bei Einzellern wie den Hefen geben könnte. Bei Säugerzellen wurde der Mechanismus bereits vor 30 Jahren festgestellt. Die Funktion in Vielzellern liegt auf der Hand: Geschädigte oder infi-zierte Zellen können im Körper über den programmierten Zelltod, auch Apoptose genannt, ge-fahrlos beseitigt werden. Dagegen schien die Apoptose bei einzelligen Lebewesen wie der Hefe sinnlos, weil sie keine weiteren Zellen geschweige denn einen Körper zu schützen haben. Den anderen, krankhaften Tod, die Nekrose, gibt es bei allen Lebewesen. Er tritt ein, wenn die Be-dingungen das Überleben unmöglich machen. "Das sieht aber ganz anders aus als bei der Apoptose. Die Zellen platzen, und benachbartes Gewebe kann sich entzünden", erklärt Fröhlich.

    Mit Störungen im geregelten Zelltod-Programm hängen eine Reihe schwerer Erkrankungen beim Menschen wie bestimmte Krebsarten, Parkinson und Alzheimer zusammen. Weltweit for-schen inzwischen zahlreiche Wissenschaftler am Zelltod der Hefe, da sie als Modellsystem für die komplizierteren Säugerzellen gelten kann. Die Tübinger Wissenschaftler haben ihre Metho-den der Suche nach Genen, die in Hefe Apoptose auslösen oder bremsen können, patentieren lassen. Ihr Ziel ist es, vor allem den grundlegenden Mechanismus der Apoptose aufzuklären, der sich in der Evolution vom Ein- zum Vielzeller erhalten hat.

    "Sauerstoffstress ist sowohl bei der Hefe als auch beim Menschen ein Faktor zur Auslösung des programmierten Zelltods", nennt Madeo ein Ergebnis. Darunter verstehen die Wissenschaftler die Bildung von stark reaktionsfähigen Teilchen, so genannten Radikalen, die in der Zelle Schä-den anrichten können. "Wir vermuten, dass bei einzelligen Organismen die Apoptose die Ant-wort auf die Entstehung von solchem Sauerstoffstress war, sodass wenigstens einige Zellen überlebten. Später haben sich Mechanismen entwickelt, bei denen Sauerstoffradikale als Signal absichtlich gebildet wurden", sagt Fröhlich Aus solchen Parallelen hoffen die Wissenschaftler, Erkenntnisse nicht nur über die Hefe, sondern auch über Krankheiten des Menschen zu gewin-nen. (2956 Zeichen)

    Die Entdeckung als solche erkennen

    Tübinger Biochemiker erforschen den programmierten Zelltod der Hefe

    Bei Lebewesen hat nicht nur das Leben eine Funktion, sondern auch der Tod. Bei vielzelligen Tieren und dem Menschen ist seit dreißig Jahren bekannt, dass es für den Tod einzelner Zellen sogar ein hochreguliertes Programm gibt. Auf diese Weise werden zum Beispiel geschädigte oder infizierte Zellen beseitigt, deren Inhalt dem gesunden Gewebe sonst gefährlich werden könnte. Störungen im Zelltod-Programm hängen mit verschiedenen schweren Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Parkinson zusammen. Vor drei Jahren entdeckten die Tübinger Bioche-miker Dr. Frank Madeo und Dr. Kai-Uwe Fröhlich vom Physiologisch-chemischen Institut, dass auch die einzellige Bäckerhefe den programmierten Zelltod sterben kann. Da die Hefe als einfaches Modell der menschlichen Zellen dient, forschen neben dem Lehrstuhl von Prof. Dieter Mecke am Physiologisch-chemischen Institut der Universität Tübingen inzwischen zahl-reiche Wissenschaftler weltweit am "Selbstmord" der Hefezellen.

    Manchmal kommt der Wissenschaft der Zufall zu Hilfe. In seiner Doktorandenzeit ließ Madeo angezüchtete Hefezellen einfach stehen, als er in den Urlaub fuhr. Er hatte einige Gene der He-fe gezielt verändert und die Folgen für Wachstum und Vermehrung untersucht. Als er zurück-kam, sahen die Zellen mit einer bestimmten Genveränderung merkwürdig aus. Sonst waren sie fast rund, jetzt zeigten sie kleine Auswüchse. Mehr aus Spielerei denn aus Vorahnung gab der Forscher eine Farblösung über die Hefezellen, mit der die Zellkerne angefärbt werden. Dabei wurde erkennbar, dass das Erbgut im Zellkern sich an einer Wand verklumpt hatte. "Das hat mich an eine Vorlesung erinnert, in der dieser Vorgang als Signal des programmierten Zelltods bei Zellen von Säugetieren genannt wurde", sagt Madeo. Bei der weiteren Suche zeigte sich, dass wie bei den Säugerzellen auch die Hefe bestimmte Fette aus der Zelle nach außen klappte. Tatsächlich hatte der Forscher den programmierten Zelltod bei der Hefe entdeckt. "Auch ande-re Wissenschaftler haben diese Signale beobachtet, sich aber nichts weiter dabei gedacht", kommentiert Mecke, "die Entdeckung besteht eben häufig darin, sie auch als solche zu erken-nen."

    Bei der Veröffentlichung seiner Forschungen stieß Madeo auf Widerstand. "Die Wissenschaft-ler hatten bis dahin angenommen, dass der programmierte Zelltod bei Einzellern wie der Hefe keine Funktion haben könnte, denn sie hat kein Immunsystem und besteht ja aus keinen weite-ren Zellen, die geschützt werden müssten", sagt der Biochemiker Dr. Kai-Uwe Fröhlich. Erst mit dem Erscheinen eines Artikels in einer renommierten Fachzeitschrift stieg das Interesse an der Entdeckung. Inzwischen arbeiten laut Fröhlich mehrere Arbeitsgruppen am Zelltod der He-fe.

    Beim programmierten Zelltod, auch Apoptose genannt, ist alles streng geregelt: Die Zellinhalte werden ähnlich wie bei menschlichem Hausmüll, der in 'gelbe Säcke' gesteckt wird, in kleine Päckchen verpackt und gezielt recycelt. Den anderen Tod, die so genannte Nekrose, gibt es bei allen Lebewesen. Sie tritt zum Beispiel auf, wenn die Bedingungen das Überleben unmöglich machen oder die Zellen krankhaft absterben. "Der Unfalltod der Zelle sieht ganz anders aus als der programmierte. Die Zelle platzt und das umliegende Gewebe entzündet sich", sagt Fröhlich. Die Bedeutung der Apoptose schätzen die Forscher heute hoch ein: "Bei vielen Tumoren des Menschen hat man früher davon gesprochen, die Zellen würden sich unkontrolliert vermehren. Heute kann man annehmen, dass bei der Mehrzahl der Tumore die Apoptose verhindert wird, also das geregelte Absterben", sagt Mecke. Die Hefezelle sei ein gutes Modell für die Erfor-schung des programmierten Zelltods, meinen die Tübinger Forscher. Sie haben ihre Methoden der Suche nach Apoptose-auslösenden und -bremsenden Genen in Hefe patentieren lassen. Auch andere Wissenschaftler haben festgestellt, dass Gene, die in Säugetierzellen Apoptose auslösen oder auch verhindern können, beim Verpflanzen in Hefezellen tatsächlich den glei-chen Effekt hatten. Kürzlich fanden japanische Forscher, dass die menschliche Form des "Tü-binger" Hefe-Apoptosegens auch bei Menschen die Apoptose reguliert.

    Die Tübinger Forscher interessiert an der einfachen Hefezelle vor allem, wozu die Apoptose ursprünglich diente, welches der Hauptweg war, aus dem sich bei den vielzelligen Lebewesen weitere Funktionen zum Beispiel im komplexen Immunsystem entwickelt haben. Den Wissen-schaftlern kommt dabei zugute, dass die rund 6000 Gene der Hefe vollständig sequenziert sind. "Allerdings kennen wir damit nicht automatisch die Funktion. Es ist so, als hätten wir viele Ta-feln mit Keilschrift vor uns, deren Symbole wir noch verstehen lernen müssen", erklärt Fröh-lich. In einer deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit stellen Forscher Hefen her, bei denen jeweils eins der Gene ausgeschaltet ist. Die Tübinger wollen alle diese Mutanten auf ihre Aus-wirkungen auf die Apoptose beobachten. In einem anderen Ansatz werden gezielter bestimmte Gene untersucht, von denen bereits aus Experimenten bekannt ist, dass sie an der Apoptose beteiligt sind.

    Doch warum nun programmierter Zelltod bei einzelligen Hefen? In der Natur kommt Hefe zum Beispiel auf Weintrauben vor. Sie vermehrt sich dort explosionsartig bis etwa Stickstoff-verbindungen zum Mangelfaktor werden und das Baumaterial für neue Zellen fehlt. Fröhlich hat beobachtet, dass dann die Mehrzahl der Zellen dem programmierten Zelltod erliegt. Er vermutet, dass vor allem die alten Zellen sich für wenige Überlebende opfern. "Im Labor ist das lange übersehen worden. Normalerweise werden die Hefezellen dort gut gefüttert, weil sie wei-ter gezüchtet werden sollen", sagt der Biochemiker. Doch woher wissen die Zellen, zu welcher Gruppe sie gehören? Im Gegensatz zu den ebenfalls einzelligen Bakterien, bei denen eine Mut-terzelle bei der Vermehrung in zwei Tochterzellen aufgeht, gibt es bei Hefen zumindest eine Alterung. "Hefezellen vermehren ihren Zellinhalt und schnüren dann Tochterzellen ab", erklärt Madeo. Da bei jeder Abschnürung eine kleine Narbe zurückbleibe, ließen sich anhand der Zahl der Narben jüngere von älteren Zellen unterscheiden. Da jedoch nicht nur die ganz alten Zellen sterben, forschen die Tübinger nun an möglichen Kommunikationswegen der Zellen unterein-ander und an Faktoren, die Einfluss auf die Apoptose haben.

    Ein Faktor hat sich bereits gefunden, der sowohl in Krankheitsprozessen bei menschlichen Nervenzellen, etwa der Parkinson-Erkrankung, als auch bei der Hefe eine Rolle spielt: Stark re-aktionsfähige Sauerstoffteilchen, so genannte Radikale, dienen sowohl in Zellen von Säugetieren als auch bei der Hefe als Signal zur Einleitung des programmierten Zelltods. "Wir vermuten, dass bei einzelligen Organismen die Apoptose die Antwort auf die Entstehung von solchem Sauerstoffstress war, sodass wenigstens einige Zellen überlebten. Später haben sich Mechanis-men entwickelt, bei denen Sauerstoffradikale als Signal absichtlich gebildet wurden", sagt Fröh-lich. Von der Erkundung der ursprünglichen Funktionsweise der Apoptose erhoffen sich die Forscher auch Erkenntnisse über die Ursachen von Erkrankungen, die mit Fehlern im Zelltod-Programm zusammenhängen. Allerdings setzen die Biochemiker in dieser Phase der Forschung auf Fleiß statt auf den Kollegen Zufall. "Das gehört zum Wissenschaftleralltag. Aber wir lassen unseren Forscher seit seiner Entdeckung gern mal in den Urlaub gehen", sagt Mecke.
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    Nähere Informationen:

    Prof. Dieter Mecke Tel. 0 70 71/2 97 30 43
    Dr. Frank Madeo, Dr. Kai-Uwe Fröhlich Tel. 0 70 71/2 97 33 60
    Physiologisch-chemisches Institut
    Hoppe-Seyler-Str. 4
    72076 Tübingen
    Fax 0 70 71/29 55 65

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html

    Unter dieser Adresse sind auch Abbildungen einsehbar, die auf Wunsch per e-mail verschickt werden können.


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    Criteria of this press release:
    Biology, Chemistry, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results
    German


     

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