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06/15/2000 15:56

Mensch - Natur - Technik: Perspektiven aus der Antike für das 3. Jahrtausend

Kai Uwe Bohn Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    "Ich habe die Arbeiten für dich ausgeführt und nun habe ich keine Beschäftigung mehr. Ich sitze
    da, ohne auch nur das Nötigste zu haben; deshalb tätest du gut, falls doch noch einige Tafelbilder
    bei dir zu machen sind, sie mir zu übergeben, damit ich beschäftigt bin und das Nötigste habe."
    (Eingabe des Malers Theuphilos an den Manager Zenon aus dem ptolemäischen Ägypten)

    Arbeit und Arbeitslosigkeit, Frauen- und Männerarbeit, Arbeitsverträge und Arbeitslohn - sie
    waren in der alten Welt an der Tagesordnung, haben Landwirtschaft, Gewerbe und Handel
    bestimmt. Es gibt menschliche Grunddispositionen ("anthropologische Grundstrukturen"), die sich
    in der Menschheitsgeschichte wenig verändert haben. Geschichte bedeutet also die
    Auseinandersetzung mit vergleichbaren Problemen in unterschiedlichen Epochen und mit jeweils
    anderen Lösungen. Von daher ist Geschichte, gerade Alte Geschichte, ein Fundus menschlicher
    Erfahrungen.

    Auf der von der Vereinigung Alte Geschichte für Europa (AGE) und der Universität Bremen vom
    15. - 17. Juni 2000 ausgerichteten Tagung "Mensch - Natur - Technik: Perspektiven aus der Antike
    für das 3. Jahrtausend" werden aktuelle Schwierigkeiten der Gegenwart im Lichte antiker
    Überlieferung und Probleme betrachtet.

    Beispiel: Arbeit und Arbeitslosigkeit

    Die heutige Problematik der Massenarbeitslosigkeit wirft die Frage auf: War und ist es richtig, den
    Wert des Menschen vornehmlich über Arbeit zu definieren? Aus der Antike lässt sich eine
    Relativierung, Präzisierung und Flexibilisierung des Arbeitsbegriffs ableiten. Es gab nicht die alles
    dominierende Arbeit, sondern Arbeit, geistige und kulturelle Tätigkeiten sowie Freizeit wurden
    gleichwertig miteinander verzahnt. Die Arbeit lief in verlässlichen und berechenbaren Formen ab.
    Die Antike kannte Arbeitsverträge, Lohnvereinbarungen, im Ausnahmefall auch
    Arbeitsniederlegungen, differenzierte zwischen Männer- und Frauenarbeit und bot eine Vielfalt an
    Gewerbe- und Handelstätigkeiten.

    Beispiel: Globalisierung

    Die Antike kannte direkte Formen der politischen Mitwirkung, beispielsweise die Partizipation in der
    griechischen Demokratie. Für sie bedeutete Demokratie Überschaubarkeit und Transparenz der
    Strukturen.

    Das römische Weltreich war der eigenen Überzeugung nach ein globales Reich. Die überregionale
    politische und rechtliche Ordnung funktionierte so lange, wie die dezentralen Einrichtungen, sprich
    die Städte, in Takt waren. Globalisierung setzt arbeitsfähige und vitale dezentrale Einheiten
    voraus; sonst verwandelt sich die Mitwirkung der Menschen in bloße Akklamation (der römische
    Kaiser als Dominus und Deus). Aus Bürgern werden Claqueure.

    Beispiel: Freizeit und Freizeitkultur

    In der Antike war die arbeitsfreie Zeit zunächst eine Sache der religiösen Betätigung und der
    großen Feste. Dieser religiöse Zug säkularisierte sich: Gladiatorenspiele, Wettkämpfe,
    Theateraufführungen verselbständigten sich und folgten eigenen, massenpsychologischen
    Regeln: Die psychische Entlastung des einzelnen erfolgte durch "Teilnahme" am fremden Kampf,
    Leid und Tod; auch das Motiv einer politischen Entmündigung und Lenkung spielte in der römischen
    Kaiserzeit eine erhebliche Rolle. Die Forschung spricht hier von Domestizierung. Daraus
    resultieren ganz aktuelle Fragen: Welchen Sinn hat die Freizeitbeschäftigung nicht nur für das
    Individuum? Welchen Zwecken und Zwängen ist der einzelne in der Massenkultur unterworfen?
    Daraus folgt die Aufforderung, vernünftig und überlegt mit der Freizeit umzugehen.

    Beispiel: Natur, Naturerfahrung, Naturkatastrophen

    Durch das Phänomen einer belebten, von Göttern erfüllten Natur ergab sich eine andere
    Umgehensweise mit der Natur. Im Mittelpunkt standen eher das Bewahren, weniger die
    instrumentelle Umwandlung und Ausbeutung der Natur. Der Mensch begriff sich als Teil im
    gesamten Naturgeschehen. Naturkatastrophen wie Erdbeben, Seuchen oder Feuersbrünste riefen
    allerdings nicht nur das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht hervor, sondern führten
    zu einer rationalen (wissenschaftlichen) Betrachtung der Natur. Doch die Einsicht in die letztlich
    von Menschen nicht zu steuernden Naturgewalten blieb bestehen.

    Das EXPO-Motto "Mensch - Natur - Technik" steht also ganz offensichtlich in der Tradition der
    Antike. Die Alte Welt, die Welt der Griechen und Römer, hat sich in vielfältigen Formen mit diesen
    Fragen auseinandergesetzt. Die Antike ist aus heutiger Sicht kein klassizistisches
    Erbauungsmodell mehr, sondern eine von Menschen geschaffene Kultur mit Höchstleistungen, mit
    Defiziten, mit einem auch heute noch ansehnlichen Erbe in Kunst, Literatur und Wissenschaft.
    Dieses aktuelle Bild der Antike sollte so auch Eingang in den Schulunterricht finden. Die
    europäische Integration in Politik und Wirtschaft ist auf Werte, Haltungen und Traditionen
    angewiesen, wenn sich eine übergreifende europäische Identität herausbilden soll. Die viel
    beschworene europäische Wertegemeinschaft ist ohne Rückgriff auf die Antike nicht vorstellbar.

    Weitere Informationen bei

    Prof. Dr. Hans Kloft
    Universität Bremen
    Studiengang Geschichte
    Tel. (0421) 218 2226
    Email hkloft@uni-bremen.de


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
    German


     

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