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07/18/2007 13:44

Angela Merkel auf den Spuren des Medienkanzlers

Jörg Feuck Kommunikation
Technische Universität Darmstadt

    Heute präsentiert sich die einstige "Antiheldin" der Mediendemokratie vor der Bundespressekonferenz

    Es war ein ungeschriebenes Gesetz in der Bonner Republik, dass der Kanzler sich im Sommer den Fragen der Journalisten vor der Bundespressekonferenz stellt. In der Berliner Republik sitzt heute mit Angela Merkel zum ersten Mal eine Kanzlerin vor den nachrichtenhungrigen Medienvertretern. Das ist bemerkenswert - meint zumindest Medienwissenschaftler und Buchautor Lars Rosumek von der Technischen Universität Darmstadt. Er untersucht das Verhältnis der deutschen Kanzler zu den Medien und ihre Inszenierungsstrategien. "Merkel war lange Zeit eine klassische 'Antiheldin' der Mediendemokratie. Schon als Ministerin, wie auch als CDU-Generalsekretärin scherte sie sich nicht um die bei ambitionierten Politikern bekannten Spielregeln medialer Politikvermittlung", so Rosumek.

    Studien zeigen, dass bislang besonders das von Rosumek beschriebene "Anti-Image" Merkels den Deutschen im Gedächtnis haftet: Der größte Teil der zu Merkel befragten Personen äußerte sich spontan nicht zu politischen Inhalten, sondern vor allem zu äußeren Merkmalen, wie ihrer Frisur - die sogar von einer großen Autovermietung zu Webezecken instrumentalisiert wurde. "Es ist erstaunlich, dass Merkel die Tore zur Macht in ihrer Karriere scheinbar gegen alle Regeln der Mediendemokratie aufgestoßen hat", meint Rosumek.

    Stiltreu trotz neuer Frisur
    Im Wahlkampf 2005 überraschte Merkel die deutsche Öffentlichkeit mit Veränderungen: Eine neue Frisur, ein dezentes Makeup, Lidschatten, klassische Hosenanzüge, Lächeln vor den Kameras. Dennoch blieb Merkel - auch im Wahlkampf - Ihrem Stil der Nichtinszenierung treu. Das öffentliche präsentieren von Emotionen und Authentizität gehört - trotz ihres Jubels bei der WM - nicht zu Merkels Repertoire. Umso überraschender war es, dass die CDU-Strategen und Berater bei der Wahl 2005 trotz des Kandidatenprofils mit Hilfe einer Personalisierungsstrategie Wähler mobilisieren wollten. Auch als Kanzlerin hält Merkel an ihrem betont zurückhaltenden, sachorientierten Präsentationsstil fest. Damit unterscheidet sie sich fundamental von ihrem Vorgänger Schröder. "Merkel orchestriert die Medien nicht in der Bandbreite, die wir von 'Medienkanzler' Schröder gewohnt waren. Die Inszenierung der Nichtinszenierung ist fester Bestandteil ihrer Politikvermittlung geworden. Das ist ein klarer Stilwechsel", betont Lars Rosumek. In seiner Studie über die Kanzler und die Medien, die 2007 im Frankfurter Campus Verlag erschienen ist, zieht Rosumek starke Parallelen zu Willy Brandt und Helmut Schmidt: Auch damals verglich man den Wechsel von dem affirmativ und emotional auftretenden Brandt zum nüchternen Pragmatiker Schmidt mit dem Wechsel von Lyrik zu Prosa. Merkel trennt anders als Vorgänger Schröder strikt Privates und Politisches und gibt wenig bis gar nichts Persönliches von sich preis. Nicht zufällig ist "sachorientiert" das Attribut, das mittlerweile am häufigsten mit der Kanzlerin verbunden wird.

    Kanzlerin 2.0
    Die Kanzlerin gilt als ausgesprochen aufgeschlossen gegenüber modernen Kommunikationstechnologien: Ihre Vorliebe für schnelle Kommunikationsinstrumente wie den Short Message Service (SMS) ist mittlerweile fast legendär und bietet Medien immer wieder Anlässe der Berichterstattung. Schnelle, informelle Kommunikationsmedien verschaffen ihr einen Zeitvorsprung gegenüber formaler Kommunikation. Ihre Technikaffinität beweist sie auch im Internet: Merkel ist der erste Regierungschef weltweit, der einen eigenen Video-Podcast anbietet. Der erste Videoclip wurde nach Angaben des Bundespresseamtes 230.000-mal heruntergeladen. Mittlerweile hat sich die durchschnittliche Nutzung auf einem Niveau zwischen 10.000 und 35.000 Zugriffen pro Woche eingependelt. Mittlerweile zitiert sogar die Tagesschau aus diesem Format.

    Obwohl Merkel anders als Vorgänger Schröder selten Personalisierungsstrategien einsetzt und erkennbar weniger Routine in der Inszenierung von Authentizität besitzt, hat sie einen bezogen auf ihr Profil und ihre Stärken äußerst erfolgreichen Weg der Außendarstellung gefunden, meint Lars Rosumek. Und das nicht erst seit dem gelungenen Gipfel in Heiligendamm. Denn das zur Schau stellen von "Nicht-Inszenierung" heißt nicht, dass die Kanzlerin sich nicht inszeniert. Im Gegenteil: Ihr Berater-Team um Ulrich Wilhelm fokussiert durch eine betonte Nicht-Inszenierung vor allem die nüchterne, Schritt-für-Schritt-Arbeit am Gesamtreformwerk Deutschland. Sachorientiert, pragmatisch, geräuschlos. Merkel selbst spricht bei öffentlichen Terminen häufig von der vielen Arbeit, die noch zu erledigen sei, um sich anschließend vom Journalistentross zu verabschieden. "In einer Phase der intensiven Konsolidierung kann eine Kommunikation, die bewusst auf große, polarisierende Gesten, Glanz, Glamour und starke Emotionen verzichtet, stabilisierend wirken", so Rosumek.

    Das Attribut "Medienkanzler" hat Merkel dem Medienwissenschaftler zu Folge ebenso verdient wie Schröder, denn: "Dieses Attribut ist im Grunde unsinnig. Seit der Adenauer-Ära sind alle deutschen Kanzler auf medienvermitteltes Vertrauen und Sympathie angewiesen, und haben sich hoch professionelle Instrumente und Stäbe für diese Aufgaben geschaffen. Wer sich intensiv mit der Öffentlichkeitsarbeit von Adenauer oder Willy Brandt beschäftigt, wird erstaunt feststellen, dass vieles, das heute als modern gilt, bereits damals zum Standardrepertoire gehörte. Den Unterschied machen vor allem persönliche Präferenz und Geschick, sowie das individuelle Verständnis von kommunikativen Problemstellungen und die Anpassungsfähigkeit an die sich permanent weiterentwickelnden Kommunikationstechnologien", so Rosumek.

    Medienkontakt:
    Lars A. Rosumek
    Technische Universität Darmstadt
    Universitätskommunikation
    06151/16-6862
    0172/21 49 56 8


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Law, Media and communication sciences, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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