14. Oktober 1997, Nr. 73 Keramik - Ein Werkstoff fuer viele Ansprueche
Fuer die moderne Industrie sind Werkstoffe von ueberragender strategischer Bedeutung. Sie entscheiden haeufig ueber die Wettbewerbsfaehigkeit der Produkte. Wo Metalle und Polymere an ihre Grenzen stossen, erweitern Keramiken die Einsatzfelder. Denn der Werkstoff haelt hohen Temperaturen sowie extremen mechanischen und chemischen Belastungen stand. Welch breites Anwendungsspektrum Hochleistungskeramiken - von keramischen Waelzlagern, hochtemperaturstabilen Fasern bis hin zu piezokeramischen Sensoren und Aktoren - bieten, zeigen Fraunhofer-Institute auf der "ceramitec" in Muenchen vom 14. bis 18. Oktober in Halle 23, Stand E 12.
Keramik war das erste kuenstliche Material, das Menschen schufen. Doch auch nach etwa 8 000 Jahren ist das Potential nicht ausgereizt. Kein anderer Werkstoff kann so hohe Temperaturen und so extreme mechanische, chemische und elektrische Belastungen aushalten. Daher werden Hochleistungskeramiken zunehmend als Werkstoffe fuer Bauteile eingesetzt, die unter besonders harten und extremen Bedingungen arbeiten muessen.
Neben Ventilen, Turbinenschaufeln und Schneidwerkzeugen zaehlen Kugel- und Waelzlager, die in Raedern und Maschinen fuer runden Lauf sorgen, zu den Bauteilen, die staerkstem Verschleiss ausgesetzt sind. Lager aus Metall muessen mit Oel oder Fett geschmiert werden. Bei hohen Temperaturen oder korrosiven Umgebungen versagen sie. Nicht dagegen Hochleistungskeramiken: Sie laufen - selbst unter widrigen Bedingungen - ganz ohne Schmierung. Das erlaubt voellig neue Konstruktionskonzepte. Beispiel Lebensmittelherstellung: Oelgeschmierte Metallager fuehren zu einer komplizierten und aufwendigen Konstruktion der Produktionsmaschinen, denn die Nahrungsmittel duerfen auf keinen Fall durch Oel verunreinigt werden. Bei keramischen Lagern koennen die Fluessigkeiten direkt durch die Pumpen geschleust werden, der Saft reicht als Schmiermittel aus. Keramische Kugellager sind unverzichtbar in aggressiven Umgebungen wie in Pumpen fuer Fluessigwasserstoff im Space-Shuttle oder in Fluessigmetallbaedern. Das Fraunhofer-Institut fuer Werkstoffmechanik IWM und das Fraunhofer-Institut fuer Keramische Technologien und Sinterwerkstoffe IKTS arbeiten mit dem Lagerhersteller CEROBEAR in Herzogenrath und Bayer-CFI an der Optimierung vollkeramischer Waelzlager. So wurden erstmals Auslegungsrichtlinien fuer Keramiklager und hilfreiche Werkzeuge fuer die Konstruktion und Beurteilung der Lebensdauer entwickelt.
Grosse wirtschaftliche Bedeutung mit einem Marktanteil von etwa 80 Prozent haben die Funktionskeramiken, bei denen es auf spezifische elektrische, dielektrische, magnetische oder optische Eigenschaften ankommt. Das IKTS entwickelt piezokeramische Multilayer, Bieger und Schichten, die als Aktoren oder Sensoren wichtige Systemfunktionen erfuellen. Eine neue Druckwalze, die mit Blei-Zirkonat-Titanat beschichtet ist, koennte eine Revolution in der Drucktechnik ausloesen, davon sind Dr. Andreas Schoenecker vom IKTS und Dr. Dieter Sporn vom Fraunhofer-Institut fuer Silicatforschung ISC ueberzeugt. Die elektrischen Eigenschaften dieser Beschichtung erlauben, Informationen als Bild oder Text direkt in die Walze zu schreiben. Dem IKTS gelang mit einem neuartigen Sinterverfahren die Herstellung von funktionstuechtigen Druckzylindern in Dickschichttechnik, waehrend das ISC eine Variante in Duennschichttechnik entwickelte. Die Sol-Gel-Technik bietet die Voraussetzung fuer die Herstellung solch duenner Schichten. Denn mit diesem nasschemischen Verfahren koennen Keramikpulver von hoher Reinheit, Homogenitaet und exakter Zusammensetzung hergestellt werden. Die stabilen Sole mit hohem Pulvergehalt kann das ISC mit unterschiedlichen Beschichtungstechniken wie Tauchen, Rakeln oder Schleudern auf die Bauteile bringen und anschliessend sintern. So werden mit minimalem Materialaufwand die benoetigten technischen Effekte erzielt - fuer Sensoren, Aktren, leitfaehige Schichten, Schutzschichten oder Antireflex-Beschichtungen.
Ein besonderes Schwergewicht hat das ISC auf dem Gebiet neuer Keramikfasern erarbeitet, die aus Solen oder Polymeren gesponnen werden. Weil marktgaengige Verstaerkungsfasern bei hohen Temperaturen versagen, sind hier neue Materialentwicklungen notwendig. An Fasern, die mehr als 1 300 Grad Celsius aushalten, besteht weltweit ein grosses Interesse, weil damit voellig neue Einsatzgebiete in der Hochtemperaturanwendung erschlossen werden. In einem vom Forschungsministerium gefoerderten Verbundprojekt entwickelt das ISC mit der Firma Bayer AG und weiteren Partnern eine Fertigungstechnologie dieser neuen Fasern bis in den Pilotmassstab. Sie sollen in einer Turbine von MTU erstmalig ihre Ueberlegenheit beweisen. Ab dem Jahr 2000 will das ISC eine Tonne solcher Fasern pro Jahr erzeugen.
Ein anderes grosses Forschungsthema packte das Institut gemeinsam mit dem IKTS, IWM und weiteren Fraunhofer-Instituten an: neuartige Verbundwerkstoffe mit integrierten piezoelektrischen Fasern. Damit rueckt ein Wunsch vieler Konstrukteure naeher: adaptive oder sensitive Werkstoffe. In das Basismaterial werden aktive, ansteuerbare Fasern eingebettet. Piezoelektrische Fasern reagieren auf Druck mit dem Aufbau einer elektrischen Ladung. Umgekehrt werden sie durch das Anlegen eines elektrischen Feldes verformt. Voraussetzung sind zunaechst qualitativ hochwertige PZT-Fasern aus einem Sol-Gel-Verfahren. Gemeinsam wird dann die geometrische Konfiguration, die Anordnung der Laminate und die Verschaltung und Ansteuerung der Elektroden entwickelt. Als erstes Ziel sollen die Fasern als integrierter Drucksensor genutzt werden.
Obwohl Keramik ein aeusserst belastungsfaehiger Werkstoff ist, begrenzt jedoch ein Faktor seinen Einsatz: die schwierige und kostenaufwendige Bearbeitung. Das Schleifen nach dem Sintern kann bis zur Haelfte der Herstellungskosten verursachen. Das Fraunhofer- Institut fuer Produktionstechnologie IPT entwickelte in einem vom Forschungsministerium gefoerderten Verbundprojekt mit den Firmen Bayer-CFI, CEROBEAR, Poeschl-Werke, Dilas, Promotec, Benzinger und Tesch das laserunterstuetzte Zerspanen von Siliciumnitridkeramik. Die lokale Erwaermung der Keramik durch den Laser vor der Scheide des Zerspanwerkzeugs ermoeglicht, auch extrem harte Werkstoffe spanend zu bearbeiten.
Weil jedes Nachbearbeiten die Kostenvorteile wieder zunichte machen kann, wird natuerlich das Ziel einbaufertiger Teile aus dem Sinterofen angestrebt. Doch Sintern ist ein sehr komplexer Prozess, der schwer zu beherrschen ist: Teile verziehen sich oder bekommen Risse. Hauptgrund ist, dass nie eine voellig gleichmaessige Verteilung der Pulverpartikel erreicht wird. "Schon kleine Inhomogenitaeten bei der Herstellung koennen zu einer Schaedigung des Bauteils fuehren", sagt Dr. Thomas Hollstein vom IWM. Daher muessen die Fertigungsverfahren um ein Vielfaches genauer und exakter sein als bei Metall. Trotz der Schrumpfung muessen Sinterteile in den vorgegebenen Toleranzen massgenau sein. Bislang wird der optimale Fertigungsprozess durch Vorversuche ermittelt. Diese Methode von Versuch und Irrtum beansprucht viel Zeit, verzoegert den Fertigungsprozess und verteuert das Endprodukt. Zeit- und kostensparend sind Simulationsverfahren, mit denen alle Schritte des Herstellungsprozesses im Computer statt im Versuchslabor oder auf Produktionsanlagen ausgetestet werden koennen. Die Werkstoffmodelle, die das IWM mit Herstellern entwickelt hat, lassen bei der Simulation erkennen, welcher Verzug eintritt, wo rissgefaehrdete Stellen sind und wo Eigenspannungen auftreten. Selbst die Dichteverteilung der verpressten Pulver kann dargestellt und ausgeglichen werden. Damit koennen Pressplan und Werkzeugformen so gestaltet werden, dass der Verzug in den zulaessigen Toleranzen bleibt und Fehler minimiert werden. "Simulation ist schneller und billiger als Werkzeugbau. Nachbearbeiten wird oft ueberfluessig, der Ausschuss minimiert und die Zuverlaessigkeit der so gefertigten Bauteile erheblich gesteigert", hebt Dr. Hollstein die Vorteile des Simulationsprogramms hervor, das sich bei einer Fuelle von Herstellern von Bauteilen aus Sintermetallen, Hartmetallen, Hochleistungskeramiken und Refraktaermetallen wie Molybdaen bewaehrt hat.
Ein Verfahren, keramische Bauteile "endformnah" herzustellen, ist das Pulverspritzgussverfahren. Dabei wird Keramikpulver gemeinsam mit polymeren Bindern, die das Pulver fliessfaehig machen, mit Hilfe herkoemmlicher Spritzgusstechnik in Form gebracht. Bevor das Bauteil gesintert werden kann, muss der Binder wieder entfernt werden. Bislang werden die Binder hierfuer chemisch zersetzt. Doch dieses Verfahren hat zwei gravierende Nachteile: Es belastet durch die entstehenden Gase die Umwelt und ist sehr zeitaufwendig. Es kann einige Tage dauern, bis der gesamte Binder entfernt worden ist. Das Fraunhofer-Institut fuer Chemische Technologie ICT hat nun zur schnellen "Entbinderung" eine neue Technologie entwickelt. Um den Binder aus dem Bauteil zu entfernen, wird ueberkritisches Kohlendioxid (CO2) eingesetzt. In stark komprimierten und erwaermten CO2 (T > 31°C und p > 74 bar) loesen sich spezielle Binder besonders gut. In vergleichsweise kurzer Zeit kann das Bauteil so vom Binder befreit werden. Das neue Verfahren arbeitet nicht nur schneller als die herkoemmlichen, es ist auch umweltfreundlicher. Sobald das CO2 wieder in seinem normalen gasfoermigen Zustand ist, fallen die Binder aus. Sowohl die Binder als auch das Extraktionsmittel CO2 koennen zurueckgewonnen und wiederverwendet werden.
Weitere Informationen zum Thema Hochleistungskeramik erteilen die Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute fuer Produktionstechnologie IPT, Werkstoffmechanik IWM, Keramische Technologien und Sinterwerkstoffe IKTS, Chemische Technologie ICT und Silicatforschung ISC auf der Messe "ceramitec" in Halle 23, Stand E 12.
Ansprechpartnerin fuer weitere Informationen: Petra Meiners Telefon 0 89/12 05-5 47, Telefax 0 89/12 05-7 13 Fraunhofer-Gesellschaft, Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit Leonrodstrasse 54, D-80636 Muenchen email: meiners@zv.fhg.de
Criteria of this press release:
Materials sciences
transregional, national
Research projects
German
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