Interdisziplinäre Tagung zur "Jenaer Liederhandschrift" vom 3.- 5. Oktober an der Universität Jena
Jena (28.09.07) Sie ist der wertvollste Schatz der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) und eine der bedeutendsten, größten und prachtvollsten deutschsprachigen Handschriften des Mittelalters überhaupt: die "Jenaer Liederhandschrift". In einem Atemzug genannt mit der Großen Heidelberger Liederhandschrift, dem Manesse Codex, gehört sie zu den fünf großen derartigen Werken, die aus der Zeit zwischen 1270 und 1350 überliefert sind. Vor allen anderen aber zeichnet sie aus, dass in ihr auch Melodien - 91 an der Zahl - verzeichnet sind. "Das macht sie für Germanisten wie Musikwissenschaftler gleichermaßen interessant", sagt Dr. Sabine Wefers, Leitende Direktorin der ThULB.
Literatur-, Musik- und Sprachwissenschaftler sowie Bibliothekshistoriker werden sich gemeinsam mit der ThULB vom 3. bis 5. Oktober auf einer interdisziplinären Tagung mit der "Jenaer Liederhandschrift" auseinandersetzen. Dabei stehe nicht die Interpretation der Texte im Mittelpunkt, betont Prof. Dr. Jens Haustein vom Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Vielmehr wolle man versuchen, dem einen oder anderen Geheimnis, das es trotz 200-jähriger Forschung zu diesem Objekt immer noch gebe, auf die Spur zu kommen. Außerdem sollen die Geschichte des Werkes erhellt und es in den Kontext anderer derartiger Sammlungen jener Zeit gestellt werden.
"J" - so die Forschungssigle des bibliophilen Kleinods - könne von Größe und Schönheit her nur in einem großen geistlichen Skriptorium hergestellt worden sein, betont der Mediävist. Das sei erstaunlich, da der Codex, von dessen einst vermutlich 147 Blättern 133 erhalten sind, auch weltliche Texte enthalte. Nicht geklärt sei auch die Herkunft, so Haustein. Bislang hatte man Wittenberg als Ursprungsort angenommen, denn von dort kam "J" 1549 mit rund 1.500 Handschriften und Drucken der "Bibliotheca Electoralis" der sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise (1463-1525) und Johann Friedrich I. (1503-1554) nach Jena. "Dialektforscher gehen aber inzwischen davon aus, dass der Hauptschreiber von westlich der Elbe kommen muss, wahrscheinlich aus dem niederdeutschen Sprachgebiet." Mehr als zwei Drittel dieser Texte - insgesamt sind es über 900 Lieder und Spruchstrophen sowie drei Leichs - kenne man nur aus dieser Handschrift, während die anderen oft mehrfach festgehalten wurden. Auch die Art der Noten sei im mitteldeutschen Kontext vollkommen singulär. Sie spreche eher für eine französische Herkunft.
Auf der Tagung, zu der bis zu 100 Wissenschaftler aus ganz Deutschland erwartet werden, geht es unter anderem um die Ergebnisse der jetzt abgeschlossenen Restaurierung des 56 mal 41 Zentimeter großen Werkes sowie dessen Autopsie und Digitalisierung. Seit dem Frühjahr hatten sich die Restauratoren der ThULB der aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden Sammlung mittelhochdeutscher Sangsprüche von 30 damaligen Meistern angenommen. Dafür nahmen sie das Buch komplett auseinander, säuberten und glätteten nicht nur die Pergamentblätter aus dem 14. Jahrhundert, sondern restaurierten auch den Renaissance-Einband - zwei hölzerne, in Schweinsleder eingebundene Deckel mit zwei Schließen und einer Kette. Frühere Restaurierungen von 1954 und 1958 hätten die Liederhandschrift eher gefährdet, konstatiert Dr. Joachim Ott, Leiter der Handschriftenabteilung der ThULB. Neben Altschäden seien die Missgeschicke von damals nun rückgängig gemacht und so die Gefahr weiterer Schädigung gebannt worden.
Die restaurierte "Jenaer Liederhandschrift", die in Kürze als Spezialpräsentation der ThULB in digitalisierter Form im Internet zur Verfügung steht, wird in einer Ausstellung zu bewundern sein. Diese wird zusammen mit der Tagung am 3. Oktober um 18.00 Uhr in der ThULB in einer öffentlichen Veranstaltung eröffnet. Begleitend werden Melodien aus der Liederhandschrift vom "ensemble für frühe musik augsburg" musiziert. Bis 10. November präsentiert die Schau zusammen mit "J" elf Fragmente aus ihrem Umfeld, die in Schriftform wie Anordnung der Strophenteile das Layout der "Jenaer Liederhandschrift" teilen, sofern sie Lyrik überliefern, erläutern die Projektpartner. Die wertvollen Originale kommen aus Sammlungen in Deutschland und der Schweiz, darunter auch drei Thüringer. Für die Exposition, von der sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse hinsichtlich der Chronologie der Werke erhoffen, kehrt erstmals eines der fehlenden Blätter aus der "Jenaer Liedersammlung" zeitweise an die Saale zurück. Es wurde vor einigen Jahren als Schutzumschlag eines kleineren Buches in Dillingen/Donau entdeckt. Wie es vor Jahrhunderten dorthin kam, ist eines der Geheimnisse des Jenaer Codex.
Kontakt:
Prof. Dr. Jens Haustein
Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 18
07743 Jena
Tel.: 03641 / 944250 oder 944251
E-Mail: jens-dieter.haustein[at]uni-jena.de
HD Dr. Franz Körndle
Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena
Fürstengraben 18
07743 Jena
Tel.: 03641 / 944990 oder 944200
E-Mail: franz_koerndle[at]uni-jena.de
Dr. Sabine Wefers
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek
Bibliothekplatz 2
07743 Jena
Tel.: 03641 / 940000
E-Mail: thulb_direktion[at]thulb.uni-jena.de
http://www.uni-jena.de
http://www.thulb.uni-jena.de
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Foto: Peter Scheere/FSU
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Art / design, History / archaeology, Language / literature, Music / theatre
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