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07/22/1997 00:00

Sexueller Missbrauch im Kindesalter

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    FSU-Mediendienst

    Studie zu den Folgen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit

    Jena. (22.07.97) Am psychologischen Institut der Friedrich-Schiller-Universitaet Jena ist derzeit eine Befragung zu sexuellem Missbrauch in der Kindheit in der Vorbereitung. Es soll untersucht werden, welche Art sozialer Unterstuetzung Kinder erfahren haben, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Eingegangen werden soll besonders auf die Fragen, ob und welche Art der Unterstuetzung die Betroffenen erlebt haben, durch wen die Unterstuetzung erfahren wurde, und wie hilfreich diese von den betroffenen Frauen und Maennern heute erlebt wird. Weiterer Untersuchungsschwerpunkt dieser Arbeit ist die Frage, wie Frauen und Maenner, die in ihrer Kindheit diese Erfahrung machen mussten, heute mit ihren Erinnerungen und ihrem Alltag umgehen. Im Ergebnis dieser Arbeit sollen weitere Ansatzpunkte und Moeglichkeiten zur kuenftigen, hilfreichen Betreuung von betroffenen Kindern und Jugendlichen vorgelegt werden. Wichtig ist dabei die Befragung von Betroffenen, die sich selbst als sehr belastet erleben, wie auch der Personen, die die schlimmen Erlebnisse recht gut verarbeitet haben. Fuer diese Befragung werden Frauen und Maennern gesucht, die bereit sind, anonym ueber ihre Erfahrungen von sexueller Gewalt in der Kindheit und Jugend Auskunft zu geben. Deshalb werden Betroffene, die an dieser Befragung interessiert sind und eventuell teilnehmen moechten, gebeten, sich an folgende Adresse zu wenden:

    Institut fuer Psychologie, Friedrich-Schiller-Universitaet Jena, Am Steider 3 Haus 1, 07743 Jena, Dr. Regina Steil; Tel.: 03641/ 636679.

    Zum Hintergrund:

    1996 wurde im Auftrag des Bundeskriminalamtes eine Laengsschnittuntersuchung mit dem Titel ,Sexualitaet, Gewalt und psychische Folgen' in der Bundesrepublik veroeffentlicht. Diese umfangreiche Studie beschaeftigt sich mit der besonderen Situation von Sexualopfern waehrend und einige Jahre nach einem Missbrauch. Es wurden saemtliche Formen sexueller UEbergriffe und Straftaten in diese Untersuchung eingeschlossen. Dieser BKA-Studie liegt eine Fallstatistik aus dem Jahre 1980 zugrunde. Die in diesem Jahr polizeilich registrierten Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs belaufen sich auf 13165 Faelle in der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Davon sind etwa 77% der Opfer Maedchen und 23% Jungen im Alter bis 14 Jahren. Diese Straftaten stellen 30,3 % aller Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung insgesamt dar. Die Dunkelzifferschaetzungen fuer die Zahl der Missbrauchsopfer in der Kindheit belaufen sich weitaus hoeher, es wird von 300.000 Faellen jaehrlich gesprochen. Das Spektrum der Verhaltensweisen, die den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit erfuellen, ist umfangreich. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass sich sexueller Missbrauch mehrheitlich in der Wohnung des Kindes abspielt, also der Taeterkreis in grossem Masse im direkten Umfeld des Kindes zu finden ist. Die am haeufigsten zur Aufdeckung gebrachte Form ist der sexuelle Missbrauch der Tochter durch den Vater. Die tatsaechlich haeufigere Form scheint aber sexueller Missbrauch durch aeltere Geschwister zu sein. Zur polizeilichen Anzeige kommt es meistens nur, wenn der Taeter dem Kind unbekannt oder nicht verwandt ist, und koerperliche Gewalt angewendet wurde. Die Androhung weiterer Gewalt hindert viele Kinder daran, ueber ihre Erlebnisse zu sprechen. In aehnlicher Weise wird bei Kindern, die Opfer von Missbrauch innerhalb der Familie sind oft ueber Jahre des fortgesetzten Missbrauchs das Schweigen des Kindes erpresst. Passivitaet mitwissender Familienmitglieder ermoeglicht die Fortsetzung des Missbrauchs ueber lange Zeit. Werden Kinder derart durch ihre soziale Umwelt verletzt, so wird das vom Kind ganz besonders schmerzhaft erlebt. Gerade das unmittelbare Umfeld sollte dem Kind stabilen und verlaesslichen Schutz bieten. Sexueller Missbrauch durch einen dem Kind verwandten und bekannten Taeter kann die Entwicklung von Vertrauen und Sicherheit in zwischenmenschliche Beziehungen voellig unterbrechen. Moeglicherweise gehen fuer ein missbrauchtes Kind auch Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern in die Brueche. Die Folgeerscheinungen eines Missbrauchs koennen fuer ein Kind sehr schwerwiegend sein. Es treten die unmittelbare Folgen wie auch Langzeitfolgen, die oft bis ins Erwachsenenalter reichen, auf. Inzwischen liegt eine Vielzahl von Forschungsarbeiten zu psychischen Folgen von Missbrauch in der Kindheit vor. Zu den unmittelbaren Forgen gehoeren vor allem emotionale Reaktionen und Veraenderungen der Selbstwahrnehmung. Die betroffenen Kinder entwickeln haeufig starke AEngste, die bezogen sind auf den oder die Taeter oder auf bestimmte Situationen. Oft leiden missbrauchte Kinder unter schwerwiegenden Depressionen. Sie sind haeufig niedergeschlagen, sie fallen durch unkindlichen Ernst auf und ziehen sich von ihrer Umwelt zurueck. Missbrauchte Kinder koennen auf der einen Seite sowohl aggressiver und leichter reizbar sein als gleichaltrige Kinder, auf der anderen Seite erscheinen sie gleichzeitig uebermaessig angepasst und besitzen oft ein sehr geringes Selbstbehauptungsvermoegen. Es ist moeglich, dass missbrauchte Kinder durch altersunangemessene sexuelle Aktivitaeten auffallen oder ihre Genitalien zur Schau stellen. Die soziale Isolation, die teilweise vom Taeter aktiv betrieben wird, laesst soziale Kontakte zu Gleichaltrigen moeglicherweise kaum zu. Zu den unmittelbaren Folgen koennen auch koerperliche Reaktionen und somatischen Beschwerden gehoeren. Man spricht dann von internalisierten Symptomen. Dazu gehoeren Angst- und Stresssymptome, Veraenderungen des Essverhaltens und Schlafstoerungen. Zu den Langzeitsymptomen in der Folge sexuellen Missbrauchs in der Kindheit gehoeren schwere Depressionen bis hin zu Suizidversuchen. Betroffene Frauen leiden im Erwachsenalter haeufig unter starken AEngsten und einer allgemeinen emotionalen Anspannung, unter Gefuehlen der Wertlosigkeit und der Isolation. Frauen, die in ihrer Kindheit und Jugend sexuell missbraucht wurden, erleben sich ungewoehnlich haeufig in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen beeintraechtigt. So haben sie, wenn sie als Kinder durch verwandte oder bekannte Taeter aus ihrem sozialen Umfeld missbraucht wurden, oft grosse Schwierigkeiten, anderen Menschen spaeter erneut Vertrauen entgegenzubringen. Im Erleben ihrer eigenen Sexualitaet sind in ihrer Kindheit missbrauchte Frauen haeufig aengstlich, schuldbeladen und unzufrieden. Es werden immer wieder auftretende bedrohliche und unangenehme Erinnerungen genannt. Im Sinne einer Wiederholung werden in der Kindheit und Jugend missbrauchte Frauen gehaeuft Opfer von Vergewaltigungen oder sexueller Gewalt in der Ehe oder Partnerschaft. Zur Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauches in der Kindheit liegt mittlerweile eine Vielzahl von wirksamen Verfahren aus dem Bereich der Verhaltenstherapie und der Psychoanalyse vor. Gemeinsam ist den Behandlungen, dass der Schwerpunkt darauf gelegt wird, die Erlebnisse in der Kindheit wieder zu erinnern und zu bearbeiten.

    Ziel ist, das Selbstbild der Betroffenen zu staerken und moeglicherweise belastende Einstellungen und Gedanken zu veraendern.


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    Criteria of this press release:
    Psychology
    transregional, national
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    German


     

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