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09/18/2000 11:16

"Alle Bildung ist politische Bildung"- Hartmut von Hentig wird 75

Dr. Gerhard Trott Medien und News
Universität Bielefeld

    "Alle Bildung ist politische Bildung"
    Hartmut von Hentig wird 75
    Zu einem solchen Geburtstag, sollte man meinen, ehrt man einen Mann, der sein Lebenswerk abgeschlossen hat und in Ruhe sein Alter genießt.
    Nicht so Hartmut von Hentig. Vor kurzem erst hat er die Nation aufgerüttelt durch einen Aufruf, unterzeichnet von ihm, Günter Grass und Carola Stern. Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sollen es in die Hand nehmen, eine Schuld abzutragen, die von vielen der "Zuständigen" auf peinliche Weise verschleppt wird: die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
    "Auch ich was ein Nutznießer", schreibt Hentig in diesem Papier. Er geht mit eigenem Beispiel voran. Er hat einen einfachen Gedanken, den jeder von uns auch haben könnte, und setzt ihn in die Tat um. Er tut es im Bewußtsein seiner Verantwortung als Bürger dieses Landes.
    Sein Lebenswerk ließe sich mit den gleichen Sätzen zusammenfassen.
    Er gründet eine Schule mit dem erklärten Ziel "Nie wieder ein zweites 1933": die Laborschule der Universität Bielefeld. Er macht aus Begriffen wie "Erziehung zur Verantwortung" und "Erziehung zur Politik" ein konkretes Schulprogramm und -profil. Die Forderung, überkommene Bildungsprivilegien abzuschaffen, werden in seiner Schule verwirklicht. Dort können Kinder aller Schichten Latein lernen, in der Werkstatt und im Garten arbeiten, Theater spielen. Und so, an und aus der Erfahrung, lernen sie auch "Politik", die er als "bewegliche Regelung gemeinsamer Angelegenheiten" definiert. Die künstliche Grenze zwischen Leben und Lernen wird überwunden in einer Schule, die sich als Erfahrungsraum versteht. Die künstliche Grenze zwischen pädagogischer Wissenschaft und Praxis wird überwunden in einer Einrichtung, wo Erkenntnis aus der Praxis erwächst. Die künstliche Grenze zwischen Wissenschaftspropädeutik (Oberstufe) und "echter" Wissenschaft (Universität) wird überwunden durch eine Schule, die beides verbindet: das Oberstufen-Kolleg. Bei alledem geht Hartmut von Hentig mit eigenem Beispiel voran: als Person, als Pädagoge, als Wissenschaftler und Schriftsteller, vor allem aber als Bürger. Die Idee der polis, der Gemeinschaft der Verantwortlichen, ist Grundlage und Ziel seines Handelns.
    Er folgt dem Beispiel des Sokrates. Wie sein Vorbild kann und will auch er träge Gewohnheiten und falsche Selbstsicherheiten erschüttern. Sein Instrument ist seine Sprache. Vor allem aber gehen die Wirkungen, die er tut, von seiner Person aus.
    Er ist nicht festzulegen, weil es für ihn kein Stillstehen gibt. So ist er immer für Überraschungen gut, die für manche ärgerlich, ja provozierend wirken. Seine "Zunft", die Erziehungswissenschaft, weiß ein Lied davon zu singen, wie schonungslos und offen seine Kritik ausfallen kann - immer in dem Bemühen, mit dem besseren Argument zu überzeugen. Zuerst kritisiert er sich selbst, immer bereit, sich überzeugen zu lassen und umzudenken.
    Vor allem aber ist er unermüdlich tätig. Seit seinem siebzigsten Geburtstag erscheint fast jedes Jahr ein neues Buch. Er hat "seine" deutschen Gedichte gesammelt und herausgegeben. Er erzählt die Geschichte von einem ungebetenen Hausgenossen, einem Marder, den er Kaspar nennt. Die Festrede, die er seinen beiden Schulen zum deren 25. Geburtstag 1999 gehalten hat, ist in der Langform ein eigenes Buch geworden. Sein jüngstes Werk, "Fahrten und Gefährten", erzählt von Reisen, die für ihn immer das sind, was sein Leben prägt: die zu Bildung verarbeitete, "aufgeräumte" und weitergegebene Erfahrung .

    Hartmut von Hentig wurde am 23. 9. 1925 in Posen geboren. Nach Kriegsdienst und amerikanischer Kriegsgefangenschaft studierte er Klassische Philologie, Philosophie und Pädagogik in Göttingen und Chicago und war dann Lehrer für alte Sprachen am Landerziehungsheim Birkelhof und am Ludwig-Uhland-Gymnasium in Tübingen, ehe er 1963 als Professor für Pädagogik nach Göttingen zurückkehrte. Als er 1968 an die neu gegründete Bielefelder Universität als Professor für Pädagogik berufen wurde, machte er zur Bedingung, daß er dort zwei Versuchsschulen aufbauen und leiten konnte - eine Gesamtschule bis zur Klasse 10 ("Laborschule") und ein Kolleg, das die gymnasiale Oberstufe mit dem universitären Grundstudium verband ("Oberstufen-Kolleg"). In Bielefeld blieb er bis zu seiner Emeritierung 1987. Jetzt lebt er in Berlin.


    More information:

    http://www.uni-bielefeld.de/presse/pm/pm103_00.html


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    Criteria of this press release:
    Social studies, Teaching / education
    transregional, national
    Personnel announcements
    German


     

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