Verliebt in alte Karten und geheimnisvolle Hohlwege
Historikerin erforscht die Böhmischen Steige und die Anfänge der Stadt Chemnitz
(Pressemitteilung 76/98)
Schon immer waren Wege und Straßen auf dem Festland die entscheidenden Transportbahnen für eine funktionierende Wirtschaft. Daher ist für Untersuchungen zur wirtschaftlichen Entwicklung einer Region auch der Bezug auf historische Verkehrsverbindungen unabdingbar. Auch in Sachsens gewinnt die landesgeschichtliche Forschung deshalb immer mehr an Bedeutung.
Eine Forscherin, die sich in alte Urkunden, Akten zum Wegebau und vergilbte Karten nahezu verliebt hat, ist Dr. Renate Wißuwa vom Fachgebiet Geschichte der TU Chemnitz. Oft zieht es sie ins Gelände: Dort sucht sie nach eingedrückten Wagenspuren im Gestein und Hohlen, analysiert Postsäulen und Meilensteine, fahndet nach Gasthöfen mit Namen wie "Einkehr" oder "Fuhrmann" sowie nach Altstraßennamen wie Salzstraße oder Hohlweg.
Die Verkehrswege um Chemnitz haben es ihr ganz besonders angetan. "Chemnitz entstand nicht - wie oft behauptet - am Kreuzungspunkt, sondern in der Nähe nach Böhmen führender Straßen", versichert Dr. Wißuwa. Der Chemnitzer Raum wurde in der Zeit vor der Besiedlung (Mitte des 12. Jahrhunderts) von Verkehrswegen frequentiert, die aber nicht das spätere Stadtgebiet von Chemnitz berührten. In der näheren Umgebung von Chemnitz existierten zunächst zwei für den Fernhandel bedeutende Steige, die auch als Böhmische Steige bezeichnet werden. Der eine Steig verlief von Rochlitz an Chemnitz vorbei über Zschopau nach Rübenau. Dieser Verkehrszug überschritt bereits vor der Besiedlung das Erzgebirge. Da im Rochlitzer Raum bereits im 9. und 10. Jahrhundert Slawen siedelten, nimmt Dr. Wißuwa an, daß die Slawen teilweise auch entlang dieses Steiges in den Chemnitzer Raum kamen. "Hier übten sie sicher Jagd, Waldwirtschaft, Pechsiederei und Bienenzucht aus und brachten damit auch solche slawische Flurnamen, wie etwa Chemnitz, Zwönitz und Würschnitz mit." In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert erlangte der Steig die Qualität einer hochmittelalterlichen Straße und ist in Gestalt von Hohlen im Gelände nachweisbar. Der zweite Steig führte von Altenburg über Penig nach Glösa/Furth und schloß dann an den Rochlitzer Steig an. Von Altenburg aus in südöstlicher Richtung wurde zunächst die Pleiße überquert, wobei sich die Furt heute nicht mehr sicher lokalisieren läßt. "Danach suchte man eine günstige Furt über die Zwickauer Mulde, die wahrscheinlich in Penig in der Nähe der Burg gelegen hat", meint Dr. Wißuwa. Von Penig aus gilt die heutige Bundesstraße B 95 als richtungsweisend. Etwas östlicher als die heutige Straße gelangte man über Chursdorf, Mühlau nach Hartmannsdorf. Zwischen Hartmannsdorf, Löbenhain und Wittgensdorf befand sich nach Oberreit unmittelbar an der Straße Penig-Chemnitz ein sogenannter Zuckmantel. Von dort zog die Altstraße über Wittgensdorf und Heinersdorf (alter Salzsteig) zur Chemnitzfurt bei Glösa/Furth. Östlich der Chemnitz bekam man Anschluß an den Steig Rochlitz-Rübenau, wo genau, ist heute nicht mehr auszumachen.
Ein Hohlwegrest in Hilbersdorf weist darauf hin, daß das Zusammentreffen nördlich des Adelsberges und südlich des Zuckmantels von Garnsdorf gesucht werden muß. Exakte urkundliche Zeugnisse fehlen hier insgesamt. Möglicherweise kann dieser Weg nach Chemnitz mit dem Tod des Bischofs Arn von Würzburg 892 in Verbindung gebracht werden. Die frühe Entwicklung von Penig als Ausbauherrschaft der Burggrafen von Altenburg weist die Funktion als Siedelbahn nach. Wahrscheinlich nutzten diesen Steig die Benediktinermönche aus dem Kloster Pegau, die in Chemnitz das Kloster - wahrscheinlich 1136 - gründeten.
Die Chemnitzaue wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jh. siedlungsmäßig erschlossen, wobei zunächst neben dem Kloster Siedlungskerne in der Nähe der Nikolaikirche, um die Johanniskirche und den Roten Turm entstanden, die sich aber nicht zur mittelalterlichen Stadt weiterentwickelten. Die planmäßig angelegte Stadt um den Hauptmarkt entstand möglicherweise erst im 13. Jh., wobei aber die genannten Siedlungsansätze weiter existierten. Die Stadtentwicklung und das damit sich entwickelnde Markt- und Handelsgeschehen in der Stadt bewirkten, daß Chemnitz für die vorbeiziehenden Trassen wie ein Magnet wirkte und vorbeiführende Verkehrsverbindungen in die Stadt hineingezogen wurden.
Stichwort: Steige
Die Steige werden auch als Saumpfade bezeichnet. Zeitlich gesehen waren sie vom Neolithikum bis zum Mittelalter bestimmend. Es waren richtungsweisende Verkehrslinien mit pendelnder Führung von mehreren Kilometern in der Breite, die sich auf Pässe und Furten ausrichteten. Bevorzugt wurden lange Höhenrücken und hochliegende Talschultern, wobei die Querung unausweichlicher Täler in kurzen, steilen An- und Abstiegen erfolgte. Da die damaligen Transportmittel, in der Erdoberfläche keine nachhaltigen Veränderungen hinterließen lassen sich Steige heute nicht mehr nachweisen.
Weitere Informationen erteilt Dr. Renate Wißuwa, Tel. (03 71) 5 31-26 14.
Criteria of this press release:
History / archaeology
transregional, national
Research projects
German
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