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03/04/1996 00:00

Neue Therapie für Stotterer

Bernt Armbruster Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Kassel

    10/96 - 29. Februar 1996

    GhK sucht erwachsene Stotterer fuer neue Therapie: Mit Dr. Fluency die Zunge loesen

    Kassel. Dr. Alexander Wolff von Gudenberg trainiert seine Sprache moeglichst taeglich. Dazu spricht er in das Mikrofon, das mit seinem Laptop verbunden ist. Er dehnt die Silben der vorgegebenen Uebungswoerter auf eine Laenge von bis zu zwei Sekunden, er spricht mit an- und abschwellender Stimme innerhalb eines vorgegebenen Zeitlimits und der Computer meldet ihm Fehler von Artikulation oder Stimmgebung unmittelbar zurueck. Dr. von Gudenberg ist Stotterer. Seit seinem vierten Lebensjahr leidet er an diesem Problem und hat etwa ein Dutzend Therapien ohne bleibenden Erfolg durchlaufen. Jetzt aber ist der 39jaehrige Arzt ueberzeugt, eine Methode gefunden zu haben, die die Sprechfluessigkeit durch Training deutlich verbessert. In Zusammenarbeit mit dem Psychologen Prof. Dr. Harald Euler und dem Hochschullehrer fuer Behindertenpaedagogik, Prof. Dr. Adrian Kniel, will er jetzt in einer zwoelfmonatigen Studie an der Universitaet Gesamthochschule Kassel (GhK) die Wirksamkeit des Programms erstmals fuer Deutschland wissenschaftlich nachweisen.

    Sprechfluessigkeit trainieren

    Grundlage ist das in den USA seit 20 Jahren erfolgreich angewendete Precision Fluency Shaping Program (PFSP) nach Dr. Webster. Von Gudenberg hat damit erstmals selbst zeitweise Kontrolle ueber sein Sprechen erhalten. "Leider aber fehlt ein gutes Nachsorgeprogramm", so sein Urteil ueber diese in Deutschland kaum verbreitete Methode. Richtig begeistert aber war er, als er 1994 auf einem Kongress in Muenchen das in Israel entwickelte computergesteuerte Lernprogramm kennenlernte, das auf PFSP basiert. Von Gudenberg hat spontan seine Facharztausbildung unterbrochen und mit den israelischen Autoren eine deutsche Version des Programms geschrieben.

    Ursachen unbekannt

    Es ist immer noch weitgehend unbekannt, was die Ursache der Sprechstoerung ist, an der in Deutschland schaetzungsweise 800.000 Menschen leiden. Verbreitet ist immer noch die Meinung, es handele sich um ein seelisches, durch Schock oder fruehe Kindheitserfahrungen ausgeloestetes Problem. Die Therapeuten arbeiten in Deutschland bevorzugt nach dem "Non-Avoidence-Ansatz", bei dem die Patienten eine andere, positive Einstellung zu ihrer besonderen Art des Sprechens lernen sollen; Motto: "Es macht mir nichts aus, dass ich stottere!" Dr. von Gudenberg, der selbst gerne eine Facharztausbildung in Phoniatrie (Sprech- und Stimmstoerungen) gemacht haette, aber als stotternder Arzt in Deutschland nicht angestellt werden wuerde, neigt eher der Auffassung zu, dass es sich beim Stottern um ein neurophysiologisches Problem handelt, also eine Teilleistungsstoerung, wie z.B. die Legasthenie, dass dagegen die psychozozialen Auffaelligkeiten nur sekundaer, also angelernt sind. Die PFSP-Methode geht davon aus, dass zwar bei dem gegenwaertigen Forschungsstand die Ursachen nicht beseitigt werden koennen, wohl aber die Sprechfluessigkeit trainiert werden kann. Mit dem aus Israel stammenden Computerprogramm "Dr. Fluency" haben erwachsene Stotterer jetzt die Moeglichkeit, ihre Sprechfluessigkeit auch ausserhalb der angeleiteten Therapie zu trainieren. Eine grafische Kurve zeichnet das Sprechverhalten nach, Fehler der Atmung und des Stimmeinsatzes werden aufgezeichnet und in realer Zeit wiedergegeben, so dass der Patient seine individuellen Fehler jederzeit nacharbeiten und ueber die gelernten Bewegungsablaeufe ein genaues Koerpergefuehl entwickeln kann. Wenn diese Aufzeichnungen auf Diskette gespeichert werden, hat der Therapeut zusaetzlich die Moeglichkeit der Korrektur, er muss nicht einmal am selben Ort praesent sein. Die Kasseler Universitaet will das Verfahren an zwei Therapiegruppen ab 1. Mai 1996 in einer Intensiverprobung von jeweils sechs Monaten Dauer ueberpruefenn. Dazu werden zehn Stotterer oder Stotterinnen gesucht, die aelter als 17 Jahre sind. Fuer sie steht in den ersten vier Wochen ein Intensivprogrammm von acht Stunden taeglich auf dem Plan. In dem folgenden fuenfmonatigen Aufrechterhaltungsprogramm werden die zu Hause durchgefuehrten Uebungen von Therapeuten woechentlich ausgewertet; zu Beginn des vierten Monats werden die gelernten Techniken in einem fuenftaegigen Intensivprogramm aufgefrischt. Die Entwicklung des Sprechverhaltens wird anhand der Sprechfluessigkeit und der Selbsteinschaetzung im Verlauf der Studie regelmaessig beurteilt.

    Positive Oeffentlichkeit

    Alexander Wolff von Gudenberg, der seinen Beruf inzwischen ohne das instrumentelle Hilfsmittel eines Sprachverzoegerers ausueben kann und der auch seine Dissertation diesem Thema gewidmet hat, hofft, mit dieser Studie gleichzeitig den Stotterern etwas positve Oeffentlichkeit vermitteln zu koennen. "Stotterer fallen durch alle Maschen", meint von Gudenberg. In Literatur und Film sind sie zudem oft die Trottel der Geschichte. Die Krankenkassen haben das Stottern inzwischen als Behinderung anerkannt. Neuen Therapieformen gegenueber verhalten sie sich verstaendlicherweise aber zunaechst abwartend. Und ganz billig wird "Dr. Fluency" seine Dienste nicht anbieten. Auf gut 3000 DM schaetzt sein israelischer Erfinder Arye Friedmann den Preis in Deutschland. Dennoch koennten sich die Behandlungskosten gegenueber stationaeren Therapien erheblich senken - und den Testpersonen der GhK ist ein Erwerb zu einem deutlich ermaessigten Preis in Aussicht gestellt. Jens Broemer

    Interessenten fuer das Programm melden sich bitte bei: Fachbereich Psychologie, Sportwissenschaft, Musik Frau Heide Engel, Heinrich-Plett-Str. 40, 34109 Kassel, Tel. 0561/8044799

    Kontakt/Weitere Information: Dr. Alexander Wolff von Gudenberg, Schaeferbreite 9, 34379 Calden, Tel. 05677/542


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    Criteria of this press release:
    Psychology
    transregional, national
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