Neue Augustinus-Predigten in der Erfurter 'Bibliotheca Amploniana' entdeckt
Sechs bisher unbekannte echte Predigten des berühmten frühchristlichen Kirchenlehrers Augustinus (? 430), Bischof des heute in Algerien liegenden Hippo Regius (Annaba), wurden kürzlich in der Universitäts- und Forschungsbibliothek in Erfurt durch drei Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, in einer mehr als 800 Jahre alten Handschrift entdeckt.
Isabella Schiller, Dorothea Weber und Clemens Weidmann gelang es, vier gänzlich neue und zwei bis jetzt nur unvollständig bekannte Predigten des berühmten Kirchenvaters Augustinus in einer mittelalterlichen Handschrift der 'Bibliotheca Amploniana' zu identifizieren. Die Pergamenthandschrift mit der Signatur Dep. Erf. CA. 12° 11 entstand in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich in England und enthält insgesamt über 70 weitere Predigten verschiedener spätantiker und mittelalterlicher Theologen.
Jener Abschnitt der Handschrift, der die neu entdeckten Texte gemeinsam mit etwa 20 weiteren, bereits bekannten echten und unechten Augustinus-Predigten enthält, dürfte im Kern auf eine alte Textsammlung zurückgehen, die in seinem unmittelbaren Umfeld entstand. "Über Süditalien sind derartige Predigtsammlungen teilweise bereits vor der Jahrtausendwende nach England gelangt, wo die Texte weiter abgeschrieben und so überliefert wurden", erklärt Isabella Schiller, die die Predigten - deren Texte möglicherweise auch diesen Weg genommen haben - im Sommer 2007 in der Erfurter Handschrift fand.
Das äußerlich ganz unscheinbare Buch kam wohl bereits im 15. Jahrhundert in die Sammlung des bibliophilen Mediziners und Theologen Amplonius Rating aus Rheinberg (? 1435), der 1412 seine umfangreiche Handschriftensammlung von über 600 Bänden an das von ihm in Erfurt gegründete 'Collegium Amplonianum' gab.
Als weltweit größte in ihrem Kernbestand noch geschlossen erhaltene Büchersammlung eines mittelalterlichen Gelehrten wird die 'Bibliotheca Amploniana' heute in der Universitätsbibliothek Erfurt aufbewahrt und in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theologischen Fakultät wissenschaftlich betreut.
Die sechs neu entdeckten Predigten behandeln ganz unterschiedliche Themen.
In drei der Erfurter Predigten steht die tätige Nächstenliebe in Form von Almosen im Mittelpunkt (Sermo Erfurt 2, 3, 4). In ihnen behandelt Augustinus u. a. das Verhältnis zwischen materieller Unterstützung, die die Gemeinde ihrem Bischof gewährt, und der von ihm zu leistenden geistlichen Gegengabe in Form pastoraler Betreuung.
"Drei der Titel - nicht aber die vollständigen Texte - dieser Predigten kennen wir aus dem sogenannten 'Indiculum'. Das ist ein Werkverzeichnis, das Possidius, Freund und Schüler des großen Kirchenvaters, an seine Augustinus-Biographie an¬häng¬te, die nur wenige Jahre nach dessen Tod entstand", weiß Dorothea Weber, die maßgeblich an der Identifizierung der Texte beteiligt war.
Zwei weitere der jetzt entdeckten Predigten wurden anlässlich von Märtyrerfesten gehalten. Eine dieser Predigten auf Perpetua und Felicitas (Erfurt 1) lag in der Spätantike noch in vollem Umfang vor. Sie war vor Beginn des Mittelalters jedoch bereits durch eine stark gekürzte Version verdrängt worden. "Durch diesen einzigartigen Fund ist der Predigttext nunmehr wieder vollständig bekannt", freut sich Clemens Weidmann, der ebenfalls über Monate intensiv an der ersten wissenschaftlichen Erschließung der Texte gearbeitet hat.
Eine weitere, bisher gleichfalls nur lückenhaft überlieferten Märtyrerpredigt auf Cyprian, den 258 hingerichteten Märtyrerbischof von Karthago, geißelt die Unsitte, Märtyrerfeste mit ausgiebigen Trinkgelagen zu begehen (Sermo Erfurt 6), während Sermo Erfurt 5, von der Realität der Auferstehung der Toten handelt und dazu auffordert, an die Wahrheit der biblischen Prophetien zu glauben, da die vorhergesagten Ereignisse zum Teil bereits eingetroffen seien.
Die neu entdeckten Predigten werden in der renommierten österreichischen Fachzeitschrift 'Wiener Studien. Zeitschrift für Klassische Philologie und Patristik und lateinische Tradition' veröffentlicht. In Band 121 erscheinen in Kürze die Sermones Erfurt 1, 5, und 6, während die Sermones Erfurt 2, 3 und 4 im kommenden Jahr vorgelegt werden.
Die Handschrift steht ab Mittwoch 26.3.2008 der Presse in den Räumen der Sondersammlung der UB Erfurt für Foto- und Filmaufnahmen zur Verfügung.
Am Dienstag, dem 15.4.2008, werden I. Schiller, D. Weber und C. Weidmann auf Einladung der Universität Erfurt ihre Entdeckung in einem öffentlichen Vortrag einem breiteren Publikum in Erfurt vorstellen. Ort und Zeit des Vortrags: Erfurt, Coelicum (Domstr. 10), 19.00 Uhr. Foto- und Filmaufnahmen sowie Interviews mit den Wiener Forschern sind in Erfurt am selben Tag (15.4.2008) von 15.00-16.00 Uhr in den Räumen der Sondersammlung der UB Erfurt möglich.
Weitere Informationen/Kontakt:
Ansprechpartner ist der Referent der Sondersammlung Thomas Bouillon (thomas.bouillon@uni-erfurt.de), Tel. 0361-737-5881 bzw. sondersammlung@uni.erfurt.de, Tel. 0361-737-5880
http://www.uni-erfurt.de/amploniana
Handschrift Dep. Erf. CA. 12° 11
Bildquelle: Universitätsbibliothek Erfurt
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Blatt 132 Rückseite (Beginn des Sermo Erfurt 1)
Bildquelle: Universitätsbibliothek Erfurt
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Criteria of this press release:
History / archaeology, Language / literature
transregional, national
Research results
German
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