Prof. Dr. Karl Wegscheider, Hamburg, sprach am 27.03.2008 auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Kardiologenkongresses in Mannheim über seine Erfahrungen mit den klinischen Studien im Kompetenznetz Vorhofflimmern. Prof. Wegscheider ist im Kompetenznetz Vorhofflimmern verantwortlich für die biometrische Beratung zur Planung, Durchführung und Auswertung der Studien.
Wie klinische Studien traditionell geplant und durchgeführt werden
Randomisierte klinische Studien (RCTs) gelten als der Goldstandard zum Nachweis der Wirksamkeit einer Therapie, weil sich nur in diesen Studien das Risiko eines falsch positiven Ergebnisses (Therapie wird für wirksam gehalten, ist aber nicht wirksam) mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung kontrollieren lässt. Damit die neue Therapie trotzdem eine Erfolgschance hat, wird vor Beginn der Studie eine Fallzahlplanung durchgeführt und in das Studienprotokoll eingearbeitet. Dieses Studienprotokoll ist streng einzuhalten, zum einen, damit die Validität der Studie von der Wissenschaft und der Zulassungsbehörde akzeptiert wird, zum anderen aus ethischen Gründen. Die Auswertung erfolgt erst, nachdem der letzte Patient die vorgesehene Beobachtungszeit erreicht hat.
Warum man manchmal mit der traditionellen Planungsmethode unzufrieden ist
Was aber geschieht, wenn während der laufenden Studie neue Erkenntnisse auftauchen? Zum Beispiel könnte sich während der Studie herausstellen,
- dass die Therapie viel besser ist, als man bei der Planung dachte,
- dass die Therapie weniger wirksam ist, als man bei der Planung dachte, aber immer noch gut ist,
- die Messverfahren viel ungenauer sind als gedacht,
- die falsche Patientengruppe ausgewählt wurde,
- die Therapie sich nicht mit einer anderen gängigen Therapie verträgt,
- die Patienten die Studie nicht mehr mitmachen wollen, weil die Kontrolltherapie oder die Begleittherapie mittlerweile veraltet ist.
In allen diesen Fällen wünscht man sich, dass man die Studie während ihrer Laufzeit verändern und an die neuen Gegebenheiten anpassen dürfte. Traditionell war das jedoch strikt verboten, um die Validität der ursprünglichen Berechnungen nicht zu gefährden.
Adaptive Designs
Adaptive Designs stellen eine vergleichsweise neue Methode der Studienplanung dar, die eine solche Anpassung an veränderte Situationen erlaubt. Sie wurden unter starker Beteiligung deutschsprachiger Wissenschaftler (Bauer et al) seit den späten 80er Jahren entwickelt. Vereinfacht dargestellt funktioniert das Verfahren so: die Studie wird in aufeinander folgende Teilstudien aufgeteilt, die jede für sich valide sind und die sich gegenseitig in ihren Ergebnissen nicht beeinflussen. Dann darf man am Ende jedes Studienteils die restlichen Teilstudien auf der Basis der inzwischen gesammelten Erfahrungen umplanen, wenn man das bei der ursprünglichen Planung so vorgesehen hat. Zum Schluss werden die Teilstudien nach einer festen Regel zusammengesetzt.
Mit Hilfe adaptiver Designs werden die Studien im Mittel kürzer, schneller, passgenauer, effektiver. Allerdings sind die Studien erheblich schwerer durchzuführen, und die Analyse ist anspruchsvoll. Das Endergebnis ist durch die Veränderungen manchmal schwer zu interpretieren.
Wegen der größeren Flexibilität und der verkürzten mittleren Studiendauer sind die adaptiven Designs mittlerweile bei den Arzneimittelentwicklern sehr beliebt. Die Zulassungsbehörden sind hingegen skeptisch. Sie befürchten, dass die Studientransparenz abnimmt und ihnen Manipulationen entgehen könnten.
Adaptive Designs im Kompetenznetz Vorhofflimmern
Im Rahmen des Kompetenznetzes Vorhofflimmern werden vier von Universitätsforschern initiierte randomisierte klinische Studien ('investigator initiated trials', IITs) im adaptiven Design durchgeführt. Der Grund für die Wahl dieser Designs war die schlechte Datenlage vor Beginn der Studie, die nur eine vorläufige Planung der Stichprobenumfänge erlaubte. Bei den Zwischenanalysen sollte jeweils der Stichprobenumfang, falls erforderlich, angepasst werden bzw. die Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung der Studie mit positivem oder negativem Ergebnis geprüft werden.
Erfahrungen
In der Praxis erwiesen sich die adaptiven Designs als schwerer durchführbar als erwartet. Der Hauptgrund waren logistische Probleme. Da jede Zwischenanalyse entscheidend sein kann, mussten die jeweils zu verwendenden Daten 'just-in-time' vorliegen, und zwar vollständig und ausgeprüft vorliegen. Unter den Bedingungen eines IIT mit nur punktweisem Monitoring ist das kaum zu verwirklichen. Selbst das langsamste, personell eventuell schlecht ausgestattete Studienzentrum musste alle Daten übersandt und alle Rückfragen beantwortet haben. Hinzu kam, dass in allen Studien auf dem neuesten Stand befindliche komplexe Technologie (z.B. Tele-EKGs) eingesetzt wurde, deren Beherrschung und Auswertung sehr anspruchsvoll ist. Schließlich mussten in den Lenkungsausschüssen der Studien schwierige Entscheidungen mit potentiell weitreichenden Folgen auf begrenzter Datenbasis getroffen werden. In dieser Situation neigten die Studienärzte dann doch aus Verantwortungsgefühl zu einer Verschiebung von Entscheidungen, bis man auf sicherem Grund steht. Um jeden Verdacht einer bewussten oder unbewussten Manipulation zu zerstreuen, wurden die Studiendesigns überwiegend wieder konservativer gestaltet. Die Zahl der Zwischenanalysen wurde reduziert. Verblindeten Entscheidungen, bei denen man die Gruppenzugehörigkeit nicht kennt, aber prüfen kann, ob das Gesamtergebnis den Erwartungen entspricht, wurde der Vorzug gegeben vor unverblindeten Entscheidungen.
Fazit
Allgemein wird die lange Dauer von Forschung und Entwicklung neuer Therapien beklagt. Ärzte und Patienten müssen warten, obwohl sie schon viel über den neuen Ansatz wissen, Herstellern laufen Patentrechte aus, neue Therapien können im Kern schon veraltet sein. Diese Verzögerungen sind einem hohen Sicherheitsbedürfnis bei unvermeidlicher statistischer Unsicherheit geschuldet. Adaptive Designs scheinen hierfür zahlreiche Verbesserungen zu versprechen, da sie vorhandene Information besser ausnutzen und flexibler sind. In der Praxis muss jedoch ein Preis für die gestiegene Flexibilität gezahlt werden: großer logistischer Aufwand, höhere Kosten, strenge Disziplin der Studienbeteiligten, komplexere Statistik, mehr Uneindeutigkeiten und offene Fragen in der anschließenden wissenschaftlichen Diskussion. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die adaptiven Designs nicht bis ins letzte auszureizen, sondern maßvoll mit klinischem Sachverstand einzusetzen. Die wissenschaftliche Neugier, die Verantwortung des forschenden Klinikers und das Wirtschaftlichkeitsdenken müssen in eine Balance gebracht werden. Eine kleinstmögliche Studiendauer kann nicht das oberste Ziel sein.
Das Kompetenznetz Vorhofflimmern
Im Kompetenznetz Vorhofflimmern arbeiten seit fast fünf Jahren Wissenschaftler und Ärzte bundesweit zusammen, um die Behandlung und Versorgung von Vorhofflimmerpatienten zu verbessern. Vorhofflimmern ist die häufigste behandlungsbedürftige Herzrhythmusstörung, insbesondere bei älteren Menschen. Allein in Deutschland gibt es rund eine Million Vorhofflimmer-Patienten, Tendenz steigend. Das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.
Adresse:
Kompetenznetz Vorhofflimmern
Netzwerkzentrale am Universitätsklinikum Münster
Domagkstraße 11, 48149 Münster
Tel: 0251 / 83-45341, Fax: 0251 / 83-45343
info@kompetenznetz-vorhofflimmern.de
Kontakt:
Prof. Dr. Karl Wegscheider
Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf
Tel: 040-428036110
k.wegscheider@uke.uni-hamburg.de
Pressekontakt:
Dr. Angelika Leute
Tel: 0251-83-57113
angelika.leute@ukmuenster.de
http://www.kompetenznetz-vorhofflimmern.de
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Research results, Scientific conferences
German
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