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05/26/2008 12:01

Die drohenden Schatten der Vergangenheit

Stephan Laudien Referat Öffentlichkeitsarbeit
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Historiker der Universität Jena legt Buch über den Protest gegen die Notstandsgesetze vor

    Jena (26.05.08) Am 30. Mai 1968 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD die sogenannten Notstandsgesetze. Dieses 28 Grundgesetz-Artikel umfassende Paket sollte die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen ermöglichen. Bei der Abstimmung votierten die oppositionelle FDP sowie 53 SPD-Abgeordnete dagegen. Im Vorfeld hatte es massive Proteste einer außerparlamentarischen Opposition gegeben, durch die die alte Bundesrepublik erschüttert wurde.

    Der Historiker Boris Spernol von der Friedrich-Schiller-Universität Jena analysiert in seinem neuen Buch die Vorgeschichte dieser Gesetze und die Proteste. Der Band "Notstand der Demokratie - Der Protest gegen die Notstandsgesetze und die Frage der NS-Vergangenheit" setzt weit vor 1968 an. "Die Bundesregierung hatte bereits seit Mitte der 1950er Jahre eine entsprechende Gesetzgebung vorbereitet, und die Proteste dagegen begannen schon bald nachdem es 1958 öffentlich bekannt wurde", sagt Spernol.

    Der Historiker geht der Frage nach, weshalb sich eine breite Protestbewegung aus Künstlern, Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Studenten formierte, deren einigendes Band die Sorge um einen "Notstand der Demokratie" war. In düsteren Prognosen war vom Ende der Demokratie in Deutschland die Rede - die Angst vor einem restaurativen politischen Klima und vordemokratisch-autoritären Mentalitäten ging um.

    Spernol beschreibt exemplarisch fünf Wissenschaftler und Intellektuelle, die sich gegen die Notstandsgesetze engagierten. Am Beispiel von Eugen Kogon, Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Abendroth, Helmut Ridder und Jürgen Seifert analysiert er das - schon weit vor "68" verbreitete - "Unbehagen an einer unheilvollen Vorsorge". Ihr Protest wandte sich gegen den "perfektionistischen Elan einer allumfassenden Notstandsgesetzgebung", wie es beispielsweise der liberale Historiker und Weimar-Spezialist Karl Dietrich Bracher formulierte. Spernol zeigt, dass sich die pessimistischen bis apokalyptischen Zukunftserwartungen aus persönlichen Erfahrungen und der Verarbeitung der NS-Zeit speisten. Dies verdeutliche, in welchem Maße die Debatte um die Notstandsgesetze auch als eine Nachgeschichte des Nationalsozialismus zu interpretieren ist. So dürfe der Protest gegen die Notstandsgesetzte nicht auf die Demonstrationen des Jahres 1968 verkürzt und damit, wie vielfach geschehen, allein als "groteske Übertreibung der Situation" abgetan werden.

    Der renommierte Publizist und Politikwissenschaftler Eugen Kogon, der sechs Jahre im KZ Buchenwald verbracht hatte, erwartete ein "1984" und schrieb: "Nur uns wird es betreffen, die unruhigen, 'mit nichts zufriedenen' Köpfe. Man wird die Widerspenstigen 'einordnen'". Kogon erwartete, dass autoritäre Praktiken zur Normalität des Lebens würden: "Tausende der alten Generation in den Büros können es kaum erwarten, bis es soweit ist."

    Wolfgang Abendroth gilt als einer der "Gründungsväter" der Neuen Linken, Seifert und Ridder waren Protagonisten des Kuratoriums "Notstand der Demokratie". Der Verfassungsrechtler Ridder war Sprecher des Kuratoriums, Jürgen Seifert agierte als Kuratoriums-Sekretär.

    Spernol fokussiert seine Darstellung auf den gesellschaftlichen Diskurs der Zeit: Was waren die für die Debatte prägenden und konstituierenden Begriffe? Welche individuellen Motive bestimmten das Handeln der Akteure? Was prägte ihren Erwartungshorizont, ihre dramatisierte Sicht auf die Zukunft?

    Der Jenaer Historiker macht deutlich, dass die Proteste gegen die Notstandsgesetzgebung ein wichtiger Auslöser für "1968" waren. Die Debatte um die Notstandsgesetze sei Projektionsfläche und zugleich Symptom für ein ausgeprägtes Misstrauen gegen die politischen Institutionen gewesen.

    Boris Spernol: Notstand der Demokratie. Der Protest gegen die Notstandsgesetze und die Frage der NS-Vergangenheit, Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2008, 140 Seiten, Preis: 22 Euro, ISBN 978-3-89861-962-2

    (Rezensionsexemplare können angefordert werden über Ariane Rump, Tel. 0201 / 8620633, E-Mail: rump[at]klartext-verlag.de)

    Kontakt:
    Boris Spernol
    Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944447
    E-Mail: Boris.Spernol[at]uni-jena.de


    More information:

    http://www.uni-jena.de


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    Cover der neuen Publikation.
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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Law, Politics
    transregional, national
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