Bochum, 07.09.1995, Nr. 136
Wenn Netze unter Konkurrenzdruck geraten
Letzte Bastionen gegen Wettbewerb verlieren an Boden
RUB-Tagung ueber die europaeische Versorgungswirtschaft
Der Liberalisierungssog nimmt zu, letzte monopolistische Bastionen fallen auch in der europaeischen Versorgungswirtschaft. In der Reaktionsweise unterscheiden sich aber europaeische Staaten. So hat kuerzlich die "Europaeische Zentrale fuer oeffentliche Wirtschaft" (CEEP) auf franzoesischer Initiative die Verabschiedung einer "Europaeischen Charta der oeffentlichen Dienstleistungen" vorgeschlagen, um ein rechtsverbindliches Gegengewicht zum Wettbewerbsprimat der Roemischen Vertraege zu schaffen. Das ist ein aktueller Anlass der Fachtagung "STRUKTUREN DER VERSORGUNGSWIRTSCHAFT IN EUROPA" (Mittwoch 13. September 1995 im Stadtparkrestaurant Bochum, Klinikstrasse 41-45), die das Institut fuer Berg- und Energierecht der Ruhr-Universitaet Bochum veranstaltet. Auf Einladung der RUB-Professoren Dr. Uwe Hueffer, Dr. Dr. h.c. mult. Knut Ipsen und Dr. Peter Tettinger kommen internationale Experten zusammen, um charakteristische Grundstrukturen der Versorgungswirtschaft in einzelnen EU-Staaten und die Auswirkungen auf europaeische Rechtsetzungsaktivitaeten zu diskutieren. Die Versorgungswirtschaft (neben der leitungsgebundenen Energie- und Wasserversorgung andere infrastrukturabhaengige Dienste wie die Telekommunikation, das Rundfunk-, Post- und Verkehrswesen und auch die Abfallwirtschaft) ist im Zuge der schrittweise voranschreitenden Verwirklichung des Europaeischen Binnenmarktes bekanntlich zunehmend einem "Liberalisierungs"-Sog ausgesetzt: Einzelne Sektoren wurden bereits dem internationalen Wettbewerb geoeffnet; fuer andere Wirtschaftszweige, wie etwa das Netzmonopol im Bereich der Telekommunikation, liegen ausgearbeitete Marktoeffnungsstrategien vor. Nur wenige Bereiche konnten sich, wie insbesondere die Strom- und Gasversorgung, unter erfolgreicher Berufung auf physikalisch-technische Sachzwaenge, aber auch auf elementare Verbraucherinteressen bislang weitestgehend gegenueber dem durch die EU-Kommission mitunter gegen die Kritik des Europaeischen Parlaments und der Regierungen der Mitgliedstaaten erzeugten Libe- ralisierungs- und Privatisierungsdruck behaupten.
In dem Umfang, in dem die europaeische Wettbewerbspolitik auf diese letzten Bastionen nationaler Wirtschaftspolitik ausgreift, mehren sich die Stimmen, die trotz prinzipieller Unterstuetzung der europaeischen Wettb- ewerbspolitik moegliche negative Konsequenzen dieser Entwicklung zu bedenken geben. Verwiesen wird insbesondere auf die unterschiedli- chen, ihrerseits wiederum wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen eines einheitlichen europaeischen Wettbewerbsregimes auf die Versorgungswirtschaft der Mitgliedstaaten, deren strukturelle und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zum Teil erheblich voneinander abweichen. Im Bereich der Energieversorgung reicht das Spektrum vorhandener Ordnungsmodelle etwa von der ausgepraegten Staatswirtschaft (Frankreich) bis hin zu wettbewerbsorientierten Systemen mit weitgehend privaten Versorgungsunternehmen (Grossbritannien); nicht weniger stark divergieren hiermit einhergehende energie-, wirtschafts- und umweltpolitische Zielvorstellungen und die zu ihrer Durchsetzung eingesetzten Lenkungs- und Kontrollmechanismen in den Mitgliedstaaten. Angesichts der damit an Bedeutung gewinnenden rechtsvergleichenden Betrachtung will die diesjaehrige Fachtagung des Instituts fuer Berg- und Energierecht zum gegenseitigen Verstaendnis bestehender Struktur- und Politikunterschiede beitragen: Im Rahmen einer international besetzten Expertenrunde sollen cha- rakteristische Grundstrukturen der Versorgungswirtschaft in einzelnen EU-Staaten aufgezeigt und die Auswirkung europaeischer Rechtsetzungsaktivitaeten auf diese Systeme diskutiert werden. Den aktuellen Anlass fuer die Tagung bot ein auf franzoesischer Initiative hin unterbreiteter Vorschlag der "Europaeischen Zentrale fuer oeffentliche Wirtschaft" (CEEP) zur Verabschiedung einer "Europaeischen Charta der oeffentlichen Dienstleistungen". Der Entwurf, der auch eine Modifizierung des EG-Vertrages vorsieht, zielt darauf ab, ein rechtsverbindliches Gegengewicht zum bislang vom Wettbewerbsprimat beherrschten Grundtenor der Roemischen Ver- traege zu statuieren und die Grundanliegen der oeffentlichen Versorgung - flaechendeckende Bereitstellung lebenswichtiger Dienstleistungen zu kostenguenstigen, qualitativ hochwertigen und umweltvertraeglichen Konditionen - nachhaltiger zur Geltung zu bringen.
Eroeffnet wird das Tagungsprogramm durch den Vortrag 'Das franzoesische System des Service Public unter besonderer Beruecksichtigung der Energiewirtschaft'; Referent ist Alain Fiquet vom staatlichen franzoesischen Energieunternehmen "Electricit" de France". Anschliessend steht das Referat von Professor Dr. Luciano Parejo Alfonso (Universidad Carlos III de Madrid) zur aktuellen Situation des "servicio p£blico" in Spanien auf dem Programm. Zur gegenwaertigen Situation der italienischen Versorgungswirtschaft wird ab 11.15 Uhr der stellvertretende Generaldirektor des Energieversorgungsverbundes A.E.C. der Staedte Bozen und Meran, Dr. Karl Ferrari, sprechen. Beendet werden wird das Vormittagsprogramm durch das Referat von Professor Dr. Thomas Waelde, Direktor des Centre for Petroleum & Mineral Law & Policy der Universitaet Dundee, zu dem Thema "Die Regelung der britischen Energiewirtschaft nach der Privatisierung".
Um 14 Uhr ist eine detaillierte Erlaeuterung der Vorschlaege zur "Europaeischen Charta der oeffentlichen Dienstleistungen", vorgesehen; sprechen wird Dr. Heinrich Decker, Beigeordneter des Verbandes kommuna- ler Unternehmen (Koeln). Mit dem ungeloesten Gegensatz zwischen dem Wettbewerbs- und dem Gemeinwirtschaftsprinzip, wie er speziell in Artikel 90 des EG-Vertrages zum Ausdruck kommt, wird sich anschliessend Direktor Dr. Hans Peter Hermann (Vereinigte Elektrizitaetswerke, Dortmund) auseinandersetzen. Beschlossen werden soll die Fachtagung, zu der zahlreiche Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung erwartet werden, sodann durch eine offene Podiumsdiskussion unter Mitwirkung der Referenten, die angesichts der aus rechtlicher, oekonomischer und politischer Sicht gleichermassen brisanten Thematik, aber auch mit Blick auf die bevorstehende Revisionskonferenz der EU-Mitglieder zum Maastrichter Vertragswerk einen anregenden Verlauf nehmen duerfte. Die deutschsprachigen Tagungsbeitraege sollen demnaechst in der Schriftenreihe "Bochumer Beitraege zum Berg- und Energierecht" des Instituts publiziert werden.
Criteria of this press release:
Electrical engineering, Energy
transregional, national
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German
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