idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
11/09/2000 16:14

Völkermord beginnt mit Worten

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Die Fritz-Thyssen-Stiftung fördert für zwei Jahre ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das die Bedeutung sprachlicher Mechanismen im Völkermord untersucht.

    Bochum, 09.11.2000
    Nr. 315

    Völkermord beginnt mit Worten
    "Sprachliche Strategien der Exklusion in politischer Gewalt"
    Fritz-Thyssen-Stiftung fördert RUB-Forschungsprojekt

    Völkermord beginnt mit Prozessen sprachlicher Ausgrenzung. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele in der jüngeren Geschichte. Lange bevor etwa die Nationalsozialisten in Deutschland Konzentrationslager errichteten, lange bevor es zu Übergriffen aus der Bevölkerung kam, wurden Juden in der kollektiven Rede und im so genannten Volksmund diffamiert und stigmatisiert, sie wurden mit sprachlichen Mitteln aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Mechanismen dieser Exklusion durch Sprache, die Codes und Muster, die dabei zum Tragen kommen, sind jedoch weitgehend unerforscht. Ein interdisziplinäres Projekt dazu fördert nun die Fritz-Thyssen-Stiftung für eine Laufzeit von zwei Jahren mit insgesamt DM 300.000: "Sprachliche Strategien der Exklusion in politischer Gewalt: Der Herero-Nama-Aufstand 1904/07 in der zeitgenössischen deutschen Literatur", ein Forschungsvorhaben des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der RUB (Dr. Mihran Dabag) in Kooperation mit Prof. Dr. Uwe-K. Ketelsen (Lehrstuhl für Neugermanistik, Fakultät für Philologie der RUB) und Prof. Dr. Horst Gründer (Historisches Seminar der Universität Münster).

    Neue und tradierte Codes

    Angesichts der aktuellen Ereignisse staatlicher Verfolgung und politischer Gewalt stellt sich die Frage nach den sich wiederholenden Ausgangs- und Rahmenbedingungen für Völkermord. Eine zentrale Rolle innerhalb der Vorbereitungsphasen moderner politischer Gewalt spielen Strategien und Maßnahmen einer Stigmatisierung der Opfergruppe. Diese stützen sich auf sprachliche, medial vermittelte Verfahren. Wissenschaftler vermuten, dass in den Definitions- und Exklusionsstrategien der modernen Genozidpolitik ebenso neu geschaffene wie generational überlieferte sprachliche Muster relevant sind, die als geschichtliche, kulturelle oder weltanschauliche Codes Gültigkeit beanspruchen.

    Der "Schlüsselstelle" auf der Spur

    Das interdisziplinäre Projekt untersucht solche Strategien der Ausschließung anhand eines Beispiels aus der deutschen Kolonialgeschichte: der Ermordung der Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1904/07). Es will damit einerseits einen übergreifenden Beitrag liefern zur Forschung über sprachliche Strategien, mit denen eine Bevölkerungsgruppe ausgeschlossen wird, als eine spezifische Form öffentlicher Gewalt. Andererseits liegt ein besonderes Interesse der Projektfragen in ihrem historischen Gegenstand: Vermutlich fanden der Herero-Aufstand und die ihn begleitenden literarischen Diskurse statt an einer Schlüsselstelle - möglicherweise an einem Umschlagpunkt in der Entwicklung der modernen europäischen Nationalstaaten vor dem Ersten Weltkrieg.

    Zentrale Fragen

    Finden sich in zeitgenössischen literarischen, populärwissenschaftlichen oder wissenschaftlichen Diskursen über die Herero sprachliche Muster, die auf eine exkludierende Konstruktion kollektiver Identität schließen lassen - beispielsweise im Sinne binärer Zuweisungen von Eigen und Fremd, Schwarz und Weiß, Kultur und Natur? Inszenieren sie Differenzen, eine gesetzte Andersartigkeit und Fremdheit der Herero als Bedrohung der Identität der Kolonisatoren? Lassen sich hinsichtlich der vermuteten sprachlich gestützten Ausschließung der Herero Beziehungen zu den Legitimationsmustern ihrer Ermordung feststellen? Inwieweit zeigt sich ein Nebeneinander, inwieweit zeigen sich Überschneidungen der Strategien "traditionell" kolonialer Gewaltprozesse und "moderner" politischer, das heißt öffentlich institutionalisierter Gewalt? Dies sind einige der zentralen Fragen, denen das Projekt nachgehen wird.

    Umfassende Untersuchung zeitgenössischer Texte

    Die sozial- und kulturhistorische sowie grundlagentheoretische Orientierung verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit: Forschungsansätze aus Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und vergleichender Genozidforschung sollen in die Projektarbeit einfließen. Ihre Grundlage ist eine umfassende Analyse zeitgenössischer Pressetexte, Reiseberichte, autobiografischer und belletristischer Texte, populärwissenschaftlicher und historiographischer Arbeiten.

    Lücke in der Forschung

    Gerade die jüngeren Diskussionen und Forschungen um die Arbeiten von Christopher Browning und Daniel J. Goldhagen haben noch einmal verdeutlicht, dass sich moderne Formen politischer Gewalt über höchst komplexe gesellschaftliche Prozesse vollziehen. Es fällt auf, dass die Vorbereitungsphasen dieser Prozesse bisher nur wenig differenziert erarbeitet wurden, in Bezug auf die Prozesse sprachlicher Stigmatisierung und diskursiver Ausgrenzung einer späteren Opfergruppe zeigt sich sogar eine zentrale Lücke der Forschung.

    Weitere Informationen

    Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 150, 44801 Bochum, Tel. 0234/32-29700, -29702, Fax: 0234/32-14770, eMail: idg@ruhr-uni-bochum.de


    Images

    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Law, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).