Jena (20.11.00) Zum "Tag der Forschung" und zu den aktuellen Finanzierungsproblemen seiner Einrichtung hat Prof. Dr. Bernd Wiederanders, der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Jena dem "Uni-Journal" ein Interview gegeben. Es erscheint am 5. Dezember, gern stelle ich es Ihnen aber vorab zur Verfügung.
Wo liegen genau die Finanzierungsprobleme für Ihre Fakultät?
Wir können noch nicht definitiv sagen, welche Größenordnung die Kürzung des Landeszuschusses für Lehre und Forschung im Landeshaushalt 2001/02 haben wird. Bereits im laufenden Haushalt müssen wir ein Defizit von etwa 4,5 Millionen Mark ausgleichen. Dabei muss man wissen, dass unser Klinikum und die Medizinische Fakultät unterschiedliche Finanzierungsquellen haben. Es gibt zum einen den Landeszuschuss in Höhe von rund 113,5 Millionen Mark, und der soll im nächsten Jahr um 9,8 Millionen geringer sein. Die zweite Finanzierungsquelle beruht auf den Vergütungen der Krankenkassen für die stationäre Versorgung, die dritte auf den Poliklinikpauschalen seitens der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringens für den ambulanten Bereich. Aber gerade die sind bei weitem nicht kostendeckend.
Warum nicht?
Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Röntgen- und Laboruntersuchung eines ambulanten Patienten kosten mehrere hundert Mark, wir erhalten aber nur eine Poliklinikpauschale von 70 Mark. Das Defizit im ambulanten Bereich ist folglich sehr groß. Eine weitere Reduzierung um zehn Millionen Mark beim Landeszuschuss für Lehre und Forschung verschärft die Situation dramatisch, so dass wir damit rechnen, dass im nächsten Jahr etwa 15-20 Millionen Mark fehlen. Wenn wir in dieser Größenordnung sparen müssen, dann geht das nur im Personalbereich.
Sie werden Leute entlassen?
Der Klinische Vorstand hat bereits eine Einstellungssperre ausgesprochen, die wir nur durchbrechen, wenn extrem sensible Bereiche der Krankenversorgung betroffen sind. Insgesamt geht es um 200 bis 250 Stellen.
Heißt das, die Patientenversorgung wird schlechter?
Sicher nicht im stationären Bereich. Aber wir denken jetzt schon darüber nach, einige ambulante Bereitschaftsdienste künftig nicht mehr vorzuhalten und sie auf die niedergelassenen Ärzte zu verlagern, soweit das überhaupt möglich ist. Wo das genau sein wird, hängt von der Personalfluktuation ab. Darunter wird die ambulante medizinische Versorgung in Jena und Umgebung sicher leiden.
Wie sind die Auswirkungen auf die Lehre und Forschung?
Wir legen großen Wert darauf, dass es in der Lehre keine unmittelbar spürbaren Qualitätseinbußen gibt. Aber für unsere Forschungsaktivitäten würden die Sparbeschlüsse einen gravierenden Rückschlag bedeuten. Einerseits sind wir dem Land außerordentlich dankbar, dass durch eine Reihe von Investitionsmaßnahmen die Forschungsinfrastruktur erheblich verbessert wurde. Andererseits brauchen wir aber auch das Personal, das diese Forschungsanstrengungen leistet. Und nur mit so genannten Drittmittelbeschäftigten wird das nicht möglich sein. Im Wettbewerb um Drittmittel haben eigentlich alle medizinischen Fakultäten in Ostdeutschland Defizite, weil die laufenden Zuschüsse der Länder erheblich niedriger ausfallen als im Westen. Was die Voraussetzungen in der Infrastruktur angeht, gibt es allerdings auch im Osten vorzügliche und absolut konkurrenzfähige Standorte. Jena gehört dazu.
Sind Sie zufrieden mit Ihrem derzeitigen Drittmittelbudget?
Da sprechen Sie ein heikles Thema an. Die Drittmitteleinwerbung an unserer Fakultät ist verbesserungsbedürftig, das ist überhaupt keine Frage. Aktuell haben wir zwei Initiativen zur Einrichtung von DFG-Sonderforschungsbereichen in Jena unternommen. Bei dem einen Vorhaben geht es um chronische Entzündungen, Mechanismen und Möglichkeiten der Begrenzung, bei dem anderen um Wechselwirkungen zwischen Proteinen, die in der Signaltransduktionskaskade eine Rolle spielen. Wenn wir nur einen dieser beiden Sonderforschungsbereiche herbekämen, würde das unser Drittmittelbudget erheblich vergrößern.
Sind solche Projekte gefährdet durch die Mitteleinsparungen?
Das ist schwer zu sagen, aber ich hoffe nicht. Allerdings versuchen wir gerade, einen bedeutenden Immunologen aus Heidelberg nach Jena zu berufen. Wenn es uns nicht gelingt, für ihn hinreichend gute Arbeitsvoraussetzungen zu schaffen, wird seine Berufung sicher scheitern, und unser Etat dafür ist leider erschöpft. Ähnliches gilt für einen Düsseldorfer Neurologen, der hier in Jena ein Zentrum für bildgebende Verfahren in den Neurowissenschaften etablieren möchte. Die erforderlichen Anträge an das Bundesforschungsministerium hat er bereits formuliert, aber für die Grundausstattung seines Lehrstuhls sind wir, d. h. ist das Land Thüringen, zuständig. Was also die Verpflichtung exzellenter Forscherpersönlichkeiten nach Jena angeht, lasse ich die Hoffnung nicht sinken, hege aber vor dem Hintergrund der Sparbeschlüsse durchaus Zweifel.
Gute Forschungsleistungen sorgen ja auch nicht zuletzt für wirtschaftliche Implikationen...
Richtig. Und in dieser Hinsicht ist der Standort Jena auf einem vorzüglichen Weg, wenn ich nur an das Sondervotum im BioRegio-Wettbewerb denke oder die Ansiedlung und Neugründung junger Biotech-Unternehmen betrachte. Das Forschungsnetzwerk zwischen den Fakultäten der Universität, den außeruniversitären Instituten auf dem Beutenberg und der Industrie induziert erhebliche Potenziale. Da stehen wir sogar noch relativ am Anfang einer außerordentlich perspektivenreichen und dynamischen Entwicklung.
Wo liegen die großen Herausforderungen der nächsten 20, 30 Jahre in der medizinischen Forschung?
Wir müssen jetzt nicht nur für viele Gene, die identifiziert worden sind, die Funktionen analysieren, sondern auch die individuellen Unterschiede in der genomischen Ausstattung jedes einzelnen Menschen, um verlässliche Prognosen für den Ausgang bestimmter Erkrankungen oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch an einer Erkrankung leiden wird, treffen zu können. Das ist eine immense Herausforderung für die medizinische Grundlagenforschung, sie wirft aber auch informationstechnische Probleme auf. Außerdem dürfen wir nicht die ethischen Fragestellungen vergessen, die daraus resultieren, dass wir mit unserem rasant ansteigenden Wissen zum Beispiel das genetische Material manipulieren, Diagnosen auf molekularbiologischer Ebene stellen und Krankheiten mit neuen, "intelligenten" Pharmaka heilen können. In der Chirurgie geht der Trend immer mehr zu minimal-invasiven Verfahren, und die Transplantationsmedizin schafft Möglichkeiten, um Patientenleben zu retten, wie es noch vor 15 Jahren kaum vorstellbar war. Für all diese Herausforderungen sind wir gut gerüstet. Aber an einer Einsparung von zehn oder 20 Millionen Mark darf dieser Fortschritt nicht scheitern.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bernd Wiederanders, Tel.: 03641/938611
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
E-Mail: roe@uni-jena.de
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
regional
Organisational matters, Studies and teaching
German
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