Bochum, 29.11.1995, Nr. 207
Mit fremden Federn geschmueckt
UEber die Damenwahl bei geschmueckten Voegeln
Bochumer Untersuchung ueber intersexuelle Selektion
Mit "fremden Federn geschmueckt" haben bislang unattraktive maennliche Prachtfinken groessere Chancen bei paarungswilligen Weibchen. Bei Finken aber, die von Natur aus bereits attraktiv sind, bewirkt der "fremde" Schmuck das Gegenteil: ihre Chancen, das Weibchen zu kriegen, sinken. Bei der Zahl der Nachkommen kommt es letztlich nicht mehr auf den Schmuck an. Zu diesen und weiteren Ergebnissen gelangt Dr. Klaudia Witte in ihrer Dissertation "Zur Evolution maennlicher Schmuckmerkmale durch intersexuelle Selektion beim Java-Bronzemaennchen Lonchura leucogastroides", die in der Arbeitsgruppe fuer Verhaltensforschung der Fakultaet fuer Biologie der Ruhr-Universitaet Bochum betreut von Prof. Dr. Eberhard Curio entstanden ist und in Kuerze im Buchhandel erhaeltlich sein wird.
Bei den meisten Tierarten investieren die Weibchen mehr Zeit, Energie und koerpereigene Ressourcen in die Nachkommen als die Maennchen. Daher sind die Weibchen bei der Wahl des Sexualpartners waehlerischer als die Maennchen und treffen die Entscheidung fuer oder gegen einen Paarbund.
Wie und wonach
Weibchen aber ihren Partner auswaehlen, hat bereits 1871 Charles Darwin beschaeftigt. Ihm fiel auf, dass vor allem Maennchen sehr auffaellige, extravagante und fuer das UEberleben eher hinderliche Schmuckmerkmale haben. Er vermutete, dass die Weibchen geschmueckte Maennchen als Partner bevorzugen und machte die weibliche Zuchtwahl fuer das unterschiedliche Aussehen der Geschlechter - geschmueckte Maennchen und schlichte Weibchen - mitverantwortlich. Inzwischen ist fuer viele Tierarten nachgewiesen, dass die Weibchen tatsaechlich diese maennlichen Ornamente bei der Partnerwahl beruecksichtigen. Werden diese Ornamente kuenstlich vergroessert, so bevorzugen die Weibchen diese manipulierten Maennchen gegenueber den natuerlich aussehenden. Die Weibchen schaetzen an den Schmuckmerkmalen entweder die Attraktivitaet des Maennchens oder dessen genetische Qualitaet ab. Im ersten Fall "erhoffen" sie sich bei Erblichkkeit des Schmucks attraktive Soehne und viele Enkel, im zweiten Fall konkurrenzstarke Nachkommen.
Die Bochumer Wissenschaftlerin hat nun Darwins Hypothese ueberprueft, ob der Maennchenschmuck durch weibliche Zuchtwahl entstanden ist. Kann alleine durch weibliche Zuchtwahl aus einer schmucklosen monomorphen Art, bei der der "kleine Unterschied" nicht zu sehen ist, eine dimorphe Art entstehen, bei der die Maennchen auffaellig schoener sind als die Weibchen?
Dr. Wittes Wahl des Versuchstieres fiel auf den unscheinbaren Prachtfinken, das Java-Bronzemaennchen Lonchura leucogastroides. Es hat nur schwarz, weiss und braun im Gefieder und bietet daher einen reizarmen "Hintergrund" fuer einen kuenstlichen Schmuck. Sie schmueckte die Maennchen mit sehr auffaelligen roten Scheitelfedern, roten Streifen auf der Unterseite der aeusseren Schwanzfedern und rotem Schnabel und testete die Reaktion der Weibchen auf die "verschoenten" Maennchen. Scheitelfeder und rote Schwanzunterseite fehlen allen heute lebenden Prachtfinken und sind daher wahrscheinlich voellig neue Merkmale fuer diese Gruppe. Ein roter Schnabel ist in der Prachtfinkenfamilie sehr haeufig und war vielleicht auch bei den Ahnen der heute lebenden Java-Bronzemaennchen vorhanden. Dr. Witte ging es um die Attraktivitaet der Maennchen. Diese wurde anhand der Zeit bestimmt, die ein Weibchen bei einem Maennchen verbringt. Da Zeit fuer jeden sterblichen Organismus, also auch fuer ein Weibchen ein begrenztes Gut darstellt, sollte es vor einem attraktiven Maennchen mehr Zeit verbringen, um sich ihm anzutragen, als vor einem unattraktiven Maennchen. Ein Weibchen durfte jeweils zwischen zwei Maennchen waehlen. Zunaechst wurde so die natuerliche Attraktivitaet der Maennchen gemessen. Anschliessend wurde eines der beiden Maennchen mit einem der roten Merkmale versehen und seine neue Attraktivitaet bestimmt und dann mit der natuerlichen Attraktivitaet (ohne Schmuck) verglichen.
Ergebnis: Bei allen drei kuenstlichen Merkmalen wurden von Natur aus unattraktive Maennchen attraktiver, aber von Natur aus attraktive Maennchen unattraktiver. Die Wirkung der neuen Merkmale haengt also von der natuerlichen Attraktivitaet der Maennchen ab. Entscheidend aber fuer die Durchsetzbarkeit eines neuen Merkmals innerhalb einer Bevoelkerung ist nicht alleine die Attraktivitaet, sondern der Fortpflanzungserfolg, also die Zahl eigener Nachkommen. Daran wurde daher auch die Partnerwahl der Weibchen gemessen. Aus einem Schwarm konnten die Weibchen zwischen Maennchen waehlen, sich mit diesen paaren und fortpflanzen. Die verpaarten Maennchen galten als attraktiv, die unverpaart gebliebenen als unattraktiv. Nach dem Selbstaendigwerden der Jungen wurden die Voegel voneinander getrennt. Anschliessend bekamen zwei attraktive und zwei unattraktive Maennchen rote Scheitelfedern. Die attraktiven Maennchen hatten mit der Scheitelfeder weniger Nachkommen als ohne diese, die unattraktiven Maennchen dagegen konnten sich nun mit roter Scheitelfeder fortpflanzen. Insgesamt hatten jedoch alle geschmueckten Maennchen nicht mehr Nachkommen: Die geschmueckten Maennchen konnten sich also nicht durchsetzen.
Tritt in einer Population eine neue Mutante auf, so ist diese zunaechst selten. Dies entspricht der Situation bei der Entstehung eines Sexualdimorphismus. Dr. Witte hat unter vier Maennchen diese Situation nachgestellt: in einem Fall erhielt eines der vier Maennchen eine rote Scheitelfeder. Der geschmueckte stellte hier den seltenen und zugleich neuen Typ dar. Im anderen Fall erhielten drei der vier Maennchen eine rote Scheitelfeder. Hier war jetzt der bekannte Typ der seltene. Die Weibchen bevorzugten den seltenen Typ nur dann, wenn dieser das neue Merkmal trug: Mit einem seltenen und neuen Schmuck hat ein Maennchen bei der Damenwahl Vorteile gegenueber seinen Konkurrenten, es kann also nicht die ganze Bevoelkerung erobern.
Wie reagieren aber Nachkommen auf geschmueckte Vaeter?
Waehrend der Nestlingszeit praegen sich die Nachkommen auf die Merkmale der Eltern. Das nimmt Einfluss auf die spaetere Partnerwahl. Dr. Witte untersuchte daher, ob sich die Nachkommen auch auf kuenstliche vaeterliche Merkmale, wie z. B. die rote Scheitelfeder, praegen liessen. Hierfuer wurde den Toechtern geschmueckter Vaeter die Wahl zwischen einem Maennchen mit und ohne Scheitelfeder geboten. Tatsaechlich bevorzugten diese Toechter ein geschmuecktes Maennchen staerker als Weibchen ohne Vorerfahrung mit derartig geschmueckten Maennchen. Hier hatte also Praegung auf das kuenstliche Ornament stattgefunden. Die Versuche zeigten, dass aufgrund der Interaktion zwischen dem neuen Schmuck und der natuerlichen Attraktivitaet der Maennchen alleine durch weibliche Partnerwahl eine schmucklose monomorphe Art nicht zu einer dimorphen Art evolvieren kann, wohl aber zu einer Art mit verschiedenen Maennchen-Spielarten, wobei sexuelle Praegung und Seltenheit in Kombination mit Neuheit diesen Prozess unterstuetzen.
Criteria of this press release:
Biology, Information technology, Psychology
transregional, national
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German
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