Berlin, Deutscher Schmerzkongress, 11. Oktober 2008
An der Schwelle vom Tier zum Menschen mit neuen Schmerzmodellen
Schmerzen bei ein und derselben Erkrankung können auf ganz unterschiedlichem Wege hervorgerufen werden. Auch wenn sich die Schmerzen gleich anfühlen, sollte sich die Behandlung an den zugrundeliegenden Schmerzmechanismen orientieren, um erfolgreich zu sein. Um das zu schaffen versuchen Forscher, Erkenntnisse zu Schmerzmechanismen aus der tierexperimentellen Forschung auf den Menschen anhand von verschiedenen Schmerzmodellen zu übertragen.
So lassen sich Hinweise ableiten, ob Erkenntnisse aus der präklinischen Forschung klinisch bedeutsam sind. Elektrische Reizung, Sonnenbrand durch UV-Strahlen und kleine Hautschnitte dienen als Schmerzmodell für unterschiedliche klinische Fragestellungen. Über die aktuellen Neuerungen berichteten Forscher aus ganz Deutschland beim Deutschen Schmerzkongress in Berlin.
Elektrischer Reizung ersetzt die Gewebeschädigung
Eine Aktivierung von Schmerzrezeptoren in der Haut führt fast immer zu einer Verstärkung der Empfindlichkeit von Schmerznervenzellen im Rückenmark, die über lange Zeit anhalten kann. Dabei spielen Veränderungen an der Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen (Synapse) eine wichtige Rolle: Durch eine starke Aktivierung des Schmerzsystems kommt es zu einer Steigerung der Informationsübertragung, was typischerweise zu einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit führt. Diese aus dem Tierexperiment bekannte Langzeitpotenzierung (LTP) lässt sich beim Menschen experimentell auslösen, indem die oberflächlichen Nervenendigungen in der Haut mit speziellen Elektroden hochfrequent elektrisch gereizt werden. Die Auswirkungen untersuchen die Forscher mit der Quantitativen Sensorischen Testung (QST). Die QST besteht aus einer Reihe einfacher Tests schmerzhafter und nicht-schmerzhafter Empfindungen, etwa der Berührung mit einem Pinsel, Stechen mit einer stumpfen Nadel oder Reizung mit Hitze oder Kälte.
Schmerz nach Nadelstichen wird anders verarbeitet als Schmerz auf Kälte und Hitze
Auf diese Weise konnte eine Arbeitsgruppe um Dr. Thomas Klein (Mannheim) zeigen, dass sich eine durch Schmerz-LTP hervorgerufene gesteigerte Schmerzempfindung beim Menschen in der Regel innerhalb weniger Stunden bis maximal einem Tag wieder zurückbildet. Unter noch nicht genau verstandenen Umständen können solche LTP-Phänomene allerdings überdauern. Blockieren lassen sie sich im Tiermodell durch bestimmte Medikamente (z.B. durch NMDA-Rezeptor Blocker wie Dextromethorphan, einem Hustensaft), die auch bei der Behandlung von verschiedenen chronischen Schmerzen erfolgreich therapeutisch eingesetzt werden. "Dies ist indirekt ein Beleg dafür, dass man anhand der Untersuchung des Schmerzmodells am Menschen im gewissen Umfang auf die Wirksamkeit im klinischen Einsatz schließen kann", so Klein. Auch konnte die Arbeitsgruppe so zeigen, dass nicht alle Qualitäten der Hautsinneswahrnehmung durch Schmerz-LTP gleichermaßen betroffen sind. So kam es durch die elektrische Reizung zwar zu einer Steigerung der Schmerzhaftigkeit von Nadelreizen (mechanische Hyperalgesie) und Schmerzen gegenüber normalerweise nicht schmerzhaften Berührungsreizen (Allodynie), Kälte- und Hitzeschmerz waren aber nicht gesteigert. "Dies deutet daraufhin, dass der Kälte- und Hitzeschmerzüberempfindlichkeit wahrscheinlich andere Mechanismen als Schmerz-LTP zugrunde liegen", erläutert Klein.
Entzündungsboten sensibilisieren Schmerzfasern
Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass für die Hitzeschmerzüberempfindlichkeit in erster Linie eine Sensibilisierung des Schmerzrezeptors in der Haut verantwortlich ist (periphere Sensibilisierung). Die Empfindlichkeitssteigerung wird unter anderem durch körpereigene Substanzen wie Prostaglandine oder Bradykinin, die beispielsweise bei einer Entzündung ausgeschüttet werden, hervorgerufen. Typische Veränderungen findet man z.B. beim Sonnenbrand, bei dem die Haut gegenüber Hitze überempfindlich ist. Da durch die Sensibilisierung der Schmerzrezeptoren die Aktivität der Schmerzfasern insgesamt gesteigert ist, führt dies indirekt auch zu einer verstärkten Erregungsübertragung an der Kontaktstelle zur nachfolgenden Nervenzelle, was wiederum in der Regel auch Schmerz-LTP auslösen kann. Man findet daher beim Sonnenbrand auch eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit gegenüber mechanischen Schmerzreizen, wie sie für Schmerz-LTP typisch ist.
Sonnenbrand wissenschaftlich nutzen
Den Sonnenbrand hat sich die Arbeitgruppe um PD Dr. Christian Maihöfner (Erlangen) zunutze gemacht. Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) untersuchten die Forscher am Menschen, inwieweit sich die unterschiedlichen Mechanismen der Schmerzverstärkung in verschiedenen Aktivierungsmustern im Großhirn niederschlagen. Dazu setzten sie die Haut von Probanden einer definierten Dosis UV-B-Bestrahlung aus, was zu einer Entzündungsreaktion mit nachfolgender Hitzeüberempfindlichkeit führt. Es zeigte sich, dass bei der Empfindung der unterschiedlichen Hautsinnesmodalitäten (Hitze- und mechanische Schmerzreize) unterschiedliche Hirnareale aktiviert werden, was eine unterschiedliche Verarbeitung dieser Sinneseindrücke im Gehirn nahelegt. Medikamente, die die Entstehung von Entzündungsmediatoren hemmen (z.B. Acetylsalicylsäure), führten sowohl zu einer Hemmung der peripheren und zentralen Sensibilisierungsmechanismen, d.h. einer reduzierten Überempfindlichkeit gegenüber mechanischen und Hitzeschmerzreizen, als auch zu einer Reduktion der Aktivierung der bei der Sensibilisierung aktivierten Großhirnareale.
Kleiner Schnitt - größere Hitzeempfindlichkeit
Forscher aus Münster und Mannheim (Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn, Dr. Thomas Klein) untersuchten postoperativen Schmerz anhand kleiner Schnitte in die Haut. Sie haben nun in einer gemeinsamen Studie eine Hitzüberempfindlichkeit direkt über dem verletzten Hautareal nachweisen können, die von einer verstärkten Schmerzhaftigkeit gegenüber mechanischen Reizen in der Umgebung der Verletzung begleitet wurde und etwas 24 Stunden anhielt. Sowohl das Muster als auch der zeitlichen Verlauf der Sensibilitätsveränderungen deuten darauf hin, dass diesen Veränderungen periphere und zentrale, LTP-ähnliche Sensibilisierungsprozesse zugrunde liegen - Hinweise für eine zielgerechte Therapie. "Zukünftige Studien müssen zeigen, wie zuverlässig sich mechanismen-basierte Konzepte chronische Schmerzerkrankungen am Menschen anhand von Schmerzmodellen überprüfen lassen", schloss Klein in Berlin.
Ansprechpartner
Dr. Thomas Klein, Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim, der Universität Heidelberg, Ludolf-Krehl-Str.13-17, 68167 Mannheim, Tel. 0621-383-5070, E-Mail: thomas.klein@medma.uni-heidelberg.de
Criteria of this press release:
Medicine
transregional, national
Research results
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).