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12/14/2000 13:50

150-jähriges Jubiläum der preußischen Verfassungsurkunde

Renate Nickel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

    Kolloquium über "Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung - Verwaltung - politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade"

    Am Vorabend des "Preußenjahrs 2001" erinnerte Anfang Dezember ein Kolloquium der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften an das 150-jährige Jubiläum der preußischen Verfassungs-Urkunde. Veranstaltet vom Akademienvorhaben "Protokolle des Preußischen Staatsministeriums" wandte sich die Tagung unter dem Titel "Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung - Verwaltung - politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade" der Entwicklung Preußens zum Verfassungs- und Rechtsstaat zu.
    Zum Auftakt referierte der international renommierte Göttinger Historiker Rudolf von Thadden im Schloßtheater des Neuen Palais (Potsdam) über "Kirchen und Politik in Preußen. Die Krise des Jahres 1933". Vortrag wie die anschließende Diskussion machten deutlich, daß Hitlers Kirchenpolitik auch von der Spaltung der beiden großen Konfessionskirchen profitieren und somit ein gemeinsamer Widerstand von Protestanten und Katholiken weithin verhindert werden konnte.
    In drei Sektionen diskutierten Historiker, Juristen und Politologen aus Polen, Österreich, den USA und der Bundesrepublik über den Weg des preußischen Staates von der altständischen hin zur modernen bürgerlichen Gesellschaft und über dabei wirkende Reformpotentiale und Reformstaus.
    Zum einen wandte man sich dem preußischen Vormärz zu, erörterte auf verschiedensten Gebieten des Wirken von Reformkräften wie -blockaden und prüfte vor allem die Validität der These von der Verwaltung als Verfassungsersatz. Aufmerksamkeit fand hier zunächst die als damaliges Zentrum des Liberalismus bekannte Provinz (Ost-)Preußen. So wurden der langjährige Oberpräsident v. Schön auf die ihm zugeschriebenen Kategorien des Reformers und des Liberalen untersucht sowie dort entworfene, bislang unbeachtete Verfassungsmodelle vorgestellt. Die diskontinuierliche Entwicklung Preußens zum Rechtsstaat spiegelte sich in den Auseinandersetzungen um die Kompetenzen zwischen Verwaltungs- und Justizbehörden in den zwanziger Jahren. Zur internen Verfassungsdiskussion der vierziger Jahre erfordern neue Forschungsergebnisse eine modifizierte Standortbestimmung der Regierung und zeigen zudem veränderte Kommunikationsformen sowie einen bisher nicht geläufigen Regierungsstil des Königs auf; die zeitgleich dazu geführten Kontroversen um die Kirchenverfassung ließen eine brisante Parallelität zur politischen Verfassungsfrage sowie das Modernisierungspotential in Kirchen- wie in Regierungskreisen zutage treten.
    Zum anderen diskutierten die Kolloquiumsteilnehmer die innenpolitischen Weichenstellungen zur Reichsgründungszeit. Dabei wurde die Bedeutung der Neuen Ära Preußens in zweifacher Hinsicht beleuchtet: Einerseits scheiterte das politische Projekt des altliberalen Staatsministeriums (1858-62) die konstitutionelle Verfassung auszubauen im polarisierten Dreieck König-Landtag-Öffentlichkeit. Hingegen akzeptierte die Bourgeoisie allmählich den monarchisch-bürokratischen Staat, weil ihren ökonomischen Interessen mit Reformgesetzen Rechnung getragen wurde. Die Modernisierung Preußen-Deutschlands ab 1867 wurde von den Freikonservativen, einer adelig-bürgerlichen Honoratiorenpartei mitgetragen. Ihre reformerische Orientierung an Realpolitik, an Konstitutionalismus und an der Nation als höchstem Wert mutierte allerdings im Zuge von Bismarcks konservativem Schwenk ab 1876/78 gutenteils zu Status quo Denken und nationalistisch aufgeladenem Kampf gegen Sozialdemokratie und (polnische) Minderheiten. In den 1870er/80er Jahren wurden auch die Herrschaftsverhältnisse auf dem Lande modernisiert. Die ländliche Elite wurde verbreitert und neu definiert; der effektivere Staatsapparat vor Ort sollte zudem konservative Landtagsmehrheiten gewinnen helfen.
    Abschließend wurden Strukturprobleme Preußens im Zeitalter des politischen Massenmarktes erörtert. Einen auch im internationalen Vergleich großen Erfolg bildete die Finanzpolitik Miquels, denn sie hatte neben Staatseinnahmenvermehrung sogar positive verteilungspolitische Effekte für Unterschichten. War hier eine Modernisierungsleistung zu konstatieren, artikulierte man sich um 1910 gegen die zunehmende bürokratische Reglementierung. Der Versuch, Kompetenzen zu dezentralisieren, scheiterte aber an der Tradition des "starken Staates", dem Ressortegoismus der Ministerien und harten (partei-)politischen Fronten. Ähnliche Fronten tauchten in der Debatte zur (innen-) politischen Neuorientierung 1914/18 auf. Einige Wissenschaftler/Publizisten versuchten die reformerischen Tendenzen der Idee Preußen seit 1807 herauszustellen, unterlagen im Krieg aber dem verfestigten Mythos Preußen konservativer Apologeten. Im konfliktreichen Übergang zur Weimarer Republik zeigten führende Beamte doch Lernfähigkeit. Umrisse der republikanischen Wirtschafts- und Sozial-Verfassung waren nämlich schon in kriegszeitlichen Debatten der bürokratischen Spitzen erkennbar. Die Weimarer Verfassung konnte das über zwei Jahrhunderte prekäre Verhältnis Preußens zum Reich nicht im Einheitsstaat auflösen, da die süddeutschen Länder widerstrebten; der ältere föderale Dualismus gewann durch die unterschiedlichen parteipolitischen Koalitionen ab 1921 eine zwar demokratisch legitimierte, aber gleichwohl problematische Färbung.
    Das Kolloquium ließ Wert und Anstoß der Edition der "Acta Borussica. Neue Folge" für die weitere Preußenforschung vielfach deutlich werden, wie es auch die Einbeziehung weiterer Quellen zur inhaltlichen Auswertung nachdrücklich betonte. Die Beiträge werden in einem Tagungsband publiziert.
    Dank der freundlichen Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und der Hermann und Elise geborene Heckmann Wentzel-Stiftung konnte die Tagung im Potsdamer Schloßtheater eröffnet werden und in der, dem wissenschaftlichen Dialog eigens anregenden Atmosphäre von Schloß Blankensee stattfinden.

    Informationen:
    Akademienvorhaben "Protokolle des Preußischen Staatsministeriums (1817-1934/38)"
    Dr. Bärbel Holtz, Tel.: 030/20 37 04 77, e-mail: holtz@bbaw.de
    Dr. Hartwin Spenkuch: 030/20 37 02 09, e-mail: spenkuch@bbaw.de


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Law, Politics, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Research results, Scientific conferences
    German


     

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