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01/04/2001 14:02

Parallelen in der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren und Würmern

Sabine Gerbaulet Science Communication Centre - Abteilung Kommunikation
Technische Universität Darmstadt

    Nature-Paper widerspricht der Lehrbuchmeinung

    Entgegen einer hundert Jahre alten Lehrbuchmeinung der Biologie zeigen neueste Untersuchungen Darmstädter und Heidelberger Forscher, dass beim urzeitlichen gemeinsamen Vorfahr von Wirbeltieren und Würmern Mund und Vorderdarm bereits angelegt waren. Bei beiden Gruppen wird die Embryonalentwicklung des Darms von den gleichen Genen reguliert. Dr. Ulrich Technau, Nachwuchswissenschaftler in der Abteilung für molekulare Zellbiologie der TU Darmstadt sowie Dr. Detlev Arendt und Dr. Jochen Wittbrodt vom international hochrenommierten European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg veröffentlichen ihre Ergebnisse in der heutigen Ausgabe von Nature (Detlev Arendt, Ulrich Technau and Jochen Wittbrodt: Evolution of the bilaterian larval foregut, Nature 409, 4. Februar 2001, S. 81).

    Andere Arbeiten hatten gezeigt, dass dieser Vorfahr vor mehr als 550 Millionen Jahren auch mit einem Nervensystem und einem Ausscheidungsorgan ausgestattet war und somit bereits einen erstaunlichen Komplexitätsgrad hatte. Die Resultate von Technau, Arendt und Wittbrodt stützen diese These, dass so verschiedene Tiergruppen wie Würmer und Wirbeltiere ähnlicher sind als bisher angenommen. Erst vor kurzem hatten in einer ebenfalls bemerkenswerten Arbeit aus der gleichen Abteilung Molekulare Zellbiologie der TUD Prof. Dr. Thomas Holstein und Dr. Bert Hobmayer gezeigt, dass der Süßwasserpolyp Hydra bereits Gene zur Bildung seiner Körperachse einsetzt, die bei Wirbeltieren ebenfalls dazu benutzt werden (Nature 407, 14. September 2000, S. 186). Diese Forschungen zeigen, dass schon die ersten und primitivsten Tiere vor 700 Millionen Jahren über ein ganz ähnliches genetisches Entwicklungsprogramm verfügten wie wir Menschen.

    Seit Charles Darwin seine Theorie zur Evolution des Lebens auf der Erde formuliert hat, sind Forscher davon fasziniert, den Ursprung des Menschen und der Tiere zu rekonstruieren. Dahinter steht die Frage, wie sich tierisches Leben auf der Erde entwickelt hat und wie unsere Vorfahren in der Urzeit aussahen. Fossilien aus der jüngsten Vergangenheit können uns darüber Auskunft geben, wie unsere Vorfahren aussahen und über welche Zwischenstufen sich die Evolution zum Menschen vollzog. Wie aber haben unsere tierischen Vorfahren vor über 550 Millionen Jahren in der vorkambrischen Urzeit ausgesehen, die aufgrund ihrer skelettlosen Beschaffenheit keine Fossilien bilden konnten? Darüber finden sich in den biologischen Lehrbüchern nur Hypothesen, die aus Vergleichen ihrer Körperbaupläne aufgestellt wurden. Eine Überprüfung war bisher allerdings fast nie möglich. Noch weniger vermochte man zu sagen, wie sich unsere ersten Vorfahren denn von der befruchteten Eizelle bis zum ausgewachsenen Organismus entwickelt hatten.

    Das erste Organ, dass sich in den Larven primitiver Organismen gewöhnlich bildet, ist der Darm, der durch eine Einstülpung, den Urmund, des noch hohlkugelförmigen Embryos angelegt wird. Gerade aufgrund der unterschiedlichen Entstehung des Darms werden die meisten heute lebenden Tiere in zwei große Gruppen unterteilt: solche, wie die Würmer und Insekten (Protostomia), die aus ihrem Urmund (Blastoporus) auch den späteren Mund entwickeln und solche wie die Menschen, Wirbeltiere und Seeigel (Deuterostomia), die ihren Urmund zum After entwickeln und den eigentlichen Mund dafür an anderer Stelle neu anlegen. In den Lehrbüchern findet sich deshalb bis heute die Auffassung, dass der Mund und Vorderdarm beim Menschen und bei den Insekten in der Evolution jeweils unabhängig entstanden ist.

    Technau, Arendt, Wittbrodt haben nun das sogenannte Brachyury-Gen, das die Embryonalentwicklung reguliert, im Ringelwurm Platynereis dumerilii, einem Protostomier, identifiziert. Es ist im Urmund des frühen Embryos und im weiteren Verlauf auch während der Bildung des Vorder- und Enddarms aktiviert.

    Dies war für die Forscher eine große Überraschung, da das gleiche Gen in den Larven von Seesternen, die zu den Deuterostomia gehören, im Vorder- und Enddarm aktiviert war. Damit war die Hypothese geboren, dass der Darm in der Wurm- und der Seeigellarve auf gleiche Weise gebildet wird, was sich am besten dadurch erklären lässt, dass im gemeinsamen Vorfahr in der Urzeit ebenfalls der Darm auf diese Weise gebildet wurde. Zusätzliche Untersuchungen mit zwei weiteren regulatorischen Genen, die an der Ausprägung des Mundbereichs in beiden Organismen beteiligt sind, bestätigten die Hypothese, dass auch Mund und Vorderdarm in Larven des gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Insekten bereits angelegt waren.

    Die Arbeiten von Arendt, Technau und Wittbrodt haben offenbart, dass sich durch den Genvergleich zwischen heute lebenden Organismen die Evolution bis weit in die Urzeit rekonstruieren lässt. Ulrich Technau fand das Brachyury-Gen sogar in dem noch primitiveren Polypen Hydra, der einen blind endenden Darm und deshalb nur einen Urmund besitzt, der zugleich After ist. Auch hier ist Brachyury im Urmund aktiviert, was bestätigt, dass Mund und After der höheren Tiere aus ein und derselben Struktur, nämlich des Urmundes hervorgegangen sind.

    Dr. Ulrich Technau ist Leiter einer Nachwuchsgruppe in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Holstein, Molekulare Zellbiologie, Institut für Zoologie, TU Darmstadt. Sein Arbeitsgebiet ist die Evolution von Entwicklungsmechanismen, dem Ursprung des dritten Keimblatts (Mesoderm) sowie des Nervensystems bei der Embryonalentwicklung. Dr. Detlev Arendt ist Wissenschaftler (Postdoc) in der Nachwuchsgruppe von Dr. Jochen Wittbrodt am internationalen Forschungsinstitut EMBL in Heidelberg.

    Kontakt: Dr. Ulrich Technau, Molekulare Zellbiologie, Fachbereich Biologie der TUD, Tel.: 06151/16-6244 oder -4805, Fax: -6077, e-mail: technau@bio.tu-darmstadt.de

    he, den 4.1.2001, PM Nr. 05/01/2001


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology
    transregional, national
    Research results
    German


     

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