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01/26/2001 11:09

"Bei der Schwester schwören"

Cornelia Glees-zur Bonsen Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    Die herausragende Stellung der Frau bei den Völkern der Great Zimbabwe-Region

    Das Volk der Lobedu hält einen Rekord: Nirgendwo sonst in Afrika sind so viele weibliche Dorf- und Bezirksoberhäupter anzutreffen. Lobedu-Frauen können nicht nur politische und kultische Ämter besetzen, sondern diese auch an ihre weiblichen Nachkommen weitergeben. Zudem besitzen sie volle Kontrolle über Güter, die sie nach der Heirat erworben haben und können damit sogar andere Frauen heiraten. Deren Kinder nehmen sie als ihre eigenen an.

    "Den Königinnen wird die Aura der sakralen Herrschaft zugeschrieben", berichtet die Ethnologin Kunigunde Böhmer-Bauer. "Die Herrscherinnen stehen allgemein im Ruf, die mächtigsten Regenmacher Südostafrikas zu sein." Böhmer-Bauer beschäftigte sich im Rahmen ihrer Promotion mit den Ruinen der Great Zimbabwe-Region und den damit zusammenhängenden Kulturen, den Shona, Venda und Lobedu. Great Zimbabwe ist die wohl berühmteste archäologische Stätte im südlichen Afrika. Die von der UNESCO in den Rang eines Weltkulturerbes erhobenen Maueranlagen sind nach den ägyptischen Pyramiden die größte Ansammlung traditioneller Steinmonumente Afrikas. Vorfahren des heutigen Shona-Volkes sollen die Anlagen ab dem Ende des 13. Jahrhunderts errichtet haben.


    Diese Erkenntnis setzte sich unter europäischen Forschern aber nur sehr langsam durch. Lange galt es als unmöglich, dass Schwarzafrikaner die beeindruckenden Anlagen erbaut haben konnten. Getrieben von derartigen Vorurteilen suchten westliche Hobbyarchäologen im vorigen Jahrhundert auf dem ausgedehnten Grabungsfeld nach Schichten, die auf nicht-afrikanische Baumeister hinwiesen. Dabei zerstörten sie unwiederbringlich viel wertvolles Material.

    Doch nicht nur die Theorien zu den Ruinen von Great Zimbabwe waren lange von den Vorurteilen europäischer Wissenschaftler geprägt. "Mir fiel auf, dass es zwar viele Interpretationen zur Entstehung und Bedeutung der Anlagen gab", berichtet Böhmer-Bauer. "Die Kulturen der Region waren aber nur sehr lückenhaft untersucht, wobei die herausragende politische und kultische Stellung bestimmter Frauen komplett unterschätzt oder ignoriert wurde. Der eigene kulturelle Hintergrund trübte oft den Blick der Forscher."

    Für ihre eigene, insgesamt über sieben Jahre laufende Untersuchung, zog Böhmer-Bauer zahlreiche Objekte und Grabungsberichte aus Great Zimbabwe, portugiesische Berichte ab dem 16. Jahrhundert, frühe Entdeckungs- und Grabungsberichte ab 1871 sowie ethnologische Arbeiten und orale Traditionen, die größtenteils im 19. und 20. Jahrhundert verfasst bzw. gesammelt wurden, heran. Zudem verbrachte die Ethnologin etwa sechs Wochen vor Ort in Zimbabwe und eine Woche in Südafrika.

    "Bei allen Völkern, die mit der Great Zimbabwe-Kultur zusammenhängen, nahmen Frauen hohe Positionen in Kult und Politik ein und tun das zum Teil immer noch", berichtet Böhmer-Bauer. "Beispielsweise oblag bei den Shona im 16. Jahrhundert den königlichen Frauen die Wahl des neuen Herrschers; in den späteren Jahrhunderten hatten sie immerhin noch ein wichtiges Mitbestimmungrecht. Bis heute übernehmen sie wichtige Funktionen im Ahnenkult." Dabei werden auch zuerst die weiblichen Vorfahren angefleht; und Angehörige des Shona- sowie des Venda-Volkes schwören "bei der Schwester".

    Besonders herausragende Positionen nehmen oft auch innerhalb der Familien die älteren Schwestern der Männer ein. Dies liegt unter anderem daran, dass der für sie entrichtete Brautpreis Rinder in die Familie bringt. Diese Tiere wiederum ermöglichen dem Bruder eine Heirat. Das hohe Ansehen dieser Frauen zeigt sich unter anderem darin, dass sie bei der Fleischverteilung zuerst bedient werden und das beste Stück bekommen.


    Seit langem ist bei all den untersuchten üdostafrikanischen Völkern eine schleichende Schwächung der weiblichen Autorität zu beobachten: Im Lauf der Jahrhunderte standen Frauen zunehmend weniger hohe Positionen zur Verfügung, wobei manche mit der Zeit von Männern besetzt wurden, die dann auch weibliche Amtstitel trugen. Ein Prozeß, den Missionierung und christliche Erziehung beschleunigt und verstärkt haben.

    Der Eurozentrismus und die Vorurteile früherer Forschergenerationen ist noch heute ein schweres Erbe für die Wissenschaft: "Die Zusammenarbeit mit den afrikanischen Archäologen war besonders spannend, weil sie gegenüber westlichen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mit Recht sehr kritisch eingestellt sind", so Böhmer-Bauer. "Nach einer offenen Aussprache zu den Vorbehalten der afrikanischen Kollegen mir gegenüber waren aber alle ausgesprochen hilfsbereit. Ich durfte sogar spontan ein Forscherteam zu Restaurierungsarbeiten an Ruinen in den afrikanische Busch begleiten." Keine Selbstverständlichkeit, denn der genaue Forschungsplan muss vor Antritt der Forschungen von den Mitarbeitern der "National Museums and Monuments" von Zimbabwe genehmigt sein.

    Kunigunde Böhmer-Bauer legt mir ihrer Arbeit die erste umfassende Untersuchung zu den Zimbabwe-Ruinen und den damit zusammenhängenden Kulturen vor, die historische, ethnologische und archäologische Gesichtspunkten gleichermaßen berücksichtigt. Die wichtige Rolle der aristokratischen Frauen in Südostafrika ist einer der ethnologischen Schwerpunkte. Doch es liegt keine feministische Themenstellung zugrunde, vielmehr wird das Zusammenspiel der männlichen und weiblichen Geschichte betrachtet.

    Böhmer-Bauers Arbeit wurde 18 Monate lang von der damaligen Frauenbeauftragten der Ludwig-Maximilians-Universität, Frau Hadumoud Bussmann, gefördert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG übernahm die Herstellungskosten der Dissertation in Höhe von knapp 10 000 Mark. Die Arbeit ist in der Reihe "Studien zur Kulturkunde" im Rüdiger Köppe Verlag, Frankfurt, unter dem Titel "Great Zimbabwe eine ethnologische Untersuchung", Band 115, erschienen.


    Ansprechpartnerin:

    Dr. phil. Kunigunde Böhmer-Bauer, Ethnologin
    Tel. + Fax: 089 544 566 78
    mail: boehmer-bauer@t-online.de


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    Criteria of this press release:
    Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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