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10/06/1997 00:00

Soziologie als Sozialpolitik

Dr. Gerhard Trott Medien und News
Universität Bielefeld

    Pressemitteilung Nr. 75/1997 vom 1.10.1997

    Soziologie als Sozialpolitik Festveranstaltung für Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, einer der "Gründungsväter" der Bielefelder Soziologie

    Aus Anlaß der Emeritierung von Franz-Xaver Kaufmann, Professor für Sozialpolitik und Soziologie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, findet ein wissenschaftliches Festkolloquium zum Thema "Soziologie und Sozialpolitik" statt.

    Am 9. Oktober werden ab 11.00 Uhr im Zentrum für interdisziplinäre Forschung namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die aktuellen sozialpolitischen Herausforderungen aufgreifen und kritisch hinterfragen, ob und in welchem Maße die Wissenschaft und insbesondere die Soziologie sich diesen Herausforderungen zu stellen bereit ist. Hierzu hat auch die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth einen Beitrag angekündigt.

    Für den Wissenschaftler Kaufmann wird die Emeritierung nur eine formale Zäsur sein. Die damit verbundene Befreiung von akademischen Pflichten bedeutet keineswegs, daß er sich der Wissenschaft entzieht eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Seine "Auftragsbücher" sind noch für eine Reihe von Jahren gefüllt, und die Studierenden wird es freuen auch der Lehre wird er bei Bedarf noch einige Zeit zur Verfügung stehen.

    Am 22. August dieses Jahres feierte Franz-Xaver Kaufmann seinen 65. Geburtstag. Damit ist nun der letzte der Hochschullehrer, die vor 28 Jahren die Fakultät für Soziologie gegründet haben, von seinen akademischen Pflichten entbunden. In fast drei Jahzehnten wissenschaftlicher Arbeit in Bielefeld hat er die Fakultät in Lehre, Forschung und Selbstverwaltung prägend mitgestaltet. Darüber hinaus hat er auch anderen Einrichtungen der Universität Bielefeld bedeutsame Impulse gegeben. U.a. war er zeitweilig Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Forschung, hat mit Unterstützung der Landesregierung das Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik gegründet sowie längere Zeit geleitet und hat sich stark für die Etablierung der Gesundheitswissenschaften in Bielefeld eingesetzt. Seine wissenschaftliche Arbeit als Lehrer und Forscher, sein Wirken in zahlreichen wissenschaftlichen, politikberatenden und kirchlichen Gremien außerhalb Bielefelds und schließlich seine überaus zahlreichen Publikationen haben viel zum Ansehen der Universität und insbesondere der Fakultät für Soziologie beigetragen. Vielfältiges Engagement in Wissenschaft, Politikberatung und Kirche ist zwar mit erheblichem Arbeitseinsatz verbunden, doch wenn es erfolgreich war, bleiben Anerkennungen und Ehrungen nicht aus: so u.a. zwei "Ehrendoktorhüte" und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Der Lehrstuhl "Sozialpolitik und Soziologie" drückte in den zurückliegenden Jahren für Franz-Xaver Kaufmann nicht etwa eine Zuständigkeit für zwei unterschiedliche Fächer aus die Verknüpfung von Soziologie und Sozialpolitik war sein Programm. So hat Kaufmann immer wieder Themen des Alltagslebens in Lehre und Forschung aufgegriffen, wie z.B. das Interesse von Paaren an Kindern, die Erziehung in der Familie, das miteinander Auskommen der Eheleute, der Umgang von Verwaltungen mit ihrem Publikum und ihre Bürgernähe, der Alltag von Familien mit behinderten Kindern. Dabei ging es ihm zunächst darum, mit den Mitteln der empirischen Forschung und der theoretischen Analyse verstehbar zu machen, was da um uns vor sich geht. Wie kann z. B. erklärt werden, daß immer weniger Kinder geboren werden, Erziehung und partnerschaftliches Zusammenleben in den Familien immer schwieriger wird, die Kirchenbindungen nachlassen und Politik und Verwaltung häufig so bürgerfern oder ineffektiv sind? Darüber hinaus sah er sich aber auch herausgefordert, nach Wegen zu suchen, mit den erkennbaren Problemen politisch vernünftig umzugehen oder die Art, wie Politik und Verwaltung mit erkannten Problemen umgehen, auf ihren tatsächlichen 'Erfolg' oder 'Nutzen' hin zu hinterfragen. Wie kann und soll insbesondere die Sozialpolitik auf die Probleme unseres Alltages reagieren, wenn sie die gesellschaftlichen Ziele erreichen will, denen sie sich verpflichtet weiß: soziale Sicherheit, individuelle Wohlfahrt, soziale Gerechtigkeit? In Kaufmann trifft man dabei auf einen Soziologen, der in diesem Wertebezug der Gesellschaft nicht nur eine unerläßliche Grundvoraussetzung gesellschaftlichen Zusammenlebens sieht, sondern auch eine Herausforderung für die Soziologie, durch wissenschaftliche Forschung die Chancen der Politik zu verbessern, diesen Wertideen näherungsweise gerecht zu werden. Diese Art der wissenschaftlichen Herangehensweise kennzeichnet Kaufmanns umfangreiche Forschungsaktivitäten, mit denen er auch das Bild der Bielefelder Forschungslandschaft entscheidend prägte. Er gründete die Projektgruppen "Verwaltung und Publikum" und "Wirkungsanalysen der Sozialpolitik", die unter seiner Leitung politikbezogene Forschungsfragen aufgriffen. Er initierte und koordinierte bzw. leitete den Forschungsverbund "Bürgernahe Gestaltung der sozialen Umwelt", das Schwerpunktprogramm "Gesellschaftliche Bedingungen sozialpolitischer Intervention" der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie die internationale Forschergruppe "Steuerung und Erfolgskontrolle im öffentlichen Sektor" im Zentrum für interdisziplinäre Forschung. Er leitete in dem von ihm gegründeten Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik den Forschungsbereich "Sozialpolitik und Familie" und war Mitinitiator und Projektleiter des Sonderforschungsbereichs "Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter". In den letzten Jahren setzte er sich stark für die Etablierung der Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld ein und beteiligte sich am nordrhein-westfälischen Forschungsverbund "Public Health". Von diesem hier keineswegs umfassend dargestellten Engagement in der Forschung zeugen zahlreiche Publikationen, die ihn auch über Deutschland hinaus bekannt gemacht haben. Es gibt zudem eine Seite, die neben dem Wissenschaftler auch den Menschen erkennbar werden läßt: Es ist Kaufmanns Engagement in der katholischen Kirche, das er bei aller soziologischen Erkenntnis über Mängel, vielleicht auch 'Fehlentwicklungen' und Unangepaßtheiten der "Organisation Kirche" (auch Päpste und Kardinäle unterliegen nun mal den Regeln und Zwängen sozialer Systeme!) nie hat aufgeben wollen. Aufgewachsen im bürgerlich katholischen Milieu seiner Schweizer Heimat er ist noch heute "Bürger von Zürich, Solothurn und Matzendorf" wurde er geprägt von traditionellen Überzeugungen, die einen auch bei ihm manchmal spürbaren Hang zu eher "konservativen" Denkweisen nahelegen. Aber bedingt durch seine wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Studien in St. Gallen und Paris und schließlich seine soziologische Profession so läßt sich vermuten ist es ihm offensichtlich gelungen, diese traditionellen Überzeugungen in Spannung zu halten gegenüber kritisch sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, die Wertüberzeugungen und religiöse Bindungen nicht anders behandeln kann als andere soziale Tatbestände auch. Diese Spannung zwischen den traditionsgewachsenen Bindungen und dem professionellen Ethos, dem man sich als Wissenschaftler verpflichtet weiß, nämlich offen zu sein für neue Erkenntnis und, was man zu wissen meint, einer prüfenden Kritik zu unterziehen diese Spannung könnte bewirken, daß uns in Franz-Xaver Kaufmann ein Mensch begegnet, der zu seinen Bindungen steht, aber seine Überzeugungen nicht gegenüber guten Argumenten verschließt. Wer mit ihm diskutiert, spürt daß er gute Argumente schätzt. Umgkehrt läßt er selbst nicht locker, mit guten Argumenten zu überzeugen, und zwar nicht nur in wissenschaftlichen oder politischen Beratergremien, sondern gerade auch in kirchlichen wohl wissend, daß in den letzteren die Bereitschaft zur Anerkennung guter Argumente mitunter unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Aber auch Kirche ist ein Stück Gesellschaft, deren Herausforderung er sich stellt. Immerhin konnte er die Erfahrung machen, daß sein Rat geschätzt wird zuletzt bei der Erarbeitung und Formulierung des gemeinsamen Kirchenwortes zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland.


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