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02/20/2001 08:34

Die Angst vor dem Fremden

Burckhard Wiebe Abteilung Kommunikation
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH

    Die Angst vor dem Fremden

    Zur Fehleinschätzung des Rechtsextremismus in Deutschland

    Berlin (wbs) Das wahre Gesicht des Rechtsextremismus wird zumeist verkannt. Es sind nämlich nicht antisemitische oder neonazistische Bestrebungen, die den Kern des Rechtsextremismus ausmachen. Vielmehr sind einwanderungs- und ausländerpolitische Konflikte die Ursache für rechte Gewalt. Auch die üblichen Bekämpfungsstrategien sind nach einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) verfehlt und wirkungslos. Mit strengeren Gesetzen ist das Problem ebensowenig zu lösen wie mit Parteiverboten. Gefragt sind Bürgermut und Zivilcourage sowie eine aktive Einwanderungs- und Integrationspolitik.

    Die nationalsozialistische Weltanschauung spielt nur für wenige Anhänger der rechten Szene eine Rolle, und auch nur selten gehören sie einer festen Organisation oder Partei an. Das größere Problem besteht in einer diffusen Fremdenfeindlichkeit, die zu äußerst brutalen Gewaltausbrüchen führt. Im Gegensatz zum ideologisch motivierten Rechtsextremismus haben Aktivitäten mit fremdenfeindlichem Hintergrund seit Anfang der 90er Jahre stark zugenommen. Aufgrund der Fehleinschätzung der Ursachen von rechter Gewalt bleiben die Bekämpfungs- und Lösungsangebote, die in Politik und Öffentlichkeit diskutiert werden, fast wirkungslos.

    Deutschland hat - anders als manchmal behauptet - nicht deshalb ein Problem mit rechter Gewalt, weil die Gesetze und die Justiz nicht streng genug sind. Im Gegenteil: In keinem anderen europäischen Land gibt es so viele Gesetze beispielsweise gegen das Tragen von Kennzeichen verfassungsfeindlicher rechtsextremer Organisationen, gegen den Hitlergruß oder die Leugnung des Holocaust. Und in keinem anderen Land sind derart viele rechtsextreme Organisationen verboten worden.

    Auch kann man Rechtsextremismus nicht mit gesellschaftlichen Krisenerscheinungen wie Arbeitslosigkeit oder sozialem Wandel erklären. Obwohl der historische Zusammenhang zwischen der großen Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und dem Aufstieg der Nationalsozialisten dieser Aussage eine gewisse Glaubwürdigkeit verschafft, hat er für die jüngste Welle des Rechtsextremismus keine Bestätigung gefunden. Rechte Gewalttäter haben zwar mehrheitlich ein niedriges Bildungsniveau, sie sind aber nicht öfter als ihre nicht-rechtsextremen Altersgenossen arbeitslos, auch stammen sie nicht überdurchschnittlich oft aus zerrütteten Familien. Weder im Zeitverlauf noch im regionalen Vergleich findet sich ein Zusammenhang zwischen rechtsextremer Gewalt und Wirtschaftslage.

    Wirkungsvolle Lösungsstrategien könnten darin bestehen, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken. Gerade in Ostdeutschland trauen sich zu wenige Menschen, gegen rechte Gewalt Stellung zu beziehen und sich für mehr Toleranz einzusetzen. Der WZB-Wissenschaftler Ruud Koopmans erklärt dies mit der jahrzehntelangen Unterdrückung jeglichen Bürgerengagements in der DDR. Während in Westdeutschland zwischen 1990 und 1999 die Zahl der Demonstrationen gegen rechte Gewalt deutlich größer war als die Zahl der rechtsextremen Aktionen, ist das Bild in Ostdeutschland genau umgekehrt. Hier ereigneten sich dreimal so viele rechtsextreme Gewalttaten wie Gegendemonstrationen.

    Wer Rechtsextremismus wirksam bekämpfen will, muß sich klar machen, daß es sich dabei vor allem um ein Problem der Fremdenfeindlichkeit handelt. Neben der Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements empfiehlt der WZB-Wissenschaftler eine kulturell-pluralistische Integrationspolitik. Die jüngste Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts ist deshalb ein wichtiger Schritt zum Abbau fremdenfeindlichen Potentials. Allerdings lehrt der internationale Vergleich, daß es damit allein nicht getan ist. Es stellt sich nämlich die Frage, wie mit Einwanderung und den daraus folgenden kulturellen Unterschieden innerhalb einer Gesellschaft umzugehen ist. Die Diskussion um die "deutsche Leitkultur" zeigt, daß dieses Thema nun auch auf die deutsche politische Agenda gelangt ist.

    Die Erfahrung von Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden unterstreicht, daß eine Integrationspolitik, die auf "verfassungsrechtlich begrenztem Pluralismus" beruht, für die Bekämpfung ethnischer Konflikte am meisten Erfolg verspricht. Dabei geht es einerseits um Toleranz und Respekt gegenüber kulturellen Unterschieden, andererseits wird den Zuwanderern abverlangt, daß sie die liberalen Rechtsgrundsätze der demokratischen Gesellschaft achten und auf die Mehrheitsgesellschaft zugehen. Eine politische Aufgabe in diesem Zusammenhang ist es, Mittel für Integrations- und Sprachkurse bereitzustellen.

    Weitere Informationen: Dr. Ruud Koopmans (WZB),
    Tel.: 030/ 25 49 13 07
    Mobil: 0 171-1 75 40 99
    E-Mail: ruud@medea.wz-berlin.de

    Ruud Koopmans, "Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit als einwanderungs- und ausländerpolitisches Problem", in: Andrea Grimm (Hg.), Rechtsextremismus - Bestandsaufnahme, gesellschaftliche und politische Folgerungen. Loccum: Evangelische Akademie 2000, S. 9-27


    More information:

    http://www.wz-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Law, Politics, Psychology, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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