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07/01/1997 00:00

15 Thesen der Universitätskanzler

Dr. Elisabeth Zuber-Knost Presse und Kommunikation
Universität Karlsruhe (TH) - Forschungsuniversität.gegründet 1825

    Nr. 061 / 27. Juni 1997 / sho

    15 Thesen der Universitaetskanzler:

    Votum fuer kollegiale Leitungsstrukturen an den Hochschulen

    Mit 15 Thesen zu zeitgerechten Leitungs- und Verwaltungsstrukturen fuer Universitaeten nehmen die deutschen Universitaetskanzler zu zentralen Fragen der Hochschulreform Stellung.

    Die aktuelle Entwicklung der Universitaeten sei heute durch Globalhaushalte, leistungsorientierte Mittelzuweisung, Leistungsvergleiche und Evaluationen gepraegt. Bei dieser Anpassung der Universitaet an die heutigen politischen, gesellschaftlichen, oekonomischen und technologischen Umfeldaenderungen duerfe jedoch nicht vergessen werden, dass Universitaeten weder gewinnorientierte Kapitalgesellschaften noch Verwaltungsbehoerden sind. Eine Uebernahme betriebswirtschaftlicher und hierarchischer Fuehrungskonzepte sei daher nur mit deutlichen, dem Wissenschaftsbetrieb angemessenen Modifikationen moeglich.

    Mit ihren 15 Thesen wollen die Universitaetskanzler vor Fehlentwicklungen in der derzeit kontroversen hochschulpolitischen Diskussion warnen. Nur in einer kollegialen Hochschulleitung koennten sich die pluralistischen, integrativen und wissenschaftsfreundlichen Strukturen entfalten, die fuer eine Universitaet kennzeichnend sind. Der Sprecher der Universitaetskanzler, Dr. Gerhard Selmayr von der Universitaet Karlsruhe (TH), unterstreicht die Ablehnung von Leitungsstrukturen an der Universitaet, die auf eine einzige Person konzentriert sind, mit einer Absage an das von zahlreichen Politikern favorisierte Modell des ,amerikanischen Dean". Der Dynamik und Komplexitaet des Wissenschaftsbetriebs einer Universitaet sei nur ein kollegiales Leitungsgremium angemessen, in dem alle Mitglieder gemeinsam fuer das gesamte Interesse der Universitaet verantwortlich sind.

    Die Kanzler-Thesen, die am 9.6.97 einstimmig vom Sprecherkreis der Universitaetskanzler verabschiedet wurden, fordern einerseits die Aufrechterhaltung der Funktion des Senats der Universitaet in seiner Eigenschaft als Forum zur Eroerterung grundlegender gesamtuniversitaerer Angelegenheiten, die der Schaffung von Transparenz, Vertrauen und Akzeptanz in der Universitaet dienen. Sie lehnen andererseits die Einfuehrung des von der Politik geforderten Hochschulrates ab, gegen dessen Funktionen, soweit sie die Beratung ueberschreiten, aus ihrer Sicht erhebliche Bedenken bestehen. Die Universitaetskanzler begruessen die Tendenzen der derzeitigen Hochschulgesetzgebung zur Staerkung der Autonomie der Universitaet, sehen diese jedoch weiterhin erheblich beeintraechtigt durch weitgehende ministerielle Eingriffsrechte, staatliche Buerokratie und unertraegliche Regelungsdichte. Diese seien nachhaltig abzubauen.

    Die 15 Thesen der Universitaetskanzler zu zeitgerechten Leitungs- und Verwaltungsstrukturen fuer Universitaeten sind als Anlage beigefuegt.

    Anlage

    Universitaetskanzler der Bundesrepublik Deutschland:

    15 Thesen zu zeitgerechten Leitungs- und Verwaltungsstrukturen fuer Universitaeten

    - ein Diskussionsbeitrag zur Struktur der zentralen Leitungsebene -

    Diese Thesen sind auf der Grundlage einer Stellungnahme des Kanzlerarbeitskreises Qualitaet und Effizienz der Hochschulverwaltung erarbeitet und - nach Abstimmung mit den Universitaetskanzlerinnen und -kanzlern auf Laenderebene - am 9. Juni 1997 vom Sprecherkreis der Kanzler verabschiedet worden.

    Praeambel

    Struktur und Aufgabenspektrum der Universitaet werden von den politischen, gesell- schaftlichen, oekonomischen und technologischen Umfeldveraenderungen beeinflusst. Diese spiegeln sich heute fuer Universitaetsleitung und Universitaetsverwaltung in der Entwicklung zum Globalhaushalt, den Tendenzen zur leistungs- und belastungsorientierten Ressourcenverteilung wider sowie in den Forderungen nach staerkerer Rechenschaftslegung, groesserer Transparenz und vermehrter Evaluation.

    Vor diesem Hintergrund bringen die Universitaetskanzler in die Diskussion ueber eine zeitgerechte Anpassung und sachgerechte Veraenderung der Leitungs-, Verantwortungs- und Verwaltungsstrukturen der Universitaeten folgende Thesen ein:

    These 1 Konzeptionen fuer Leitungs- und Verwaltungsstrukturen der Universitaet muessen das Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit und der Not- wendigkeit zu betriebswirtschaftlich fundiertem Handeln beruecksichtigen. Hierbei ist insbesondere das Problem der Quantifizierung und oekonomischen Bewertung wissenschaftlicher und didaktischer Leistungen zu loesen.

    These 2 Der Schwerpunkt der Aufgaben der Universitaetsleitung liegt in der Wahrnehmung eines wissenschaftsadaequaten Ressourcenmanagements, einer faecheruebergreifenden Koordination, einer gesellschaftsgerechten institutionellen Weiterentwicklung und einer integrationsstiftenden Fuehrung der Universitaet. Hierzu gehoert insbesondere der Anstoss zu inneruniversitaerer Kommunikation und Kooperation.

    These 3 Leitungseffektivitaet in der Universitaet setzt wissenschaftsfreundliche, leistungsorientierte Rahmenbedingungen voraus. Dies beinhaltet die Forderung, ministerielle Eingriffsrechte, Buerokratie und Regelungsdichte nachhaltig abzubauen, Entscheidungsverfahren zu beschleunigen und Leistungstransparenz sowie Anreizsysteme zur Foerderung wissenschaftlich und didaktisch exzellenter Leistungen zu schaffen.

    These 4 Weil Universitaeten weder mit gewinnorientierten Kapitalgesellschaften noch mit einer Verwaltungsbehoerde zu vergleichen sind, ist eine Rezeption betriebswirtschaftlicher und hierarchischer Fuehrungskonzepte nur mit deutlichen, dem Wissenschaftsbetrieb angemessenen Modifikationen moeglich. Die Aufgaben in Forschung und Lehre sind so differenziert, dass sich hieraus Begrenzungen fuer eine zentrale Steuerung ergeben.

    These 5 Die eine Universitaet kennzeichnenden pluralistischen, integrativen und wissen- schaftsfreundlichen Strukturen koennen ihre Potentiale nur in kollegialen Leitungsfor- men entfalten. Die ausdrueckliche Empfehlung einer kollegialen Universitaetsleitung durch die 1984 zur Vorbereitung der HRG-Novelle eingerichtete Expertenkommis- sion ist angesichts der Komplexitaet und Dynamik des Wissenschaftsbetriebs heute aktueller denn je; sie bleibt in der Sache auch dann relevant, wenn sich der Bundes- gesetzgeber zu einer Streichung der HRG-Vorschriften zur Leitungsorganisation der Universitaet entschliessen sollte.

    These 6 In einem kollegialen Leitungsgremium sind alle Mitglieder gemeinsam fuer das Ge- samtinteresse der Universitaet und die aktive Wahrnehmung der Koordinationsfunk- tion verantwortlich. Die Verankerung monokratischer Elemente in Form einer Richtlinienkompetenz fuer den Rektor/Praesidenten laeuft der Funktionsweise eines Kollegialorgans in der Universitaet als einer wissenschaftlichen Institution zuwider. Der herausgehobenen Position des Rektors/Praesidenten kann dadurch Rechnung getragen werden, dass seine Stimme in einer Patt-Situation innerhalb des Kollegialorgans ausschlaggebend ist.

    These 7 Innerhalb der kollegialen Leitung sind die Aufgaben nach der Sachkompetenz der Leitungsmitglieder insbesondere fuer Studium und Lehre, fuer Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, fuer Entwicklungsplanung und Evaluation sowie fuer Wirtschafts-, Rechts-, Personal- und Verwaltungsangelegenheiten zuzuordnen. In dem Aufgabenbereich, der den Mitgliedern der kollegialen Leitung zugeordnet ist, sind sie an Grundsatzentscheidungen des Leitungsorgans gebunden, soweit keine abweichenden Regelungen bestehen.

    These 8 Nach Ausbildung, Berufserfahrung und Berufungskriterien hat der Kanzler die Sach- kompetenz zur Leitung der Universitaetsverwaltung. Die Mitglieder der Universitaetsleitung werden im Rahmen ihrer Aufgabenzuordnung von den Fachabteilungen und Mitarbeitern der Universitaetsverwaltung unterstuetzt.

    These 9 Die Fuelle, Heterogenitaet und Komplexitaet der Aufgaben der Universitaetsleitung stellt besondere Anforderungen an die persoenliche und fachliche Kompetenz der Mitglieder der Universitaetsleitung. Voraussetzungen fuer die verantwortliche Wahrnehmung der Leitungsfunktion sind Fuehrungs- und Sozialkompetenz, Kooperationsbereitschaft und Integrationsfaehigkeit. Fuer die professoralen Mitglieder der Universitaetsleitung ist aus Gruenden der Akzeptanz die wissenschaftliche Reputation von hoher Bedeutung. Die Funktion eines Prorektors/Vizepraesidenten sollte fakultativ auch hauptamtlich ausgeuebt werden koennen.

    These 10 Die Mitglieder der Universitaetsleitung werden fuer die Wahrnehmung ihrer Aufgaben von der Universitaet durch Wahl, von der Landesregierung durch Bestellung legitimiert. Die legislative Entscheidung ueber die jeweilige Amtsdauer der Mitglieder der Universitaetsleitung sollte den Bedarf an Kontinuitaet und Professionalitaet der Amtsausuebung, die Entwicklung der Spitzenaemter in der oeffentlichen Verwaltung sowie die korporationsrechtlich gebotene Erneuerung der Legitimation durch Befristung der Aemter und Wiederwahl beruecksichtigen.

    Um geeignete Persoenlichkeiten fuer die Universitaetsleitung gewinnen zu koennen, ist eine dem Anforderungsprofil, der Bedeutung und der Befristung des Amtes ange- messene Besoldung unabdingbar. Soweit Leitungsaemter befristet uebertragen sind, ist die Berufsperspektive bzw. die Versorgung bei Ausscheiden aus dem Amt sachgerecht zu regeln.

    These 11 Dem Senat der Universitaet kommt neben seiner legislativen Aufgabe die besondere Funktion eines Forums zur Eroerterung grundlegender gesamtuniversitaerer Angelegenheiten zu. Damit dient er der Schaffung von Transparenz, Vertrauen und Akzeptanz.

    These 12 Ein Hochschulrat, der die Funktion eines Beratungsorgans fuer die Universitaetsleitung wahrnimmt, kann fuer die Universitaet wertvolle Impulse geben, wenn er mit kompetenten Vertretern der Wissenschaft, aus der Wirtschaft, aus Verbaenden und der Region besetzt ist. Gegen einen Hochschulrat mit umfassenden Kompetenzen oder einem Letztentscheidungsrecht bestehen erhebliche wissenschaftspolitische und verfassungsrechtliche Bedenken.

    These 13 Zwischen der Leitungsstruktur und der Ausgestaltung der Verwaltung der Universitaet besteht ein enger Zusammenhang. Die fuer die Universitaetsleitung geltende Erkenntnis, dass sich Aufgaben des Wissenschaftsbetriebes nur in einer kollegialen Leitungsstruktur bewaeltigen lassen, hat Ausstrahlungseffekte auf die Funktionsweise der Universitaetsverwaltung. Aufgabe des Kanzlers ist es, den in ei- nem kollegialen Leitungsorgan gelebten Teamgedanken in die Universitaetsverwal- tung zu tragen.

    These 14 Die Gewaehrleistung des Rechtmaessigkeitsprinzips gehoert ebenso wie Planung und Service zu den Aufgaben einer zeitgemaessen, auch betriebswirtschaftlichen Grundsaetzen verpflichteten Universitaetsverwaltung, die die vielfaeltigen Umfeldveraenderungen beruecksichtigt und sich als Leistungsverwaltung versteht.

    These 15 Angesichts der Fuelle und Kompliziertheit der gesetzlichen Bestimmungen, die auf die Universitaet einwirken, bleibt die sachadaequate Rechtsanwendung weiterhin eine wichtige Aufgabe der Universitaetsverwaltung. Deren spezifische Kompetenz liegt darin, die Wissenschaftler von der Auseinandersetzung mit gesetzlichen und administrativen Bestimmungen zu entlasten.


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    German


     

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