Jena (05.04.01) Ganz schön haarig: Das Phyletische Museum der Uni Jena zeigt ab morgen (6.04.) bis zum 31. Oktober eine Sonderausstellung zur "Natur- und Kulturgeschichte des Haares". - Und eröffnet dabei ungewöhnliche Perspektiven auf ein alltägliches Phänomen, vom spätantiken Steckkamm bis zur postmodern-subkulturlalen Irokesenbürste, vom borstigen Haarkleid der gemeinen Wildsau bis zur unappetitlich-fressgierigen Kleidermotte.
"Haare haben alle Säugetiere", weiß der Zoologe und Museumsdirektor Prof. Dr. Martin S. Fischer, selbst gepflegter Kurzhaarträger, "aber nur wir Menschen veranstalten einen regelrechten Kult um diese - buchstäblich - dermatologischen Auswüchse." Dabei spielt für den Homo sapiens als "nackten Affen" der eigentliche Zweck der Haare nur noch eine nachgeordnete Rolle. "Thermoregulation" nennt den der Fachmann - Fell wärmt.
"In der Stammgruppe der Säugetiere gibt es Haare vermutlich seit rund 220 Millionen Jahren", berichtet Fischer. "Rein biologisch handelt es sich um tote, verhornte Zellen, die hauptsächlich aus Keratin, einem langkettigen Eiweiß, bestehen." Wachsen können sie nur im Haarwurzelbereich, der mit dem Haarbalg taschenförmig in die Unterhaut eingebettet ist. Dort bringen winzige Muskeln auch zuweilen Bewegung in die natürliche Tracht: Haare können regelrecht zu Berge stehen, wenn es kalt ist, aber auch dann, wenn uns ein Angstschauder überläuft: "Aufgestellte Haare wirken imposanter, aber als Drohgebärde, als Abwehrreaktion ist dieser Reflex bei uns nur noch ein Überbleibsel aus tierischer Vorzeit", erklärt Evolutionsbiologe Fischer. Auch zur Tarnung - wie das bunt gestreifte Tigerfell - dient das Haar im Tierreich.
Wo es organisches Material zu verwerten gilt, sind allerdings auch Parasiten nicht weit. Mit Läusen, Haarbalgmilben und Haarlingen kommt der zivilisierte Mitteleuropäer zwar seltener in (unangenehme) Berührung, auf Kleidermotten hingegen ist er noch häufiger ärgerlich. Denn die interessieren sich ebenfalls bloß für tierisches Naturhaar - am liebsten Prädikat "reine Schurwolle" - und lassen die Synthetics hängen.
Kopfhaare hat der Mensch schon als Fetus im Mutterleib, zumindest als unpigmentierten Flaum, der später ausgeht und durch einen - bei Männern fast - lebenslangen Schopf ersetzt wird. Kultstatus hatte der natürliche Kopfschmuck seit jeher, ein volles Haar gilt als mythisches Symbol für Kraft. Man denke nur an den biblischen Simson oder an die unangenehme Praxis mancher Indianerstämme, ihre Gegner zu skalpieren. Aber auch die stilisierte (Echthaar-)Perücke englischer Richter vermitteln Würde und Amtsgewalt.
Im Alltag ist ein ganzer Berufszweig um die Pflege der Haartracht bemüht. Friseure avancieren mitunter zu Künstlern, kämmen, schneiden, waschen, tönen, ondulieren seit Jahrhunderten. Heute werden Haarpflegemittel und -kosmetika wird wissenschaftlicher Akribie hergestellt, weshalb die Wella AG die Jenaer Ausstellung auch tatkräftig unterstützt. "Jeder kann sich ein umfassendes Bild davon machen, wie groß die Bandbreite wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Voraussetzungen ist, um innovative Produkte der Marke Wella zu entwickeln", meint Dr. Thomas Clausen, der Leiter Forschung und Entwicklung des Unternehmens.
Schon im Altertum und selbst in archaischen Kulturen bediente man sich - vergleichsweise einfacherer - Hilfsmittel, um Haare zu frisieren und zu schmücken. Abbildungen auf originalen griechischen Vasen und afrikanische Plastiken belegen dies in der Ausstellung. In der Biedermeierzeit dienten Haarlocken als Andenken an geliebte Mitmenschen, heutigen Rechtsmedizinern liefern sie hingegen ganz unromantische Hinweise bei der detektivischen Spürarbeit. Im Thüringer Eichsfeld gar gibt es eine jahrhundertelange - und heute wiederbelebte - Tradition, aus gedrehten Haaren Schmuckstücke und kleine Kunstwerke anzufertigen.
Die Gestaltung der Jenaer Ausstellung trägt die Handschrift des Biologen Dr. Hans-Otto Vent, Kustos im Phyletischen Museum, und der Jenaer Kulturhistorikerin Dr. Barbara Happe. Studenten der Biologie und der Volkskunde/Kulturgerschichte wurden im Rahmen eines Seminars mit einbezogen.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martin S. Fischer
Lehrstuhl für Spezielle Zoologie und Entwicklungsbiologie, Direktor des Phyletischen Museums an der Uni Jena
Tel.: 03641/949140, Fax: 949142
E-Mail: fischer@pan.zoo.uni-jena.de
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dr. Wolfgang Hirsch
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Fürstengraben 1
D-07743 Jena
Telefon: 03641 · 931030
Telefax: 03641 · 931032
E-Mail: roe@uni-jena.de
Ganz schön borstig: Gerta Puchert, Mitarbeiterin im Phyletischen Museum, legt an das Fell des ausges ...
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Ganz schön mächtig: Dr. Thomas Kipp, Laborleiter Forschung der Wella AG, mit dem vier Meter langen M ...
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Criteria of this press release:
Art / design, Biology, History / archaeology, Information technology, Medicine, Music / theatre, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
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