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05/15/1996 00:00

Eine Postkarte findet nach 73 Jahren den Weg zurück

Jochen Brinkmann Kontaktstelle Schule - Universität
Technische Universität Clausthal

    "Ich bin durch Clausthal gelaufen und konnte nirgends etwas bekommen, weder Brot noch Wurst"

    Eine Postkarte findet nach 73 Jahren den Weg zurück

    Ihr Lieben daheim! Heute kamen Eure Pakete hier an. Der Anzug ist tadellos geraten. Von dem Krawall in Zeitz stand schon in der Zeitun, aber ich war sehr gespannt, als mir Schober erzählte, daß aus Naundorf einer erschossen wäre. Auch Heber, mit dem ich auf "Kamerad" zusammen arbeitete, soll erschossen sein.

    So peinlich mir das auch ist, ich muß schon wieder um Geld schreiben. Glaubt mir, daß ich lieber zu Hause Geld verdienen wollte, als hier auf Eure Kosten zu leben. 2 Millionen kostete das Mittagbrot für vorige und nächste Woche, 1/2 Million bekamen Hintens für das Mittagbrot, 1 Million steht auf der Bank, da die Bank nicht das Konto ganz abheben läßt. 1/2 Million kostete die Braunkohle, auf die ich wahrscheinlich jetzt verzichten muß und für die letzte Million wollte ich mir etwas Wurst, Margarine und Brot kaufen, da alles zu Ende ist. Ich bin ganz Clausthal durchlaufen und konnte nirgends etwas bekommen, weder Brot noch Wurst, noch sonst etwas. Es ist ein Leben hier oben, es ist nicht zu sagen. Die Braunkohle kostet jetzt monatlich eine Million, die ich unmöglich aufbringen kann. Man wird davon ganz gedrückt und niedergeschlagen von den wirtschaftlichen Sorgen, die bei Euch, wie ich weiß, noch viel schlimmer sein werden. Heute abend esse ich den Aufschnitt Brot mit der letzten Margarine und dann ist Schluß. Seitdem die hausschlachtene Wurst alle ist, habe ich nur noch Margarine und die letzten Reste des vorjährigen Pflaumenmus zu essen. Mehre Aktenbogen für die Facharbeiten sowie Zeichenfedern habe ich auch beschaffen müssen.

    Euer Hans

    Johannes Oskar Muhlhaus lebt heute - mit 93 Jahren - in Camborne, Großbritannien. Seine Postkarte schrieb der Bergbaustudent am 25. August 1923. Der Preis für das Porto ist auf ihr vermerkt: 8000. 1926 verläßt Mühlhaus Clausthal-Zellerfeld und tritt seine erste Stelle beiden Siemens-Schuckert-Werken in Berlin an. Zwei Jahre später wurde ihm der Vertrieb elektrischer Kohlenbohrmaschinen in den englischen Kohlerevieren Manchester und Lancashire übertragen. Johannes Mühlhaus heiratet und wird - ein Jahr vor Kriegsausbruch - Associate Member of the Institute of Mining Engineers. Hitlers Krieg unterbricht seine Karriere. Mühlhaus wird interniert und entkommt am 2. Juli 1940 nur knapp dem Tod, als der Dampfer SS Arandora Star" mit 1440 Internierten an Bord auf dem Weg nach Kanada von einer U 47 torpediert wird; 827 Menschen überlebten, 613 ertranken.

    Neben der Jahreszahl 1945 vermerkt sein Sohn Dr. John Muhlhaus: Heimkehr im Juli und meint Großbritannien. 1950 wird Johannes Oskar Mühlhaus britischer Staatsbürger und der Umlaut verschwindet aus seinem Namen. Als Konstrukteur in der elektrotechnischen Abteilung der Climax Rock Drills Ltd in Camborne, Cornwall und später als deren Leiter " hatte Hans viele Gelegenheiten ausländische geschäftliche Reisen zu machen" - schreibt sein Sohn Dr. John Muhlhaus, im britischen Stil nur den Vornamen nennend - und " besuchte Kopenhagen und Stockholm (1953), Paris und Buenos Aires (1955), Moskau, Warschau und Poznan (1961), Lyon (1967), Leipzig, Belgrad (1968)". Nach seiner Pensionierung 1968 arbeitete er bis 1990 freiberuflich fast ganztägig als technischer übersetzer für Russisch, Französisch und Deutsch. Johannes Oskar Muhlhaus erinnert ein Clausthal ohne Feldgrabengelände und erinnert den Assistenten Professor Süchtings Dr. Vierling, bei dem er seinen Abschluß machte. (Professor Süchtings Name schreiben wir heute mit Bindestrich und nennen ein Institut nach ihm.) Eine Enkeltochter oder Großnichte dieses Dr. Vierling ( so genau läßt sich dies im Moment nicht in Erfahrung bringen) studierte in Clausthal Werkstoffwissenschaften; vor ca. sechs Jahren verließ Ulrike Vierling die Universität nach ihrem Examen zu einem Forschungsvorhaben an die Universität Metz.

    Dr. John Muhlhaus wandelte im letzten Jahr auf den Spuren seines Vaters und besuchte die TU Clausthal. Der Universität stellte er die Reproduktionen der Postkarte und alter Photographien zur Verfügung.


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