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03/04/1996 00:00

Georg-Forster Preis

Bernt Armbruster Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Kassel

    Jugendsiedlung Frankenfeld im Hessischen Ried und Frauensiedlung Schwarze Erde in der Rhoen.

    Projekte der Sozialreform in Hessen 1915 bis 1933

    Georg-Forster Preis fuer sozial- und kulturgeschichtliche Doktorarbeit

    Kassel. Den vom Kasseler Hochschulbund gestifteten Georg-Forster-Preis 1995 erhielt am 28. Februar die Kasseler Historikerin Ortrud Woerner-Heil fuer ihre Doktorarbeit, die sich der Vorgeschichte der Schule Schwarzerden in der Rhoen widmet. Diese wurde 1923 als Frauensiedlung am Fusse der Wasserkuppe in der Rhoen gegruendet; es ist die einzige bekannte Frauensiedlung der zwanziger Jahre. Aus ihr ging eine Gymnastikschule hervor, die noch heute - als Berufsfachschule fuer Gymnastik, Gesundheitserziehung und Ergotherapie - fortbesteht. Gruenderinnen der Frauensiedlung Schwarzerden waren die jungen Lehrerinnen Elisabeth Vogler und Marie Buchhold.

    In ihrer Promotion im Fach Geschichte an der Universitaet Gesamthochschule Kassel arbeitete Woerner-Heil die zahlreichen und unterschiedlichen Linien heraus, die schliesslich zur Gruendung der Frauensiedlung und damit zur Umsetzung sozialreformerischer Ideen ihrer beiden Protagonistinnen fuehrte: Das sind lebensgeschichtliche, ideengeschichtliche und politische Entwicklungen, so bei der aus Kassel stammenden Elisabeth Vogler, die in der Wandervogelbewegung gross wurde, sich zur Lehrerin ausbilden liess, sich der Freideutschen Jugend anschloss und deren Politisierung im Ersten Weltkrieg mittrug. Sie quittierte nach Konflikten schliesslich den Schuldienst in Neuwied und wollte ihre Vorstellungen eines reformpaedagogischen Konzepts, das an Natur, Bewegung und Hygiene, mit einem hohen Anspruch an schulreformerische Ansaetze anknuepfte, ausserhalb des staatlichen Schulsystems realisieren. Auch Marie Buchhold, die 1890 in Darmstadt geboren wurde, war als Lehrerin tief enttaeuscht vom oeffentlichen Schulwesen; beide trafen in der Jugendsiedlung Frankenfeld aufeinander und entwickelten nach deren Scheitern die Idee einer Frauensiedlung, die schliesslich 1923 in Schwarzerden realisiert wurde. Dabei brachte Marie Buchhold ihre Erfahrungen und Utopien mit ein, die sie im anregenden kulturellen Umfeld ihrer Heimatstadt Darmstadt und in Muenchen mit Karl Wolfskehl und Stefan George gesammelt hatte; sie sympathisierte mit dem Wandervogel, auch sie pflegte Beziehungen zur Freideutschen Jugend und beteiligte sich an der Freien Handwerksgemeinde auf Goethes Wahlverwandtschaft bezogenen Lebensmodell.

    Fuer Elisabeth Vogler wie auch fuer ihre Mitgruenderin Marie Buchhold zeigt die detailreiche, rund 600 Seiten umfassende Arbeit von Woerner-Heil zugleich auch immer die individuelle Verarbeitung geschichtlich-politischer Ereignisse des Ersten Weltkriegs, der Jugendbewegung, der jungen Weimarer Republik und der Suche nach neuen Antworten und Lebensformen. Der Gruendung der Frauensiedlung Schwarzerden waren die Siedlungen Kuenstlerschule Kammerhof und die Jugendsiedlung Frankenfeld, beide im Hessischen Ried, vorausgegangen. Diese Unternehmungen junger Erwachsener aus der Jugendbewegung gehoerten zur Vielzahl modernitaetskritischer, sich zur sozialreformerischen Bewegung zaehlender Aktivitaeten, die die Entwicklung moderner Gesellschaft des fruehen 20. Jahrhunderts begleiteten. Die Siedlerinnen und Siedler standen zu unterschiedlichsten kuenstlerischen, literarischen, paedagogischen und politischen Kreisen und Personen in Kontakt: mit dem Stefan-George-Kreis, den Schriftstellern Karl Wolfskehl, Rainer Maria Rilke und Ricarda Huch, dem Schulreformer Gustav Wyneken und dem Bauhaus, vor allem den Kuenstlern Laszlo und Lucia Moholy-Nagy sowie Walter Gropius.

    Fuer die Jury des jetzt in Kassel vergebenen Georg-Forster-Preises, mit dem der Kasseler Hochschulbund alle zwei Jahre eine herausragende wissenschaftliche oder kuenstlerische Arbeit aus der Universitaet Gesamthochschule Kassel auszeichnet, war ein doppelter Bezug zum Leben und Werk Georg Forsters zur vorliegenden Doktorarbeit von Woerner-Heil ausschlaggebend. Zum einen thematisiere Woerner-Heil ein Problem, das das Leben Forsters wesentlich bestimmte: Wie die Spannung von Utopie und Leben in einer Phase radikalen Umbruchs zu bewaeltigen sei. Zum anderen zeige die Arbeit viele Qualitaeten, die das Werk Georg Forsters auszeichneten. Sie erkunde "Neuland" nicht allein durch Fragen an die juengere Geschichte, sondern ebenso durch die methodischen Wege, die gewaehlt wurden, um der Komplexitaet des Themas gerecht zu werden. Geleitet vom Konzept der Geschlechterforschung, so die Laudatores, spuere Woerner-Heil den vielfaeltigen Lebenszusammenhaengen der handelnden Menschen nach und binde sie souveraen in den umfassenden Kontext der Politik-, Sozial-, Ideen- und Kulturgeschichte ein. Damit werfe sie zugleich ueber das engere Thema hinaus ein neues Licht auf die vielfaeltigen Handlungsmoeglichkeiten im ausgehenden Kaiserreich und waehrend der Weimarer Republik.

    Georg Forster, nach dem der mit 6000 Mark dotierte Preis benannt ist, war im Jahre 1778 Professor in Kassel, war Naturwissenschaftler, machte sich als Voelkerkundler zusammen mit seinem Vater als Reisebegleiter James Cooks einen Namen; neben vielen anderen Interessen verfolgte er kuenstlerische und politische Interessen, zuletzt in der Mainzer Republik.

    Die praemierte Promotion ist, geringfuegig erweitert, mittlerweile von der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission fuer Hessen herausgegeben worden unter dem Titel "Von der Utopie zur Sozialreform. Jugendsiedlung Frankenfeld im Hessischen Ried und Frauensiedlung Schwarze Erde in der Rhoen 1915 bis 1933."

    Darmstadt und Marburg,1996. (ISBN 3-88443-196-X) Annette Ulbricht-Hopf


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